Fasten: Im Verzicht zu Gott finden
8. Mai 2019Ob als Buße für Sünden, als Erinnerung an erlittenes Unheil oder als bewusster Verzicht zur Schärfung der Sinne für innere Einkehr und das Gebet - das Fasten ist eine Gemeinsamkeit der sonst so unterschiedlichen Weltreligionen. Auch wenn die zeitweise Entsagung körperlicher Genüsse verschieden streng wahrgenommen wird, ist sie aus dem Christentum, dem Islam, dem Judentum sowie dem Buddhismus und dem Hinduismus nicht wegzudenken.
In allen Religionen bestehe das Bedürfnis, "sich einzuschränken, das Leben auf das Wesentliche zu reduzieren und zu verzichten", erläutert Thomas Lemmen, der im Erzbistum Köln für den interreligiösen Dialog zuständig ist. Es gehe darum, "neue Dimensionen des Menschseins oder auch der Beziehung zu Gott zu entdecken", sagt Lemmen im DW-Interview. Darin gleichen sich die Religionen. Wo aber haben die verschiedenen Fastenrituale ihren Ursprung?
Christentum: Vergänglichkeit und Buße
40 Tage lang zog sich Jesus laut biblischem Bericht in die Wüste zurück. Der "Sohn Gottes" betete, fastete, widerstand den Versuchungen des Teufels. Innerlich gefestigt und gestärkt kehrte er aus der Einsamkeit zurück. An dieser Bibelerzählung orientieren sich zahllose Christen, wenn sie rund sieben Wochen lang auf Genussmittel oder Fleisch verzichten.
Die wichtigste christliche Fastenzeit beginnt am Aschermittwoch nach dem Karneval im Februar oder Anfang März, wenn den Katholiken als Symbol für Vergänglichkeit und Buße ein Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet wird. Die Fastenzeit endet am Ostersonntag: dem Tag, an dem die Auferstehung Jesu Christi nach dem Kreuzestod gefeiert wird. Die Sonntage sind offiziell vom Fasten ausgenommen. Strenge Regeln werden heutzutage kaum noch befolgt. Viele Christen entscheiden selbst, auf was sie verzichten wollen.
Schon viel früher nahmen manche es mit der Enthaltsamkeit nicht so ernst. Bereits im Mittelalter tricksten clevere Christen die kirchlichen Askese-Vorschriften aus. Weil damals an Fastentagen das Fleisch warmblütiger Tiere verboten war, verzehrte man nicht nur kaltblütige Fische, sondern auch Biber oder Otter. Gleichermaßen spitzfindig wie krude argumentierten die Verzichtsunwilligen, die Tiere lebten mehr im Wasser als an Land und seien daher Fischen gleichzusetzen.
Selbst bei Alkohol machten die Schummler nicht Halt. Sogar der Papst soll einmal ungewollt mitgeholfen haben, erzählt Religionswissenschaftler Michael Schmiedel von der Universität Bielefeld der DW. Es gebe die Geschichte von bayerischen Mönchen, die ein Fass Starkbier nach Rom brachten, um den Papst zu fragen, ob man das in der Fastenzeit trinken dürfe. "Aber bis das Fass in Rom ankam, war das Bier schlecht geworden. Der Papst probierte das Zeug, spuckte es wieder aus und sagte: 'Ja, das könnt ihr gerne in der Fastenzeit trinken'."
Islam: Offenbarung Gottes
Im Islam werden die Fastenregeln im Vergleich zum Christentum weitgehend konsequenter eingehalten - vor allem im 29 bis 30 Tage andauernden Ramadan, der als Zeit der Besinnung genutzt wird. Er erinnert daran, dass im neunten Monat des muslimischen Mondkalenders der Koran offenbart worden sein soll. Während des Ramadan verzichten Muslime tagsüber auf Essen und Trinken, Rauchen und Sex. Hilfsbedürftige erhalten Almosen. Gefrühstückt wird vor Sonnenaufgang, das Fastenbrechen geschieht täglich nach Sonnenuntergang.
Jedes Jahr verschiebt sich das Datum des Ramadan um zwei Wochen. Im Sommer, wenn die Sonne später untergeht, sind diese Fastentage also sehr viel länger als im Winter, was den Gläubigen vor allem an heißen Tagen ein erhebliches Durchhaltevermögen abverlangt. Befreit von dieser alljährlichen Pflicht sind Kinder, Schwangere, Stillende, Menstruierende, Reisende, Profisportler und Kranke. Die versäumten Tage werden bei den Erwachsenen meist nachgeholt. Der Ramadan endet mit dem großen Fest des Fastenbrechens.
