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"Proklamierter Reformwille ist nur Folklore"

31. Juli 2020

Neuverteilung der TV-Gelder, wieder Fans bei Spielen? Wichtige Entscheidungen stehen vor den Verantwortlichen im Profifußballs. Fanforscher Harald Lange ist skeptisch, dass sich grundlegend etwas ändern wird.

Fußball Bundesliga | Borussia Mönchengladbach - 1. FC Union Berlin | Banner
Im Bundesliga-Endspurt waren - wie hier in Mönchengladbach - nur Pappfans auf den Tribünen zugelassen Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner

DW: Sie sind nicht nur Wissenschaftler, sondern auch bekennender Fußballfan. Darbt Ihre Fußballseele aktuell?

Harald Lange: Das muss ich relativieren. Je länger ich mich wissenschaftlich mit dem Thema befasse, desto mehr ist mein persönliches Fan-Sein zurückgegangen. Aber das, was ich an Fanseele habe, leidet natürlich, ist ein Stück weit irritiert, auch unzufrieden, weil die Entwicklung im deutschen Profifußball zeigt, dass sich die Spitze immer weiter von den Interessen, Bedürfnissen und Leidenschaften der Basis entfernt. Das finde ich auch als Wissenschaftler bedauerlich.

Sie haben Ihr wissenschaftliches Ohr seit Jahren am Puls der Fans. Hat die Unzufriedenheit mit dem Profifußball einen Höchststand erreicht?

Man kann auf jeden Fall sagen, dass sich die Unzufriedenheit mit dem DFB in den letzten drei, vier Jahren aufgebaut und ein ganz besonderes Ausmaß erreicht hat. Der Unmut der aktiven Fanszene hat weite Kreise gezogen. Inzwischen trifft es auch die ganz gewöhnlichen Fernsehzuschauer und Event-Freizeitfans, die sich zusehends von diesem Unterhaltungsereignis Fußball abwenden. Das konnte man an den Einschaltquoten der letzten "Geisterspiel"-Runden eindrucksvoll nachvollziehen.

Kurz vor der Corona-Krise, zu Jahresbeginn, hat sich das neue Bündnis "Unsere Kurve" formiert, das 21 Fanorganisationen vereint. Hat die Stimme der Fans damit mehr Gewicht?

Es hat sich schon in den vergangenen Jahren gezeigt, dass sich Fans über die Vereinsfarben hinweg verbünden, solidarisieren und gemeinsam an Themen arbeiten, die sich durch die von DFB und DFL gesteuerte Entwicklung des Spitzenfußballs ergeben. Das ist in diesem Ausmaß neu. Damit erhält die Stimme der Fans mehr Gewicht, wird in den Medien aufgenommen und auch gesellschaftlich diskutiert.

Professor Harald Lange forscht an der Uni Würzburg über Fans und FußballBild: Universität Würzburg/Gunnar Bartsch

Die Fans fordern ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Zugangs von Zuschauern ins Stadion unter Corona-Bedingungen - zu Recht?

Vollkommen zu Recht. Das kann man aus einem ungeklärten Hauptthema ableiten: Wem gehört eigentlich der Fußball? Ist er nur ein Unterhaltungsformat, das von einigen Spitzenmanagern der Bundesliga kreiert, verantwortet und vermarktet wird? Oder gehört der Fußball zu einem gewissen Teil quasi jedem, der ein Interesse daran hat? Wenn der Fußball so etwas wie ein Kulturgut, ein gesellschaftliches Allgemeingut ist, dann müssen dort auch demokratische Prinzipien herrschen, und es darf nicht zu Ungerechtigkeiten kommen. Dann muss der Zugang zu den Spielen so geregelt werden, dass gilt: alle oder gar keiner. Oder man lost, wer wieder ins Stadion darf. Alles andere würde als Machtspielchen interpretiert und den Unmut noch weiter verstärken.

Im Bundesliga-Endspurt waren - wie hier in Mönchengladbach - nur Pappfans auf den Tribünen zugelassen Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner

Gerade während des Corona-Lockdowns und der dadurch bedingten Pause im Sport äußerten auch Verantwortliche des Fußballs, dass sie über Fehlentwicklungen und mögliche Reformen nachdenken wollten. Sehen Sie diesen Reformwillen immer noch?

