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Kunst

Fantasy Art - Busen, Bestien und Berserker

4. November 2020

Sexy Frauen, geflügelte Dämonen, starke Kämpfer: Fantasy ist nicht nur Literatur, sondern auch Kunst. Ein neuer Band stellt die wichtigsten Vertreter vor.

Ein fantastisches Gemälde zeigt einen Krieger mit einem Schwert, der in einer kargen Felslandschaft steht
Heroische Geste, karge Umgebung: Michael Whelan ist einer der erfolgreichsten Fantasy-KünstlerBild: Michael Whelan

Vorsicht! Dieses Buch kann zu Rückenschmerzen führen. Seit es in meinem Besitz ist, hocke ich gekrümmt auf dem Fußboden (es ist zu groß für meinen Schreibtisch) und blättere ehrfürchtig Seite für Seite dieses großformatigen Bandes um. Der Taschen-Verlag bringt mit dem Schwergewicht "Masterpieces of Fantasy Art" einen weiteren Band monströsen Ausmaßes (7,5 Kilogramm, 29 x 39,5 cm, 532 Seiten) auf den Markt. Ein XXL-Buch, das nicht nur in verständlichen Texten, sondern auch in zahlreichen Bildbeispielen der Originalwerke in die Geschichte und in die mir bis dato fremde Welt dieses Genres einführt. Der Maler Hieronymus Bosch beispielsweise gilt zu Unrecht als Vertreter der Fantasy Art. Denn - so ist es in den erläuternden Texten der Herausgeberin, Dian Hanson, zu lesen - der Niederländer malte vor mehr als 500 Jahren religiöse Allegorien, biblische Themen, um die Gläubigen im Zaum zu halten, und erinnerte mit seinen Vogel-Monstern oder finsteren Waldwesen den Menschen daran, dass es für ihn besser sei, sich für Gott zu entscheiden, statt sich den Sünden hinzugeben. Aber dennoch ist seine fantastische Welt ein Quell der Inspiration genauso wie es die Gemälde des Renaissance-Künstlers Michelangelo oder des französischen Symbolisten Gustave Moreau sind, deren künstlerische Freiheit ebenfalls gruselige Schreckgestalten auf ihren Leinwänden hervorbrachte.

Der Brite Rodney Matthews ist bekannt für seine ins Irreale übersteigerten, oft als bedrohlich empfundenen Darstellungen von Flora, Fauna und Technik
Taschens neues Buch erzählt die Geschichte der Fantasy ArtBild: Dian Hanson

Fantasy beginnt mit Lewis Carroll

Doch zu Zeiten dieser Künstler ist Fantasy-Kunst, wie sie heute verstanden wird, noch nicht existent. "Fantasy-Kunst konnte es erst geben, nachdem wir den Glauben an Drachen, Hexen, Gorgonen, Greife und Nymphen aufgegeben hatten", schreibt die Herausgeberin Dian Hanson. Die Ursprünge der Fantasy-Kunst liegen daher nicht im mittelalterlichen Holland, sondern in England Mitte des 19. Jahrhunderts. Lewis Carrolls Kinderbuch "Alice im Wunderland" erschien 1865 als erstes Buch mit illustrierten Innenseiten, gezeichnet von dem Karikaturisten John Tenniel. Der Brite erfand erstmals raffinierte Bildwelten für sprechende Enten, Grinsekatzen, rauchende Raupen oder Eidechsen, die als Schornsteinfeger arbeiten. Auch die Illustrationen für Kinderbuchklassiker wie "The Tale of Peter Rabbit" oder "Pinocchio" bilden die Grundlage für die Fantasy-Kunst. Ihr Ziel bestand darin, Traumwelten zu kreieren, um "kindliche Sehnsüchte zu befriedigen", schreibt Hanson.

1889 erfand H.J. Fords Wesen, die bis heute Filme, Games oder Romane des Fantasy-Genres maßgeblich prägen: Drachen, Greifen, Superhelden. Es entstehen auch Illustrationen um 1900 zu "Peter Pan" oder Swifts "Gullivers Reisen". An dem Rennen um die fantastischsten Wesen beteiligen sich selbst gestandene Glasmaler des Art Nouveau wie Harry Clark, der 1916 die phantastische Oper von Jacques Offenbach "Hoffmanns Erzählungen" mit Illustrationen versah.

Erfindung von "Heftchen" belebt Fantasy-Markt

Sanjulian nennt sich ein spanischer Fantasy-Künstler. Heroic Fantasy ist seine Spezialität: Es geht um Kämpfe, Schwerter, Zauberei und geheimnisvolle Geschichten

Einen großen Erfolg verzeichnet 1912 "Tarzan of the Apes", Tarzan bei den Affen, ein gezeichneter Cartoon. Die Nachfrage ist enorm und sorgt dafür, dass sich immer mehr Künstler finden, die sich auf dieses neue Fach spezialisieren. Denn anders als die hehre Kunst ist Fantasy-Kunst ein kommerzielles Produkt, eine Massenware, die um die Gunst möglichst vieler Käufer kämpfen muss. Letztlich zeichnet sich schon damals ein Konflikt zwischen U- und E-Kultur ab. Und das, obwohl seriöse Autoren wie H.P. Lovecraft, Ray Bradbury oder Philip K. Dick in dem neuen Genre mitwirken - wie sich an den Pulp-Magazinen zeigt, also Geschichten aus verschiedenen Literaturgattungen, die in den USA in den 1930er bis 1950er Jahren populär waren.

