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"Die UEFA ist für Chaos mitverantwortlich"

30. Mai 2022

Bei den letzten drei großen Finalspielen der UEFA hat es große organisatorische Mängel gegeben. Das sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte, im DW-Interview.

Michael Gabriel - Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS)
Fanexperte Michael Gabriel ist Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS)Bild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

DW: Was ist beim Champions-League-Finale genau schiefgelaufen und warum? Die UEFA schiebt die Schuld auf die Fans, die gefälschte oder keine Tickets gehabt hätten. Die Fans dagegen beschweren sich darüber, mit gültigen Tickets nicht ins Stadion gekommen zu sein und über die übermäßige Härte der Polizei. Wie war es denn nun?

Michael Gabriel: Es gibt ganz klare Hinweise darauf, dass es große organisatorische Mängel bei der Zuleitung der Fans zum Stadion und dann bei der Organisation der Einlasskontrollen gegeben haben muss. Demzufolge entspricht der erste offizielle Hinweis der UEFA, dass sich das Spiel verzögert habe, weil die Fans zu spät am Stadion angekommen wären, nicht der Realität. Die Fans des FC Liverpool waren rechtzeitig am Stadion, manche sogar schon drei Stunden vor Spielbeginn. Sie trafen dort aber auf Zustände, die ein ziemlich großes Gefährdungspotenzial hatten.

Welche Zustände waren das?

Wege, die in einigen Fällen zehn Meter breit waren, wurden durch die Polizei künstlich verengt. Einlassbereiche waren ohne ersichtlichen Grund geschlossen. Vorne ging es nicht weiter, hinten rückten immer mehr Menschen nach. So ist eine Drucksituation entstanden, in der es keine Informationen gegeben hat. Es gab auch keine Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen oder auch, sich mit Wasser versorgen zu lassen. Diese ganz schlechte Organisation vor dem Spiel wurde von vielen Seiten bestätigt. 

Die UEFA begründete die Verspätung beim Anpfiff des Champions-League-Finales mit dem verspäteten Ankommen der FansBild: Revierfoto/dpa/picture alliance

Und der zweite Aspekt mit den gefälschten Karten - da spricht die UEFA, offensichtlich basierend auf Informationen der Polizei, ja von Tausenden. Bei jedem großen internationalen Turnier und bei jedem großen internationalen Endspiel gibt es diesen Aspekt: Menschen versuchen, mit ungültigen Tickets ins Stadion zu kommen. Veranstalter müssen darauf vorbereitet sein und sind es in der Regel auch. Die nicht nur von der UEFA sondern auch vom französischen Sportministerin genannte Zahl ist es sehr überraschend. Und soweit mir bekannt ist, gibt es bisher auch noch keine Belege für diese hohe Zahl. Es ist auch schon der Verdacht geäußert worden, dass dies eine leichte Ausrede sei.

Aber es gibt ja auch Fotos von Fans, die über die Zäune geklettert sind.

Ja, und wenn man genau hinschaut, kann man einerseits erkennen, dass es keine Fans des FC Liverpool waren, sondern eher junge Menschen, wahrscheinlich aus Frankreich, die versucht haben, ohne Tickets ins Stadion zu kommen. Andererseits gibt es auch Beispiele, wo englische Fans das gemacht haben.

Ich gehe davon aus, dass die meisten von ihnen Karten hatten, dann wahrscheinlich die Musik hörten und davon ausgingen, dass es bald losgeht und die dann unbedingt das Spiel sehen wollten. Sie wollten inmitten der chaotischen Zustände irgendwie ins Stadion gelangen.

Kritik an Polizei und UEFA

Die UEFA ist die Organisatorin des Turniers. Aber die Polizei ist natürlich auch für die Sicherheit zuständig und wahrscheinlich auch sehr sensibilisiert, gerade in Paris, wo es ja in der Vergangenheit mehrere Terroranschläge gegeben hat. Welche Rollen haben diese beiden Organisationen gespielt? Und wer hat da jetzt eigentlich versagt?

Wenn man Augenzeugenberichten vor Ort glaubt, gibt es Kritik an beiden Organisationen. Also nicht nur an der UEFA sondern auch an ihren lokalen Partnern, ohne die so ein Spiel ja gar nicht organisiert werden kann. Über die großen organisatorischen Fehler beim Einlass haben wir bereits gesprochen. 

