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Politik

Familientreffen als Lottogewinn

30. April 2018

Beim innerkoreanischen Gipfel wurden auch Treffen der seit fast 70 Jahren getrennt lebenden Familien vereinbart. Aber den Betroffenen reicht das nicht, weil sie recht betagt sind. Alexander Freund aus Seoul.

Südkorea - Verein der getrennt lebenden Familien in Südkorea
Bild: DW/A. Freund

Das Gipfeltreffen zwischen Südkoreas Präsident Moon Jae In und Nordkoreas Machthaber Kim Jung Un hat Gu Sub Shim vor dem Fernseher verfolgt, gemeinsam mit seinen alten Freunden und einigen Reportern. Der 83-Jährige ist im Vorstand des 40-köpfigen "Vereins für getrennt lebende Familien" in Seoul.

In dem viel zu kleinen Vereinsbüro irgendwo in einer Seouler Seitenstraße schlagen sich die alten Herren die Zeit tot, trinken Tee und schwatzen über die alten Tage. An den Wänden hängen Landkarten und zahlreiche Fotos von den letzten Familientreffen, die Gesichter ihrer Liebsten sind verpixelt, aus Angst vor Verfolgung. Sehnsüchtig schaut Shim immer wieder zu den alten Fotos von seinen Eltern und Geschwistern.         

Der 83-Jährige ist ganz zufrieden mit den Ergebnissen des Gipfels, der am vergangenen Freitag stattfand. Aber dies könne natürlich nur ein  Anfang sein, sagt er. Wie die meisten Südkoreaner war auch Shim tief bewegt, als sich die beiden Politiker nach Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung umarmten. Und dass Kim Jong Un vom "Ende des Krieges" sprach, mache ihm Hoffnung.

Die Deutschen könnten ja vermutlich am besten verstehen, wie schmerzlich ein geteiltes Land sei, führt Shim fort. Aber in Korea habe es zusätzlich eben auch noch den Krieg gegeben, in dem sich die Koreaner gegenseitig umgebracht hätten. Und bis heute gebe es ja auch nur ein Waffenstillstandsabkommen, keinen Friedensvertrag.

Shim in seinem VereinsbüroBild: DW/A. Freund

Zerrissenheit seit 71 Jahren

Shim stammt aus der Hamgyong Provinz im Osten Nordkoreas, unweit von der chinesischen Grenze entfernt. Sein Vater war Journalist bei der konservativen Zeitung Choson Ilbo und musste 1945 beim Einmarsch der Kommunisten in den Süden fliehen. Der kleine Gu Sub folgte dem Vater zwei Jahre später. Die Mutter und seine beiden Geschwister blieben zurück. 

Jahrelang hörten sie nichts voneinander. Als der Krieg 1950 ausbrach und Korea 1953 geteilt wurde, zerplatze die letzte Hoffnung auf ein Familienleben unter einem Dach. Nach dem Tod des Vaters lebte Shim sein einsames Leben im Süden. Irgendwann aber erreichte ihn unerwartet eine Postkarte seiner Schwester, die sie irgendwie über China nach Südenkorea schicken ließ. Auf der Vorderseite war ihr Familienportrait aus Kindertagen, auf der Rückseite die traurige Nachricht, dass die Mutter gestorben sei. Seinen Namen habe die Mutter kurz vor dem Tod gerufen, schrieb sie. Die Tinte auf der Karte sei verlaufen, so sehr müsse seine Schwester geweint haben.

Nach diesem Lebenszeichen machte sich Shim auf die Suche. Über Bekannte in China konnte er schließlich seine Geschwister ausfindig machen. Jahre vergingen, aber 1994 endlich, 47 Jahre nach der Trennung, konnte er seinen Bruder zum ersten Mal wiedersehen. Nach wenigen Stunden nahmen sie Abschied. Der Bruder ist inzwischen gestorben, aber der Schwester schickt Shim regelmäßig Hilfspakete über seine geheimen Kontakte in China.

Selten kann auch sie einen Brief rausschmuggeln. Als sie sich zuletzt sahen, war seine Schwester fünf Jahre alt. Er erinnert sich noch gut daran, wie sie auf seinen Knien rumhüpfte. Inzwischen ist auch sie eine alte Frau mit grauen Haaren. 

(Archiv) Das letzte Familientreffen im Oktober 2015Bild: Reuters/Yonhap

Die Zeit läuft davon

Baldige Familientreffen wurden beim Gipfeltreffen von Kim und Moon vereinbart. Zum ersten Mal überhaupt hat ein nordkoreanischer Machthaber das Schicksal der getrennt lebenden Familien erwähnt. Am symbolträchtigen 15. August, dem Jahrestag der japanischen Kapitulation nach dem Zweiten Weltkrieg, sollen sich insgesamt 100 getrennt lebende Familienangehörige wiedersehen dürfen.

Das reicht dem "Verein für getrennt lebende Familien" längst nicht. Von den 130.000 getrennt lebenden Familienmitgliedern ist inzwischen ungefähr die Hälfte gestorben. 12.000 von den Lebenden sind älter als 90 Jahre. Es wird befürchtet, dass viele aus Altersgründen ein Wiedersehen nicht mehr erleben würden.

Unbedingt müssten beide Seiten auch wieder ein gemeinsames Postsystem einrichten, damit man sich Briefe oder Pakete schicken könne, fordert Shim im Interview mit der DW. Eine Postkarte würde ja schon reichen, damit man wenigsten wisse, dass die Verwandten noch leben.

Nur zwischen Nord- und Südkorea ist so etwas nicht möglich. Das regt Shim auf. Das erste vereinbarte Familientreffen könne deshalb nur der Anfang sein. 93.000 noch getrennt lebende Familienmitglieder bewerben sich nun um 100 Plätze für das Treffen im August. Das komme ja einem Lottogewinn gleich, sagt der 83-Jährige bitter und blickt wieder sehnsüchtig zu den Fotos seiner Schwester.

 

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