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Politik

Kolumbiens Krieger kehren zurück

Gabriel González Zorrilla
30. August 2019

Lateinamerikas älteste Guerilla meldet sich zurück. Die Rückkehr der FARC-Guerilla zum bewaffneten Kampf ist ein Schlag gegen den schon stockenden Friedensprozess und zugleich eine Abrechnung mit Bogotá.

Kolumbien FARC
Bild: picture-alliance/dpa/EPA/C. E. Mora

Das im Internet verbreitete Video versprüht einen grotesken Retro-Charme: Etwa 20 Guerilleros stehen irgendwo im Dschungel, aufgereiht vor der Videokamera, um eine wichtige revolutionäre Botschaft in die Welt zu schicken. Alle stecken in grünlichen Militäruniformen und sind bewaffnet.

Vorne in der Mitte stehen, mit etwas Hüftgold über dem Gürtel, zwei der wichtigsten Ex-Kommandanten der einst größten und ältesten Guerilla-Organisation Lateinamerikas, der kolumbianischen FARC: Iván Márquez, ehemalige Nummer Zwei der FARC, der seit über einem Jahr untergetaucht war, und der seit Juli untergetauchte FARC-Anführer Jesús Santrich.

"Wir geben der Welt bekannt, dass die zweite Marquetalia begonnen hat", sagt Iván Márquez mit Verweis auf die ländliche Enklave "República de Marquetalia in Kolumbien, die als Ursprungsort der linksgerichteten Rebellenorganisation in den 60er-Jahren gilt.

Sowohl Márquez als auch Santrich gehörten zu den Unterhändlern des Friedensabkommens von 2016 mit der kolumbianischen Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos. Tausende von Kämpfern gaben damals ihre Waffen ab und wandelten sich in eine politische Partei um. Doch der Frust über den Verlauf des Friedensprozesses ist auf Seiten der ehemaligen FARC-Rebellen groß.

In dem 32-minütigen Video beklagt Márquez die Nichteinhaltung der Verpflichtungen aus dem Friedensabkommen durch den Staat und die damit verbundene Rechtsunsicherheit. Dies habe ihn gezwungen, "in die Berge zurückzukehren". 

Koenigs kritisiert Kolumbien

Ehemaliger Kolumbien-Beauftragter Tom Koenigs: Die Regierung in Bogotá hat die Sicherheit der Ex-Guerilleros nicht gewährleistet"Bild: imago stock&people

Diese Entwicklung sei vorhersehbar gewesen, sagt der ehemalige Sonderbeauftragte des Auswärtigen Amtes für den Friedensprozess in Kolumbien, Tom Koenigs, im Gespräch mit der DW: "Die Sicherheit der Ex-Guerilleros war in keiner Weise gewährleistet. 150 von ihnen sind umgebracht worden. Dazu kommt die Ermordung von etwa 350 Aktivisten, die sich für den Friedensvertrag eingesetzt haben. Das ist eine Situation, die für die Betroffenen schwer erträglich ist".

Koenigs vermutet, dass sich angesichts dieser Lage manch einer der ehemaligen FARC-Kämpfer zu dem Entschluss gekommen sein könnte, dass es besser sei, im Dschungel im Kampf zu sterben, als von einem Motorrad aus auf der Straße erschossen zu werden.

Koenigs bezeichnet es als "Staatsversagen", dass die kolumbianische Regierung "weder die Sicherheit der politischen Arbeit, der nicht mehr militanten FARC, noch die Sicherheit derer, die für den Frieden eintreten, garantieren konnte".

Unter dem gegenwärtigen kolumbianischen Präsidenten Iván Duque ist der Friedensprozess ins Stocken geratenBild: picture alliance/AP Photo/F. Vergara

Genauso wenig gäbe es seitens der kolumbianischen Regierung, so Koenigs, eine große Bereitschaft irgendetwas zu tun, um die Kontrolle in den Gebieten, die die FARC verlassen hat, wieder zu übernehmen. "Deswegen zerbröselt das, was mit dem Friedensvertrag erreicht worden ist, in einer sehr bedauerlichen und meines Erachtens bis zu einem gewissen Grad vermeidbaren Weise", so Tom Koenigs.