Ich fürchte, der proklamierte Reformwillen war schlichtweg nur Folklore. Es passte einfach gut ins Bild. Deshalb haben DFB und DFL Task Forces zur Zukunft des Profifußballs ins Leben gerufen. Es gab einen halbherzigen Fünf-Punkte-Plan des DFB-Präsidiums, und das Ganze ist mehr oder weniger versandet. Ich sehe keine Nachhaltigkeit in den Reformbestrebungen. Aus dem System Profifußball heraus wird es wohl auch keine Veränderung geben können, weil die führenden Köpfe maßgeblich davon profitiert haben. Sie wären ja töricht, wenn sie dieses System aufgeben würden, das ihnen so viel Geld in die Kassen spült.

Apropos Geld – von Faninitiativen, aber auch von den Bundesliga-Teams, die nicht in der Spitze mitspielen, wird eine gerechtere Verteilung der TV-Gelder gefordert, im Idealfall sogar eine gleichmäßige Verteilung auf alle Vereine. Wie realistisch stufen Sie diese Forderung ein?

Die Forderung selbst halte ich für völlig korrekt. Wenn die Liga einen spannenden Wettbewerb garantieren will, kann es gar keine andere Lösung geben, als das Geld unter den jeweils 18 Mannschaften der ersten und zweiten Bundesliga gleichmäßig zu verteilen. Alles andere führt zu Ungleichgewichten und vergrößert die Kluft zwischen armen und reichen Klubs, zwischen sportlich erfolgreichen und weniger erfolgreichen. Damit wird das Produkt langweiliger. Das ist klar und logisch.

Meisterjubel des FC Bayern vor leeren Rängen - für die Zuschauer an den BildschirmenBild: picture-alliance/GES/POOL/M. Ibo Güngür

Doch dahinter steht ein Machtspiel. Es wird gegen jede sportive Logik gehandelt und wahrhaftig nicht demokratisch. In den letzten Wochen und Monaten hat sich gezeigt, dass neben den Fans auch die Sponsoren und Mäzene, sprich die Geldgeber, Einfluss haben. Wenn sich die Fans abwenden und damit die Einnahmen zurückgehen, ist das die einzige Stellschraube, die die Mächtigen im Bundesliga-Zirkus zur Reform bewegen kann.

Aktuell halte ich es jedoch noch für sehr unrealistisch, dass an der Neuverteilung der TV-Gelder großartig geschraubt wird. Es wird einige Nebelkerzen geben, um die größten Kritiker zu besänftigen. Doch grundsätzlich wird sich wahrscheinlich noch nichts ändern, obwohl es aus Fair-Play-Gründen und auch aus dramaturgischer Sicht dringend geboten wäre. Aber die Fans haben durch ihre Opposition, ihren Zusammenschluss und das Vortragen von Sachargumenten so viel Einfluss wie noch nie zuvor.

Die reichsten Vereine machen in Europa inzwischen in aller Regel die Titel unter sich aus. Droht der Fußball deshalb seine Fans zu verlieren?

Auf jeden Fall. Je langweiliger das Produkt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die so genannten Event-Fans abwenden und anderen Sport oder andere Unterhaltungsformate am Wochenende wahrnehmen. Wir konnten in der Corona-Phase feststellen, dass die aufkommende gesellschaftliche Unzufriedenheit mit dem Profifußball sofort zu niedrigeren Einschaltquoten geführt hat - und das in einer Zeit, in der man wegen des Lockdowns eigentlich das Gegenteil erwartet hätte. Das ist doppelt dramatisch für den Fußball. Man sollte das genau analysieren und die richtigen Lehren daraus ziehen, anstatt mit den Modellen und Denkweisen der letzten 20 Jahre einfach weiterzumachen wie bisher.

Professor Harald Lange (Jahrgang 1968) hat seit 2009 den Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg inne. Lange gründete Anfang 2012 das bundesweit erste Institut für Fankultur. Seit dem Frühjahr läuft dort das Projekt "Welchen Fußball wollen wir?" (vierzunull.de), das ein Forum für alle Protagonisten des Fußballs bieten soll.

Das Interview führte Stefan Nestler.

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