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"Fassbinder Jetzt" in Berlin

Jochen Kürten17. Mai 2015

Eine umfassende Schau widmet sich dem 1982 verstorbenen Regisseur Rainer Werner Fassbinder. Wie hat er übers Kino gedacht? Und vor allem: Wie hat er Filmemacher und Künstler weltweit beeinflusst?

Deutschland Ausstellung Fassbinder – JETZT (Foto:
Bild: Courtesy Ming Wong and carlier|gebauer

Es sind Fassbinder-Festspiele in Deutschland. Der Regisseur, den viele Experten im In- und Ausland für den wichtigsten deutschen Filmemacher der Nachkriegszeit halten, wäre am 31. Mai 70 Jahre alt geworden. Eine große Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in der deutschen Hauptstadt, Dokumentationen im Kino und im Fernsehen, dazu neue Bücher über Fassbinder: am 1982 gestorbenen Regisseur kommt derzeit keiner vorbei.

Herzstück der Fassbinder-Feierlichkeiten ist die große Ausstellung "Fassbinder Jetzt", die im Kern bereits 2013 im Frankfurter Filmmuseum zu sehen war. Sie wurde für die aktuelle Präsentation um zwei große Bereiche, Werkstatt und Kostüme, erweitert. Doch gerade das, was schon in Frankfurt zu sehen war, interessiert wohl auch im runden Geburtstagsjahr des Regisseurs am meisten: Welchen Einfluss hatte Fassbinder im Ausland, warum fühlten sich nicht nur Filmemacher sondern auch viele bildende Künstler von ihm inspiriert?

Deutsch verstehen - im Kino!

Der 1971 in Singapur geborene Videokünstler Ming Wong bringt es auf den Punkt: "Die deutsche Sprache verstand ich damals nicht, aber sie verstand ich ganz genau." Mit sie meint Ming Wong die Figur der Petra von Kant aus dem Fassbinder-Film "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" aus dem Jahr 1972. Die Filme des deutschen Regisseurs lernte Ming Wong in den späten 1990er Jahren über die Goethe-Institute kennen. Er war begeistert und fasziniert von der Figurenwelt Fassbinders.

Fassbinder und sein Kameramann Michael BallhausBild: DIF Frankfurt/Foto: Peter Gauhe

"Ohne viel Vorwissen über Fassbinder geriet ich völlig unvorbereitet in die Welt von Petra von Kant." Er sei zutiefst berührt gewesen von der im Film gezeigten Welt, in der nur überspannte Frauen existierten. Die Faszination hielt an. Ming Wong, der in Singapur und London Medienkunst studierte und seitdem abwechselnd in seiner Heimat und in Berlin lebt, beschäftigte sich in den folgenden Jahren weiter mit Fassbinder.

Weltweiter Einfluss

Auch seine Installationen (Unser Bild oben) sind in Berlin zu sehen in der Ausstellung "Fassbinder Jetzt". Ming Wong ist einer von mehreren Künstlern, die sich mit Fassbinder auseinandergesetzt haben. Die Künstlerinnen und Künstler kommen aus Bangladesch und Pakistan, aber auch aus dem europäischen Ausland und den USA. Die Berliner Schau ist auch ein schönes Beispiel für den Erfolg deutscher Kulturarbeit im Ausland. Und sie macht deutlich, welch starke Wirkung Fassbinder auf das deutsche und das internationale Kino hatte.

Die Künstlerin Maryam Jafri stellt Fassbinder-Szenen nachBild: Maryam Jafri

Fassbinder war das Herzstück des deutschen Kinos in der Ära des Neuen Deutschen Films, jener künstlerischen Bewegung, die in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik zu neuen formalen und inhaltlichen Ufern aufbrach. "Fassbinder Jetzt" zeigt eindrucksvoll, dass das auch im Ausland wahrgenommen wurde und wird: "Die interkulturelle Bezugnahme ist ziemlich wesentlich für die Ausstellung", meint Anna Fricke, Co-Kuratorin der Schau. "Es zeigt, dass Fassbinders Oeuvre international rezipiert wird - mehr als einem das in Deutschland bewußt ist." Besonders im Bewusstsein junger Künstler spiele das eine Rolle, auf Filmhochschulen, aber auch auf Kunsthochschulen. Fassbinder komme im Ausland auch im Unterricht vor und werde in Goethe-Instituten gezeigt. Die Filme seien noch immer aktuell.

