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Politik

Familie von Terror-Opfer kritisiert Behörden

Ben Knight SH
2. März 2017

"Unsensibel, schlecht organisiert und inkompetent": So beschreibt die Familie eines italienischen Terror-Opfers die deutschen Behörden in der Zeitung "Corriere della Sera". Berlins Opferbeauftragter räumt Fehler ein.

Deutschland Berlin Nach Anschlag auf Weihnachtsmarkt
Bild: Getty Images/S. Loos

Drei Tage mussten sie auf eine Antwort warten, erst dann wurde die Ahnung zur schrecklichen Gewissheit. Die Familie des Terror-Opfers Fabrizia Di Lorenzo, einer 31-jährigen Frau aus Italien, hat den deutschen Behörden deshalb heftige Vorwürfe gemacht. Gegenüber der italienischen Zeitung "Corriere della Serra" sagte sie, die Behörden seien "unsensibel, schlecht organisiert und inkompetent" gewesen. Di Lorenzo gehörte zu den zwölf Opfern des Angriffs auf einen Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, begangen von dem abgelehnten tunesischen Asylbewerber Anis Amri.

Laut der Familie sei es möglich gewesen, Fabrizia innerhalb von 24 Stunden zu identifizieren. Ihr Arbeitgeber - ein deutsches Logistikunternehmen - hatte ein Foto zur Verfügung gestellt. Doch die Bundespolizei verlangte die Identifizierung durch DNA und Fingerabdrücke.

Ein Fremder geht ans Telefon

Di Lorenzos Mutter Giovanna und Bruder Gerardo hatten nach dem Anschlag versucht, Fabrizia auf ihrem Handy zu erreichen - vergeblich. Laut "Corriere della Serra" war ein Fremder statt der Schwester und Tochter ans Telefon gegangen. Auf Englisch erklärte er Bruder Gerardo, dass er das Telefon auf dem Weihnachtsmarkt gefunden habe und es zur Polizei bringen würde. Wenig später hörten Giovanna und Gerardo Di Lorenzo von dem Terrorakt und machten sich sofort auf den Weg nach Berlin.

Laut den Di Lorenzos folgten "drei endlose Tage, ohne psychologische Hilfe, an denen wir vor Kummer fast verrückt wurden". Auch die Familien anderer Opfer hätten diese Erfahrung gemacht. Unter den zwölf Toten waren auch Deutsche, Israelis, Ukrainer, Tschechen sowie der polnische LKW-Fahrer, den Amri nach der Entführung des Fahrzeugs getötet hatte. Rund 55 weitere Menschen wurden verletzt.  

Autopsie-Rechnung kam überpünktlich

Wer gehört zu den Opfern? Die Antwort ließ auf sich wartenBild: picture-alliance/rtn-radio tele nord rtn/P. Wuest

Der Ruf vieler deutscher Behörden und Institutionen hat seit dem Angriff gelitten: Geheimdienste wurden kritisiert, weil sie es versäumt hatten, Amri vor dem Angriff zu verfolgen, obwohl er als potenzielle Bedrohung identifiziert worden war. Das Berliner Charité-Krankenhaus wurde angegangen, weil es die Rechnungen für die Autopsien innerhalb von Tagen nach dem Angriff an die Familien verschickte. Berlins Bürgermeister Michael Müller dagegen ließ sich aus der Sicht vieler zu viel Zeit: Er brauchte zwei Monate, um den Familien schriftlich sein Beileid auszusprechen.

Auch bei der finanziellen Entschädigung für die Familien der Opfer herrschte Verwirrung. Da der Angreifer einen LKW benutzte, wurde die Tat zunächst als Straßenunfall und nicht als Terroranschlag eingestuft. Justizminister Heiko Maas intervenierte jedoch, damit die Angehörigen der Opfer ein Recht auf Entschädigungen haben.   

"Niemand leugnet" 

Der Opferbeauftragte des Landes Berlin, Roland Weber, erkennt die Fehler an, verweist aber auch darauf, dass sich alle Beteiligten bereits entschuldigt hätten. Bundespräsident Joachim Gauck lernte die Familien der Opfer sogar kennen und hörte sich ihre Sorgen an. "Ja, es gab einige Fehler in den folgenden Tagen, besonders wenn es um die Kommunikation ging", sagte Weber im Gespräch mit der DW. "Niemand leugnet das und jeder bedauert es. Jetzt wird untersucht, warum die Leute keine Informationen bekommen haben." 

Insbesondere die Entscheidung der Untersuchungsbeamten, die Familien nur zu informieren, wenn die Identität der Opfer zweifelsfrei feststeht, hätte besser kommuniziert werden sollen. "Natürlich ist es jetzt rückblickend klar, dass das sehr schlecht war - so etwas sollte einfach nicht passieren", sagte er. Auch dies wurde bei der Begegnung mit Gauck angesprochen. Die Berliner Landesregierung versprach, offizielle Verfahren zu überprüfen.

Erst die eine, dann die andere Polizei

Gedenkgottesdienst in Berlin: Gauck traf sich auch persönlich mit Familien Bild: Reuters/M. Kappeler

Weber sagte, er habe sich seit ihrem Aufenthalt in Berlin persönlich um die Familie Di Lorenzo gekümmert. "Ich kann verstehen, dass sie nicht zufrieden sind; Fehler wurden gemacht", sagte er. Gleichwohl widerspricht er dem Vorwurf, es sei kein Übersetzer zur Verfügung gestellt worden. Er selbst habe mit der italienischen Botschaft Kontakt gehabt, deren Beamte seien von Anfang an dabei gewesen.

Weber fügte hinzu, es habe Unklarheiten darüber gegeben, wer verantwortlich gewesen sei. "In Deutschland ist der Staatsanwalt für die Untersuchung von Terroranschlägen zuständig", sagte er. Dies bedeutet, dass die Bundespolizei in den darauffolgenden Stunden übernahm - während die Berliner Polizei am Anfang an dem Fall gearbeitet hatte.

Dieses Vorgehen habe scheinbar eine "Lücke" geschaffen, sagte Weber. Als die Verantwortung an die Bundesbehörden übergeben wurde, brauchten diese zunächst Zeit, um "herauszuarbeiten, was los war". Die Bundesbehörden entschieden sich für das offizielle Vorgehen: Demnach müssen bestimmte internationale Standards zur Identifizierung der Opfer eingehalten werden, bevor die Familien informiert werden. "Bürokratisch gesehen war alles richtig", betont Weber. "Aber das Menschliche hat gefehlt."

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