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Kunst

Fatih Çevikkollu: Erdogan witterte ein politisches Vakuum

27. September 2018

Der türkische Präsident Erdogan ist auf Staatsbesuch in Deutschland. Warum ihm so viele Deutsch-Türken zujubeln, erklärt im DW-Interview der Kölner Kabarettist Fatih Cevikkollu.

Bildergalerie deutsche Comedians mit Migrationshintergrund Fatih Cevikkollu
Bild: picture-alliance/dpa/F. May

Deutsche Welle: Herr Çevikkollu, Sie stellen sich Ihrem Publikum gerne als deutsch-türkischer Künstler aus Köln-Nippes vor. Warum eigentlich?

Fatih Çevikkollu: Na, weil das ziemlich gut das Spektrum abbildet, in dem ich mich befinde, also deutsch und türkisch - und Nippes.

In Nippes leben ziemlich viele türkisch-stämmige Menschen?

Ja.

Und dann reiten Sie genüsslich auf Unterschieden und Konflikten zwischen Deutschen und Türken herum. Zum Spaß der Zuschauer. Wollen Sie die ins Nachdenken bringen?

Ich möchte sie zum Nachdenken bringen, aber erstmal zum Lachen. Weil Lachen die schönste Form des Kontrollverlustes ist. Wenn wir lachen, sind wir alle beieinander.

Fatih CevikkolluBild: mts-gmbh.com

Also Gemeinschaft stiften?

Ja, Gemeinschaft stiften, Verbindung stiften, Empathie fördern, Solidarität stärken – und dabei auch noch einen Riesenabend haben!

Wobei soll das helfen? Was genau ist Ihre Botschaft ?

Die Menschen, von denen wir hier sprechen, diese sogenannten Deutsch-Türken oder Türkisch-Deutschen, die identifizieren sich mit der Türkei zu einem gewissen Grad und mit Deutschland ebenfalls zu einem gewissen Grad. Die Melange aus beidem, das sind dann keine Deutschen und auch keine Türken, sondern Hybride - das 'Beste aus den 1960ern, 70ern, 80ern, 90ern und die Hits von heute', sozusagen.

Trotzdem: Deutschland und die Türkei haben unterschiedliche Kulturen. Da wäre schon noch was anzugleichen – ist das Ihre Botschaft?

Die Botschaft ist nicht das Angleichen, sondern das Gewahrwerden. Es geht um Bewusstsein-Schaffen: Wie sehr kann ich behaupten, dass ich Türke bin, wenn ich hier geboren und aufgewachsen bin? Wie sehr kann ich sagen, dass ich Deutscher bin, ohne dass die Dominanzgesellschaft es mir abspricht? Dazu kommt die Selbstbestimmung, dass ich diese Entscheidung gar nicht der Dominanzgesellschaft überlasse, sondern selbst definiere was deutsch und was türkisch ist.

Ich habe den Eindruck, man muss da noch ganz schön viele Begriffe klären, bis man sich versteht.

Anti-Erdogan-Demonstration in Berlin Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Ja, das liegt zum Teil auch an der Geschichte der Migration hier in Deutschland. Es gab lange das Narrativ, dass wir kein Einwanderungsland sind. Es gab die traumatischen Ereignisse von Solingen (Beim rechtsextremen Brandanschlag von Solingen am 29. Mai 1993 starben fünf Menschen, 17 wurden verletzt/Anm.d.R.). Oder auf politischer Ebene: Helmut, der dicke, geschmierte Kanzler Kohl sagte, dass er keinen "Beileidstourismus" macht. Und so weiter. Da hat sich ein Bild ergeben von: 'Die dürfen und brauchen hier nicht sein.' Parallel dazu hat sich bei einigen die Idee festgesetzt: 'Wir gehen eh zurück'. In diesem Dunstkreis, diesem Spannungsfeld sind wir, die zweite Generation, die wir jetzt um die 40 sind, aufgewachsen. Durch diesen Druck ist so manches Stück zum Diamanten geworden.

