Die Farben der Revolution
16. August 2019Revolutionäre Umbrüche in vielen Ländern rund um den Erdball haben als Protestbewegung auf der Straße begonnen: Massen von protestierenden Bürgern machten ihrem politischen Unmut gegen die jeweiligen Verhältnisse ihres Landes Luft. Die Bilder von einem orangen Farbenmeer, wie 2004 in der Ukraine, oder von grünen Bändern quer durch die Massen von Demonstranten, wie im Iran, sind bis heute im globalen kulturellen Gedächtnis als Symbole für starke Protestbewegungen verankert.
Regenschirme gegen Tränengas
Auch in Hongkong hat sich durch die anwachsende Protestbewegung ein politisches Farbmuster formiert, das längst als Symbolbild in den weltweiten Nachrichten etabliert ist: Auf der einen Seite schwarzgekleidete Demonstranten, die mit massiven Protestkundgebungen zeitweise den Flughafen und ganze Viertel der Millionenmetropole lahm legen. Schwarz als Farbe der Trauer über die Entwicklung in Hongkong.
Auf der anderen Seite: weißgekleidete Gegendemonstranten, die bei den Protestmärschen für die chinatreue Politik der derzeitigen Regierungschefin Lam demonstrieren. China hatte London bei der Übernahme der ehemaligen britischen Kolonie Hongkong im Jahr 1997 Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit für mindestens 50 Jahren vertraglich zugesichert.
Bereits 2014 gingen Mitglieder der ersten Protestbewegung, die sich für die von Peking zugesagte Meinungsfreiheit und vor allem für mehr Demokratie einsetzte, massenhaft auf die Straße - "bewaffnet" mit gelben Regenschirmen. Viele Demonstranten wurden damals brutal verhaftet - wegen "Störung der öffentlichen Ordnung". Gelbe Regenschirme tauchen heute nur noch vereinzelt bei den Protestkundgebungen in Hongkong auf.
Ukraine: Die Orange Revolution
Mit knallorangen Plakaten und Protestbannern erzwang eine zivile Protestbewegung in der Ukraine - Menschen aller Schichten, Berufe und Generationen - 2004 die Annullierung einer durch Wahlbetrug manipulierten Präsidentenwahl. Orange war die Farbe der Opposition, stand für Energie, und sollte sich klar vom Rot der kommunistischen Sowjet-Ära absetzen. Oppositionskandidat Juschtschenko unterlag - schwer angeschlagen durch eine heimtückische Vergiftung - dem von Russland unterstützten Gegenkandidaten Janukowytsch, der im Wahlkampf hellblau bevorzugte.
Gallionsfigur dieser Revolution, die die Straßen der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit Fahnen und Protestbannern in leuchtendes Orange tauchte, war auch Julia Timoschenko. Anfangs vom Volk verehrt und von ausländischen Politikern hofiert, stellte sich nach kurzer Zeit heraus, wie raffiniert die kurzzeitige Ministerpräsidentin der Ukraine populistische Neigungen und einen autoritären Führungsstil hinter ihren Demokratieversprechen versteckt hatte.
Ihre Aura verblasste schnell. Nach mehrmaligen gescheiterten Versuchen, an die Macht zu kommen, landete sie am Ende im Gefängnis. Die Farbe Orange wird immer die Farbe des Umsturzes in der Ukraine bleiben. Aber die Euphorie nach der Orangen Revolution von 2004 war nur von kurzer Dauer. Der politische Alltag mit Korruption, Machtmissbrauch und dem Ränkespiel skrupelloser Politikern war stärker als die Hoffnung auf mehr Demokratie.
Iran: "The Green Wave" - die Grüne Revolution
Im Juni 2009 demonstrierten zehntausende Iraner, Männer wie verschleierte Frauen, auf den Straßen von Teheran und in anderen Städten im Iran. Sie warfen dem Mullah-Regime massive Fälschungen der Ergebnisse der letzten Präsidentschaftswahl vor. Die Führung reagierte mit aller Härte: Wehrlose Demonstranten wurden von Milizen niedergeknüppelt, es gab zahlreiche Tote und Verletzte. 4000 Menschen wurden verhaftet.
Aber die Protestbewegung war nicht mehr zu stoppen, tagelang hielten die Massenproteste an. Die Farbe Grün hatte die iranische Oppositionsbewegung bewusst gewählt: Sie gilt als Farbe des Islam. Die Unterstützer des Kandidaten Hussein Mussawi bekannten sich damit öffentlich zum Koran, um den strengen iranischen Sittenwächtern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Vor allem Frauen und junge Iraner gingen damals auf die Straße, um für mehr persönliche Freiheiten und Demokratie zu demonstrieren.
Viele filmten die Geschehnisse auf den Straßen von Teheran mit ihrem Handy. Der iranische Filmemacher und Regisseur Ali Samadi Ahadi, der 1985 vor der Rekrutierung als Kindersoldat nach Deutschland geflüchtet war, machte 2010 aus diesem Handy-Material den Dokumentarfilm "The Green Wave".
Aus Tweets, Facebook-Posts, Texten iranischer Blogger und Zeichentrickszenen, die die Brutalität des Regimes und die wütende Ohnmacht der Protestierer zeigen, montierte der Regisseur eine subjektive Geschichte der "Grünen Revolution" im Iran. Der Film lief erfolgreich auf dem Sundance Festival in den USA.
Portugal: Die rote "Nelken-Revolution"
Als am 24. April 1974 um 22:55 Uhr im portugiesischen Rundfunk das verbotene Lied "E Depois do Adeus" lief, war den Aufständischen in ganz Portugal klar, dass die Revolution beginnt. Innerhalb von wenigen Stunden besetzten die Putschisten die wichtigsten strategischen Punkte und Ministerien in Lissabon. Die Streitkräfte übernahmen landesweit das Kommando.
Als kurz darauf Panzer durch die Straßen der portugiesischen Hauptstadt rollten, wurden sie von der Bevölkerung begeistert und jubelnd empfangen. Frauen steckten rote Nelken in die Gewehrläufe der Soldaten. Der Umsturz wandelte sich zum Volksfest. Wenige Stunden später unterzeichnete Machthaber Caetano die Kapitulation: die Diktatur in Portugal war Geschichte.
Der friedliche Putsch beendete 1974 die über 40-jährige faschistische Alleinherrschaft von Diktator Salazar und seiner Gefolgsleute und Nachfolger in nur wenigen Stunden. Aber erst zwei Jahre später kam es zu ersten demokratischen Wahlen in Portugal, aus denen der Sozialist Soares als Regierungschef hervorging.
Die "Nelkenrevolution" war der Beginn einer neuen, starken Demokratiebewegung in Europa: Zuerst stürzte die Diktatur in Portugal, im gleichen Jahr 1974 dann die Militärdiktatur in Griechenland, und 1975 war das Ende von Spaniens Diktatur des General Franco. Das politische Gefüge Europas hatte sich damit entscheidend verändert.