Im christlich geprägten Deutschland sei die gesellschaftliche Akzeptanz für das Fastenritual der islamischen Bürger gewachsen, sagt Thomas Lemmen, der Experte für interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln. Das erkenne man daran, dass es zum Ramadan "Grußworte der Kirchen gibt, Vertreter der Politik selbst am Fastenbrechen teilnehmen oder dazu einladen. Deshalb, glaube ich, hat sich etwas gewandelt." Der Ramadan werde in der Öffentlichkeit positiver wahrgenommen. "Ob das alle Menschen in diesem Land teilen, ist nochmal eine andere Frage", schränkt Lemmen ein - wohl auch mit Blick auf die rechtspopulistische AFD.
Judentum: Zerstörung der Tempel
Die Juden haben mehrere religiöse Feiertage, an denen sie fasten. Der wichtigste im jüdischen Kalender ist Jom Kippur, der Versöhnungstag. Dieser strenge Feiertag ersetzt letztlich theologisch jene Funktion, die der Jerusalemer Tempel bis zu seiner Zerstörung durch die Babylonier und später die Römer hatte: die Versöhnung des Menschen mit Gott. Das Datum dieses Tages variiert jährlich in den Monaten September oder Oktober.
An ihrem wichtigsten Feiertag fasten Juden 25 Stunden am Stück. Sie verzichten von Sonnenuntergang an auf feste und flüssige Nahrung, Geschlechtsverkehr sowie Genussmittel wie Zigaretten. Aber auch Autofahren, Baden, Duschen, Schminken, Computerspiele oder Arbeiten sind verboten. Nichts soll vom Prozess der inneren Einkehr ablenken. Mädchen fasten ab 12 Jahren, Jungen ab 13. Viele Gläubige verbringen den Tag in der Synagoge. An Jom Kippur steht das öffentliche Leben in Israel still und wirkt auf Außenstehende wie eingefroren. Restaurants und Cafés sind bis auf die arabischen Einrichtungen geschlossen. Auf den Straßen fahren nur noch Krankenwagen, Feuerwehr oder Polizei.
Hinduismus: Reinigung der Seele
Im Gegensatz zu den drei genannten monotheistischen Religionen existieren im Hinduismus keine festgeschriebenen Fastenregeln. Oft wird vor großen Feiern gefastet. Gurus und Mönche leben allerdings einige Wochen im Jahr oder länger in Askese und verzichten auf alles, was sie nicht unbedingt zum Überleben brauchen. Im Hinduismus gebe es eine sehr große asketische Tradition, sagt der Religionswissenschaftler Schmiedel. Er verweist auf die Sadhus, die oft fast bis zum Skelett abgemagert sind.
"Diese Menschen werden von den normalen Hindus sehr hoch verehrt und oft mit dem Lebensnotwendigen beschenkt, weil die Gebenden glauben, dass sich das wieder positiv auf einen selbst auswirkt", erklärt Schmiedel. Der prominenteste Fasten-Anhänger im Hinduismus war Mahatma Gandhi (1869 - 1948), der einmal sagte: "Ich kann auf das Fasten ebenso wenig verzichten wie auf meine Augen. Was die Augen für die äußere Welt sind, ist das Fasten für die innere."
Buddhismus: Mäßigung für gutes Karma
Wie im Hinduismus gelten im Buddhismus keine allgemeingültigen Fastenregeln. Als höchsten Fasttag begehen die Buddhisten das sogenannte Vesakh-Fest. Am ersten Vollmondtag im Mai oder Juni gedenken sie dabei der Geburt, Erleuchtung und dem Tod Buddhas. Die Feierformen reichen vom besinnlichen Ruhe- und Fastentag bis hin zu faschingsartigen Umzügen. Sex, Alkohol und Fleischverzehr sind an diesem Tag tabu.
Im Vordergrund steht der Glaube an das Karma, nach der jede Handlung zwingend eine Folge hat - im Diesseits wie im Jenseits. Es gehe darum, "sich zu erinnern, dass das Dasein Leiden ist und dass man durch die Befolgung von Ritualen sein Karma auf Erden verbessert", erläutert Thomas Lemmen, der Experte für interreligiösen Dialog.
Im Gegensatz zur extremen Askese der hinduistischen Sadhus essen Buddhisten in Meditationszeiten immerhin so viel, dass sie noch satt werden. Manche buddhistischen Nonnen und Mönche nähmen "ab dem Nachmittag nichts mehr zu sich", sagt Religionswissenschaftler Schmiedel: "Erst am nächsten Morgen wieder. Das gleicht dem heutigen Intervall-Fasten." In diesem Punkt sind Buddhismus und Wellnessbewegung ganz nah beieinander.
Generell zeigt sich gerade in säkular geprägten europäischen Ländern wie Deutschland, dass auch Menschen ohne religiöses Bekenntnis zusehends stärker die Fastenzeit als Anlass nehmen für Zurückhaltung beim Essen. Die Grenzen zwischen Diät oder Fasten sind fließend.