Aber es gab auch große Kritik am Einsatz der Polizei. Ihr wurden mangelnde Kommunikation, ein unflexibles und ein unverhältnismäßig hartes Vorgehen vorgeworfen. Zum Beispiel setzten Polizisten Pfeffergas gegen Fans ein, die außerhalb des Stadions hinter dem Zaun standen.

Anfahrtswege, Kontrollen und Kommunikation vor Ort haben also nicht funktioniert - müssten solche Finalspiele an andere Stadien gegeben werden? Frankfurt hatte sich ja auch beschwert, dass beim Europa-League-Finale das Stadion in Sevilla viel zu klein sei für das riesige Faninteresse?

Es gibt kaum ein besseres Stadion für die Austragung eines solchen Spiels als das Stade de France. Dort haben ja auch schon andere Partien dieser Größenordnung stattgefunden. Die UEFA hat ja feste Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit eine Stadt beziehungsweise ein Stadion so ein Spiel ausrichten kann. Daran muss man meines Erachtens gar nichts ändern. In beiden Fällen haben organisatorische Fehler zu diesen Problemen geführt. 

In Paris war es vor allem die Ticketkontrolle am Einlass und die Zuwegung zum Stadion. In Sevilla waren alle Fans rechtzeitig im Stadion. Der FC Sevilla spielt regelmäßig international. Deswegen ist es kaum erklärbar, warum es auch dort zu massiven organisatorischen Mängeln kam. In Sevilla gab es Engpässe bei der Versorgung mit Speisen und Getränken, vor allem Wasser. Und das bei einer Außentemperatur von 40 Grad. Aber auch hier schätzte die Polizei an manchen Stellen die Situation falsch ein und war nicht in der Lage, angemessen zu kommunizieren. Stattdessen wurden Schlagstöcke eingesetzt. 

Fußballfans werden eher negativ wahrgenommen

Waren die Sicherheitsbehörden überfordert, hatten vielleicht sogar Angst vor den vielen euphorischen Fans, die eigentlich nur ein Fußballspiel sehen wollen?

Ja, das ist ein guter und zentraler Punkt. In beiden Ländern werden Fans eher negativ wahrgenommen, als Sicherheitsrisiko. Nicht als Gäste, um deren Bedürfnisse man sich kümmern muss, nicht als Menschen, die durch ihre Emotionen und auch durch ihre Gesänge zu dem Gesamtkunstwerk eines solchen Spiels beitragen. Anstatt auf partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Fans zu setzen, reagiert man mit autoritären und repressiven Maßnahmen. Das ist vielleicht sogar die grundsätzliche Problematik.

Was kann die UEFA besser machen? 

Bei den letzten großen UEFA-Finalspielen - dem EM-Endspiel in Wembley, dem Europa-League-Finale in Sevilla und jetzt beim Champions-League-Finale in Paris - gab es große organisatorische Mängel. Die UEFA sollte sich mit ihren eigenen Abläufen beschäftigen: Mit welchen Partnern arbeite ich zusammen? Welche grundsätzliche Linie gebe ich vor? Sorge ich dafür, dass sich die Menschen wohlfühlen, dass die Kommunikation den Fanexperten der Vereine und den Fanorganisationen im Vordergrund steht? Oder übertrage ich alle Verantwortung lokalen Behörden und den Sicherheitsorganen, die offenkundig in Sachen Kommunikation Nachholbedarf haben?

Es muss ganz dringend eine UEFA-interne kritische Aufarbeitung geben. Das fordert sowohl der FC Liverpool zum Champions-League-Finale als auch Eintracht Frankfurt und die Glasgow Rangers sowie die europäische Fan-Organisation "Football Supporters Europe" zum Europa-League-Endspiel in Sevilla. Ich finde dies nachvollziehbar. 

Michael Gabriel ist Sozialpädagoge und Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS). Die KOS ist die anerkannte Schnittstelle zwischen professioneller pädagogischer Fanarbeit, Fankultur, Sozialwissenschaft sowie gesellschafts- und sportpolitischen Institutionen. 

Das Interview führte Olivia Gerstenberger.

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