Falun Gong marschiert auf
24. Juli 2012Vorneweg marschiert die Blaskapelle mit leuchtend blauen Uniformen. Zur schmissigen Musik folgen dahinter, in Reih und Glied oder in losen Gruppen, mehrere tausend Menschen. Sie tragen knallgelbe Hemden oder traditionelle Kostüme. Einige halten bunte Fahnen oder Spruchbanner in die Höhe. Doch auch, wenn es nach einem Fest-Umzug aussieht - der Marsch quer durch Taipeh hat einen ernsten Hintergrund. Die Teilnehmer sind Anhänger von Falun Gong. Diese Mischung aus Meditationsübungen, Moral-Lehre und Führerkult können sie in Taiwan ungestört praktizieren. So wie überall auf der Welt - mit der Ausnahme Chinas.
Die Demonstration erinnert an das Verbot der Falun Gong-Bewegung durch Chinas Regierung am 22. Juli 1999, vor 13 Jahren. Damals war Falun Gong auch in China hoch populär. Im April 1999 jedoch hatte die Gemeinschaft inmitten von Peking über 10.000 Anhänger für eine unangemeldete Demonstration mobilisiert. Das war der Führung um den damaligen Präsidenten Jiang Zemin nicht geheuer. Es folgte das Verbot von Falun Gong und die Verfolgung der Anhänger.
Kritik an Unterdrückung in China
Wer sich heute in China für Falun Gong ausspricht, riskiert Verhaftung - oder Schlimmeres, sagt Lin Jiongyi. Der 60-jährige Innenarchitekt, wie die meisten im gelben Hemd, nimmt jedes Wochenende an Protest-Aktionen teil und steht Mahnwache an Orten, die von chinesischen Touristen besucht werden. Er wirft China vor, mit inhumanen Methoden Falun Gong unterdrücken zu wollen: "Viele Anhänger sind im Gefängnis eingesperrt, oder in Arbeitslagern zur Umerziehung. Das betrifft auch andere Religionen."
Peking weist die auch von Menschenrechtsgruppen erhobenen Vorwürfe, Falun Gong-Anhänger würden in China verschleppt, gefoltert und getötet, strikt zurück. Falun Gong gilt offiziell als "böser Kult". Es sei eine "gesellschaftszerstörende Irrlehre", heißt es auf der Internetseite der chinesischen Botschaft in Berlin. Eine "dunkle Macht, die sich gegen die Menschheit, die Gesellschaft, die Wissenschaft und die Religion richtet".
Protest auch gegen die eigene Regierung
Einen Tag nach der Parade durch die Stadt haben sich am Montag erneut Massen von Falun Gong-Anhängern in Taipei versammelt. Diesmal auf dem Boulevard direkt vor Taiwans Präsidentenpalast. Denn dieser Protest richtet sich nicht nur gegen China, sondern auch gegen die eigene Regierung.
Es geht um Bruce Chung. Der Taiwaner wurde am 18. Juni 2012 in der chinesischen Stadt Ganzhou verhaftet. Er hatte dort Verwandte besucht. Der Vorwurf: Chung soll 2003 von Taiwan aus versucht haben, die Frequenz eines chinesischen Fernsehsenders zu kapern, um Falun Gong-Material auszustrahlen. Was seit der Verhaftung mit ihm passiert ist, wo er festgehalten wird, weiß selbst die Familie nicht. Seine Tochter Chung Ai wendet sich an die Medien: "Mein Vater hat nichts Schlimmes gemacht und kein Verbrechen begangen. Wir stehen ihm bei. Jeden Tag, den er nicht rauskommt, werden wir an die Regierung appellieren. Und ich hoffe, dass alle mit einstimmen."
Sorge um die "guten Beziehungen"
Sogar nach Amerika ist die junge Frau gereist, um bei US-Kongressabgeordneten um Unterstützung zu werben - erfolgreich. Nur die eigene Regierung tue seit über einem Monat so gut wie nichts, um ihren Vater heim zu holen, ist Chung Ai empört. Vertreter von Falun Gong, Bürgerrechtsgruppen und Oppositionspolitiker sind sich an diesem Tag einig: Um die Beziehungen zu Peking nicht zu gefährden, schreckt Taiwans Präsident Ma Ying-jeou vor offener Kritik zurück.
Dabei sei es doch die erste Pflicht jeder Regierung, die Sicherheit ihrer Bürger zu garantieren, betont Lin Fengzheng. "Wir haben alles versucht um die Regierung von Präsident Ma dazu zu bringen, sich dieses Falles anzunehmen", sagt der Leiter einer Stiftung für Justizreform. "Keine Reaktion. Es hieß nur, man werde sich kümmern. Aber nichts ist passiert. So sind wir heute gezwungen, auf die Straße zu gehen und von Präsident Ma zu fordern: Hol Chung schnell da raus!"
Der Pass gewährt keinen Schutz
Die Regierung hat versprochen, das Schicksal von Bruce Chung über offizielle Kanäle in China zur Sprache zu bringen. Solche Vorfälle machen Taiwanern immer wieder deutlich, wie problematisch das Verhältnis zum großen Nachbarn noch immer ist - auch, wenn beide Regierungen seit einigen Jahren fast nur noch die Fortschritte betonen. Gibt es Probleme, können Taiwans Behörden in China oft nichts ausrichten. Geschäftsleute beschweren sich, dass es für sie in Chinas Justizsystem kaum Rechtssicherheit gebe.
Und Taiwans Falun Gong-Anhänger haben nun erst recht den Eindruck, dass Ihnen ihr Pass in China keinen Schutz gewährt. Der Demonstrant Lin Jiongyi jedenfalls wird in Zukunft einen großen Bogen um die Volksrepublik machen.