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Falschmeldungen sind eine Plage

9. Juli 2019

Soziale Medien seien eine „Brutstätte von Falschmeldungen“, sagt Aroon Purie. Der Gründer und Ex-Chefredakteur von India Today ist ein intimer Kenner der indischen Medienlandschaft. Wie steht es um Vielfalt und Freiheit?

Aroon Purie, Gründer und ehemalige Chefredakteur von India Today ist ein intimer Kenner der indischen Medienlandschaft, beim DW Global Media Forum 2019 in Bonn
Bild: DW/P. Böll

Deutsche Welle: Welche Medien sind in Indien heute am erfolgreichsten? 

Aroon Purie: Seitdem die indische Regierung das Privatfernsehen 1991 zugelassen hat, hat TV die Zeitung als erfolgreichstes Medium abgelöst. Wir haben 880 Programme, Nachrichtensender sind am stärksten vertreten, aktuell senden landesweit 460 Kanäle rund um die Uhr – ob auf Hindi, Englisch oder in regionalen Sprachen. 

Der landesweite Durchbruch des Fernsehens wurde durch die Bezahlbarkeit begünstigt: Kabelgesellschaften bieten bis zu 500 Kanäle für eine monatliche Gebühr von umgerechnet 3,75 Euro. Dennoch wachsen etablierte Printmedien in Indien weiterhin und sind profitabel. Die digitalen Medien bleiben trotz stetigen Wachstums von 30 Prozent jährlich weitestgehend unrentabel. Plattformen wie Google, Facebook und Twitter vereinen 90 Prozent des gesamten digitalen Werbebudgets auf sich.

Wie reagieren indische Medien auf den schnellen technologischen und sozialen Wandel? 

Das Wachstum von Plattformen wie Facebook, Whatsapp, Twitter und Instagram ist herausfordernd für das soziale Gefüge des Landes. Andererseits sind Soziale Medien zum beliebtesten Instrument geworden, um die breite Bevölkerung zu erreichen. Premierminister Narendra Modi ist mit 46,5 Millionen Followern einer der weltweit populärsten politischen Akteure auf Twitter. 

Auch die Sozialen Netze konnten sich vor allem durch erschwingliche Preise etablieren. Datentarife sind in Indien so günstig wie nirgendwo sonst. Das ermöglicht auch ärmeren Menschen in ländlichen Gebieten Zugang zu Sozialen Medien.

Wie ist die Beziehung zwischen führenden indischen Medien und der Regierung? 

Indien ist eine der lebendigsten Demokratien der Welt. Sie lebt von vielfältigen Meinungen, dem freien Informationsfluss und von einer Bevölkerung, die gelernt hat, im Chaos aufzublühen. Zwar fehlt indischen Medien ein starker konstitutioneller Rückhalt, wie es ihn zum Beispiel in den USA gibt.
 
Aber Artikel 19 der indischen Verfassung definiert Rede- und Meinungsfreiheit als Grundrechte. Folglich wird auch die Pressefreiheit, die sich daraus ergibt, als Grundrecht angesehen. 

Wie sehr wird die öffentliche Meinung in Indien von Populisten beeinflusst? 

Die indischen Medien verhalten sich tendenziell neutral. Sie neigen nicht dazu, Parteien offen zu unterstützen, wie es zum Beispiel in den USA Tradition ist. Meinungen oder Tendenzen können gleichwohl durch die Art der Berichterstattung offenkundig werden. Die großen populären Parteien verbreiten ihr Wahlprogramm durch öffentliche Kundgebungen oder in Debatten im nationalen und regionalen Fernsehen. Auch die Sozialen Medien haben die Parteien für sich entdeckt und sie nutzen Unterstützer zur Verbreitung ihrer Inhalte. 

Wie bekämpfen die Medien Desinformation und Hate Speech? 

Falschmeldungen sind eine Plage. Sie werden oft von Politikern selbst oder ihren Unterstützern in die Welt gesetzt. Das Problem spitzt sich zu, die Verbreitungsformen werden immer raffinierter. In Indien gibt es keinerlei Kontrolle in Bezug auf Soziale Medien, das macht sie zu einer Brutstätte von Falschmeldungen. Unsere Gesetze sollten viel stärker an den Wandel angepasst werden. Die großen Medienhäuser haben inzwischen Methoden entwickelt, um Falschmeldungen zu identifizieren. India Today etwa hat den „Anti-Fake News War-room“ (AFWA) ins Leben gerufen, eine sehr geschätzte Initiative zur Demaskierung von Falschinformationen und vermeintlichen Fakten. 

Was Hate Speech angeht, hat Indien bereits strenge Gesetze, die von den Mainstream-Medien sehr ernst genommen werden. Das äußert sich beispielsweise in einer vorsichtigen Berichterstattung, vor allem bei sensiblen Themen, die soziale Unruhen oder lokale Spannungen befeuern könnten. Anstiftungen in diese Richtung werden mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren und einer hohen Geldstrafe geahndet. 

Was ist Ihre Vision in Bezug auf die indischen Medien? 

Die Rolle der Medien als Wächter und vierte Säule der Demokratie wird weiter von hoher Relevanz sein. Die wachsende Alphabetisierungsrate, das steigende Pro-Kopf-Einkommen – all das wird dazu beitragen, dass die indische Medienlandschaft eine lebendige und aufstrebende Branche bleibt. Die größte Herausforderung wird sein, die digitalen Medien rentabel zu machen und die Nutzer dazu zu bewegen, für glaubwürdige Inhalte zu bezahlen. Diese Glaubwürdigkeit aufzubauen wird der härteste Teil dieser Reise sein. Die Branche hat vor allem in puncto Selbstregulierung schon viel geleistet, aber den Nutzer für Glaubwürdigkeit zahlen zu lassen – diese Aufgabe gilt es zu meistern.

Dieser Beitrag stammt aus dem gedruckten DW-Magazin Weltzeit 3 | 2019 – Im Zeitalter der MachtverschiebungenBild: DW/R. Oberhammer

Das Gespräch führte Vera Tellmann

„Everybody is the media“ 
Aroon Purie ist Gründer und ehemaliger Chefredakteur von India Today – inzwischen Indiens vielfältigste Mediengruppe. Purie ist vehementer Verfechter von Demokratie und Freiheit und kritisiert zunehmenden Protektionismus ebenso wie die mangelnde Gleichbehandlung im Mediensektor. 
„Everybody is the media“, sagte er auf dem Global Media Forum in Bonn. An Google und Facebook gerichtet forderte er, sie sollten akzeptieren, dass sie Verleger und nicht nur Plattformen seien. „Sie sind keine Sozialen Dienstleister, das ist Business“, so der streitbare Medienmacher in der Diskussionsrunde zur Frage: Wer hat die Macht in den Medien? Google und Facebook hätten die Macht in Sachen Distribution. Allerdings, so Purie: „Am Ende hat auch eine gute Geschichte die Macht.“ 
Aroon Purie erhielt zahlreiche renommierte Auszeichnungen, unter anderem würdigte die indische Regierung seinen Einsatz für professionellen Journalismus.

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