Verschleppte Landreform 

Im September 2016 hatte die Regierung des damaligen Präsidenten Juan Manuel Santos ein Friedensabkommen mit den FARC-Rebellen geschlossen. Es beendete den mehr als 50 Jahre andauernden Bürgerkrieg, der mehr als 262.000 Tote, 7,7 Millionen Vertriebene und mehr als 70.000 Verschwundene gefordert hatte. Für seinen Einsatz im Friedensprozess erhielt Santos Ende 2016 den Friedensnobelpreis. Die entwaffnete FARC sitzt inzwischen als politische Partei im Parlament.

Doch unter dem neuen konservativen Präsidenten Ivan Duque geriet der Friedensprozess ins Stocken. Die Reintegration der ehemaligen Guerilleros in die kolumbianische Gesellschaft droht zu misslingen. Auch die erhoffte Landreform scheitert am Widerstand der alten Eliten. Währenddessen hat die Entwaffnung von 12.000 Kämpfern der FARC ein Machtvakuum hinterlassen, in das Drogenkartelle, Paramilitärs und kriminelle Banden eindringen. Der Anbau von Coca und der illegale Bergbau versprechen hohe Profite.

Iván Márquez, Ex-Anführer der FARC-Rebellen, will den bewaffneten Kampf wieder aufnehmenBild: picture-alliance/dpa/EPA/E. Mastrascusa

Der Lateinamerikaexperte und stellvertretende Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, Günther Maihold, vermutet, dass die konservative Regierung von Iván Duque "nach altem kolumbianischen Muster" auf die Ankündigung der FARC-Rebellen reagieren wird: "Die denken sich: 'Wir schicken erst mal Militär und lösen das Problem auf repressive Weise, sodass wir nicht an die eigentlichen Inhalte des Friedensvertrages ran müssen'."

Experte Günther Maihold: "Bogotá will das Problem auf repressive Weise lösen"Bild: DW

Auf ähnliche Weise äußerte sich auch schon der politische Mentor von Iván Duque, der ehemalige Präsident Álvaro Uribe: "Es gab nie einen Friedensprozess, sondern nur eine Begnadigung für einige Täter von abscheulichen Verbrechen, verbunden mit hohen institutionellen Kosten", schrieb er am Donnerstag auf Twitter.

Was wird aus dem Friedenprozess?

"Der Friedensprozess ist nicht tot", meint hingegen der Direktor des Deutsch-Kolumbianischen Instituts CAPAZ in Bogotá, Stefan Peters, und verweist darauf, dass man nicht wisse, wie viele Kämpfer sich dem Aufruf des Ex-Kommandanten Márquez anschließen werden. Es käme jetzt darauf an, die große Zahl von Ex-FARC-Kämpfern bei der Reintegration in die Gesellschaft zu unterstützen und den Friedensprozess gerade in dieser Situation zu stärken und weiterzuentwickeln.

"Diese Nachricht stärkt sicher denjenigen in Kolumbien den Rücken, die sich schon zuvor kritisch zum Friedensprozess geäußert haben", so Peters. Auch in Hinblick auf die kommenden Kommunal- und Regionalwahlen im Oktober sei die FARC-Ankündigung Wasser auf den Mühlen der Hardliner.

Peters sieht die Regierung von Iván Duque in der Verantwortung: "Jetzt muss ganz entschieden seitens der Regierung deutlich gemacht werden, dass man am Friedensprozess festhält". Dem stimmt Günther Maihold im Prinzip zu, äußert sich aber auch skeptisch: "Trotz aller Friedensversuche hat es in Kolumbien nie einen Wandel der Eliten gegeben," meint er, " die traditionellen Strukturen sind geblieben."

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