Stilbildender Vorreiter für die Fantasy-Bildkultur sind die "Weird Tales", ein US-Magazin, das ab 1923 Fantasy, Science-Fiction und Horror-Geschichten im Comic-Stil veröffentlicht. Darunter auch Werke des Horrorspezialisten H.P. Lovecraft, der für Gänsehauterlebnisse vom Feinsten steht und für die Berühmtheit dieser Kioskware sorgt. Die Vorliebe für das Makabre in den "Weird Tales" sieht man schon den Covern an, auf denen sich glupschäugige Geister, glibberige Monster und unerschrockene Kämpfer in allen Farben und Ausformungen tummeln. Es tauchen neue Superhelden auf, barbarisch und primitiv wie "Conan", einer der größten und wichtigsten Figuren des Fantasy-Genres, oder hintergründig und von der griechischen Mythologie abgeleitet, wie Lovecrafts "Cthulhu". Die "Weird Tales" verkaufen sich wie genausogut wie frühere Groschenromane und etablieren sich so immer weiter.

Fantasy-Literatur folgt auf die Fantasy-Art

Masterpieces: Das Ehepaar Boris Vallejo und Julie Bell gehört zu den Stars der Fantasy-KunstBild: Boris Vallejo & Julie Bell

Solche Heftchen existierten zwar auch für die Science-Fiction-Fans. Doch Fantasy und Sci Fi - dazwischen liegen Welten. Das erkennt man schon an den Motiven, wie es Dian Hanson ausführt: Raumschiffe sind in der Fantasy-Welt undenkbar. Stattdessen dominieren hier wildgewordene Drachen als Geheimwaffe bizepsgestählter Helden. Eine Welt, die möglichst unwissenschaftlich, möglichst verrückt erscheinen soll. Und möglichst sexy. Denn in den 1930ern setzt die politische Depression den Heftchen-Markt unter Druck. Druckkosten steigen, das Geld wird knapper. Attraktive Zeichnungen auf dem Cover mit knapp bekleideten Damen in wilden Posen steigern den Absatz und gelten als Ersatzdroge für die frustrierten US-Leser. "Sex sells" - das galt und gilt auch für Fantasy-Art. Manche Exemplare werden sogar zensiert, weil sie zu anstößlich sein sollen. Aber Ende der 1930er Jahre kommt zugleich eine weitere Innovation auf den Markt. Fantasy-Autoren wie J.J. Tolkien schreiben nun längere Texte und Romane. 1937 erscheint "Der Hobbit". 1954 dann folgt Tolkiens Meisterwerk "Herr der Ringe". Bücher wie "Die Chroniken von Narnia", die 1953 erscheinen, untermauern die Bedeutung des Fantasy-Genres und steigern weiter seine Beliebtheit.

Fantasy-Revolution aus Frankreich

Philippe Druillet gestaltete dieses Wandgemälde in Angoulême. Der Franzose ist einer der Mitbegründer der Comic-Reihe "Métal Hurlant"Bild: Philippe Druillet

Auch Europa erkennt das Potential der Fantasy-Kultur. 1974 erscheint das Comic-Magazin "Métal Hurlant" in Paris und bringt Frankreich als Fantasy-Standort ganz nach vorn. Das "Schreiende Metall" ist "psychedelisch" und entwickelt sich zur Plattform für europäische Künstler, um Geschichten für Erwachsene zu erzählen. Ein Vorläufer der Graphic Novel, ältere Leser fühlen sich angesprochen. Sogar Gustave Flauberts Roman "Salammbô" erscheint als Comic-Format bei "Métal Hurlant". Nicht nur die Literatur-Szene, sondern auch die Filmszene, rund um Nouvel Vague Regisseure Alain Resnais oder Federico Fellini, abonnieren "Métal Hurlant", von dem es ab 1976 auch einen Ableger in den USA sowie in anderen europäischen Ländern gibt. Nicht alle Leser können sich mit dem zunehmend sexualisierten Inhalten anfreunden. Wer den Genitalienkult nicht mitmachen will, springt auf einen neuen Fantasyzug auf, der sich parallel mit der Herr-der-Ringe-Kultur entwickelt, eingeführt von den Gebrüdern Greg und Tim Hildebrandt. Sie haben Mitte der 1970er Jahre Mittelerde und all ihren Wesen ihr optisches Erscheinungsbild gegeben.

Die Hildebrandt-Brüder schufen die Bildwelt der Herr-der-Ringe-SagaBild: The Brother's Hildebrandt

1974 erscheint auch das Rollenspiel "Dungeons and Dragons", bei dem Spielerinnen und Spieler mit Elfen-, Drachen- oder Zwergencharakteren immer neue Abenteuer erleben, die rein ihrer Fantasie entspringen. In Hollywood entsteht "Star Wars" und die Filmreihe "Alien", beide enorm erfolgreich. Der internationale Zuspruch für die Fantasy-Kultur wächst. Die Filmerfolge, aber auch der Boom digitaler Spiele und Messen wie die Comic-Con und die World Fantasy Convention fördern die Akzeptanz in der breiten Masse. Die Künstler der Fantasy Art haben es inzwischen aus der Billigecke herausgeschafft. Ihre Originale erzielen mittlerweile genauso hohe Auktionserlöse wie manch ein gefragter Maler oder Bildhauer.

TASCHEN "Masterpieces of Fantasy Art". Dian Hanson. Hardcover, Leineneinband mit Schutzumschlag, 29 x 39,5 cm, 6,78 kg, 532 Seiten, 150 Euro, taschen.com 

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