Deutsche Historie im Kino

Wie ist das zu erklären? Zum einen liegt es sicherlich am ästhetischen Konzept Fassbinders, das bis heute nachwirkt, zum anderen an Fassbinders inhaltlichen Akzenten. Der Regisseur beschäftigte sich in seinen 44 Filmen dezidiert mit deutscher Geschichte. "Lili Marleen" zeigte die Deutschen während des NS-Regimes. "Lola" und "Die Ehe der Maria Braun" blätterten Kapitel aus dem bundesrepublikanischen Wirtschaftswunder auf. Mit "In einem Jahr mit 13 Monden" und "Deutschland im Herbst" kommentierte Fassbinder die spannungsreiche Zeit des deutschen Linksterrors Ende der 1970er Jahre. Und sein Monumentalepos "Berlin Alexanderplatz" schließlich bot einen eindrucksvollen Blick zurück in das Deutschland der 1920er Jahre.

In "Warnung vor einer heiligen Nutte" thematisierte Fassbinder das Medium Kino selbstBild: Rainer Werner Fassbinder Foundation

Auf der anderen Seite sind die in Berlin vorgestellten Künstler, aber auch viele internationale Filmemacher, von der ausgefeilten Bildsprache Fassbinders fasziniert. Die Farbästhetik der Filme, die komplexen Kamerabewegungen, das Spiel mit Blicken und Perspektiven, das ins Extreme verdichtete melodramatische Moment seiner Filme - all das wird gern aufgegriffen. So wie Fassbinder sich auf Filmkünstler früherer Epochen berief, so beziehen sich heutige Filmemacher wie Pedro Almodóvar, François Ozon oder auch ein Martin Scorsese deutlich auf das Werk des Deutschen.

Meister des Melodramas

Speziell auf das Melodramatische trifft man bei den Künstlern und Filmemachern immer wieder. Fassbinder habe sich früh auf den aus Deutschland ausgewanderten späteren Hollywood-Regisseur Douglas Sirk bezogen, sagt Fricke, um "das Publikum zum Denken anzuregen." Er habe die Illusionsmaschine Kino benutzt, "um einen Inhalt zu transportieren". Das wiederum hätten die Künstler aus aller Welt aufgegriffen und für ihre eigenen Werke genutzt.

Bild: Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main/Foto: Peter Gauhe

Dass Fassbinder heute im Ausland stärker wahrgenommen wird als in seiner Heimat, das bestätigt auch Juliane Lorenz, langjährige Cutterin des Regisseurs und heute Verwalterin des Fassbinder-Nachlasses: "In Deutschland wird er von vielen schon allein wegen seiner Schaffenskraft für verrückt gehalten." Das sei beispielsweise in den USA anders. Amerikaner fänden Genies großartig. "Rainer hätte das nicht von sich gesagt. Aber er war wahnsinnig fleißig und er hatte Charisma und hat die richtigen, sehr begabten jungen Leute, um sich versammelt."

"Integrationskurs Fassbinder"

Ming Wong spielt in seiner Installation "Lerne Deutsch mit Petra von Kant" Szenen aus Fassbinders Film aus dem Jahre 1972 nach. Kostümiert wie die Filmcharaktere, spricht der Künstler in gebrochenem Deutsch Sätze aus dem Film. Das ist absurd und komisch zugleich. Für ihn sei der Film damals ein "selbst ausgedachter kultureller und linguistischer Integrationskurs" gewesen. Ming Wong: "Mit Inbrunst kann ich Sätze wiederholen wie 'Oh Mann, ich bin so am Arsch', 'Du ekelst mich an', 'Meinst Du, mir liegt was an Dir?', 'Wenn Ihr wüsstet, wie dreckig ihr seid'. Ironisch fügt er hinzu: "Glauben Sie mir, diese Sätze haben mir während meiner Zeit in Deutschland gute Dienste geleistet."

Die Ausstellung "Fassbinder Jetzt" ist bis zum 23. August im Martin-Gropius-Bau zu sehen. Erweitert wurde die Berliner Schau durch einen umfassenden Bereich mit Originaldokumenten, die den Schaffensprozess des Regisseurs verdeutlichen sowie Ausstellungsräume, die die Arbeit von Fassbinders langjähriger Kostümbildnerin Barbara Baum vorstellen.

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