Seit der erste Türke nach Deutschland kam, ist eine Menge Wasser den Rhein hinunter geflossen. Fühlen Sie sich heute noch zwischen den Stühlen?

Nein. Zwischen den Stühlen klingt merkwürdig, weil es ein Nicht-Platz-gefunden-haben impliziert. Das ist nicht der Fall. Ich fühle mich hier in Deutschland sauwohl, heimisch und verbunden. Und ich genieße es, in Istanbul, Antalya oder Izmir auszusteigen und auch da dieses Gefühl von Verbundenheit zu spüren. Das hat viel mit Sprache zu tun: Ich spreche beide Sprachen. Sprache ist das höchste Gut, ein Schlüssel zur anderen Welt. Ich besitze mehrere Schlüssel zu mehreren Welten.

Manchmal braucht es auch eine TÜV-Bestätigung. "Ich zerlegte Deutschland in 0,7 Sekunden souverän in Mittelgebirge, wusste sofort, wer Caspar David Friedrich ist – ich hatte ja alle seine Platten im Original – und ließ mir den Artikel 1 des Grundgesetzes in Fraktur auf den Unterarm tätowieren. So erscheint der starke Arm des Gesetzes in ganz neuem Licht", heißt es in Ihrem Buch"Der Moslem-TÜV." Würde Präsident Erdogan, der jetzt nach Deutschland kommt, den Moslem-TÜV bestehen?

Erdogan würde den gar nicht machen. Der kommt in seiner präsidialen Hochherrschaftlichkeit und sagt 'Wo ich bin, ist die Türkei!' Ein für ihn legitimer Gedanke. Und diese Botschaft trägt er halt hierhin.

Er kommt nach Deutschland und sagt damit implizit: 'Auch hier ist Türkei'?

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der TürkeiBild: picture-alliance/Anadolu Agency/V. Furuncu

Ja. Das traurige ist, hier in Deutschland haben wir es verpasst, den türkischstämmigen Menschen eine Zugehörigkeit zuzusprechen. Jahrzehntelang hat sich keiner gekümmert: Den Türken war es egal, den Deutschen war es egal. Und jetzt kommt einer, der dieses politische Vakuum wittert. Der gesehen hat: Hey, das sind Stimmen. Geh ich mal hin und schmier' ihnen Salbe auf die Wunde der Nicht-Zugehörigkeit, des Nicht-Teilhaben-Könnens, des nicht Anerkannt-Werdens. Er sagt, wir sind Türken, ich habe Euch nicht vergessen. Wir sind ein Land, wir stehen hinter Euch. Genau in diese Lücke ist Erdogan reingegrätscht. Und ich frage mich: Warum haben wir das hier in Deutschland nicht geschafft? Meine These ist, weil diese Haltung nicht sehr stimmenbringend war. Stimmen bringt es eher, dagegen zu sein und auszugrenzen.

Vertieft so ein Staatsbesuch die Kluft zwischen Deutsch-Deutschen und Deutsch-Türken?

Das größte Problem ist, dass dieser Konflikt die Menschen gegeneinander aufhetzt. Denn seien wir ehrlich: Dass ein Staatspräsident kommt und wieder geht, ist doch eigentlich nur eine Randnotiz. 

Was muss passieren, damit Deutsche mit türkischen Wurzeln weniger zum Bospurus schielen, sondern sich in Deutschland zuhause fühlen?

Teilhabe. Auf Augenhöhe!

Fatih Çevikkollu, Jahrgang 1972, ist Theater-, Film- und Fernsehschauspieler und Kabarettist mit türkischen Wurzeln. Für sein erstes Soloprogramm "Fatihland" wurde er 2006 mit dem Prix Pantheon Jurypreis ausgezeichnet.

Mit Fatih Çevikkollu sprach Stefan Dege

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