Fatih Akin verschwelgt sich in Klangwelten
10. Juni 2005Auch in Istanbul gibt es Hip-Hop. Auch in Istanbul gibt es Rock. Und - ja, auch in Istanbul gibt es Straßenmusiker. Wäre auch seltsam, wenn dem in der 15-Millionen Stadt nicht so wäre. Immerhin diese Annahmen bestätigt Fatih Akins neuer Film. Der deutsch-türkische Regisseur stellt seinem Istanbul-Portrait ein Konfuzius-Zitat voran: "Willst du ein fremdes Land und seine Bewohner verstehen, studiere zuerst ihre Musik." Ein viel versprechender Versuch, der nach Wim Wenders "Buena Vista Social Club" einen Hype um Kuba und kubanische Musik entfesselt hat. In "Crossing the Bridge" bleibt es, soviel vorweg, bei der Vorstellung von Musik. Die Menschen, die sie machen, lernt man so gut wie gar nicht kennen.
Existenzialistenrocker auf Expeditionstour
Protagonist und Mittler zwischen den musikalischen Welten Istanbuls ist einer, der den Sound der Stadt studieren will: Alexander Hacke, Bassist der deutschen Band "Einstürzende Neubauten". Er hat Fatih Akin schon für "Gegen die Wand" nach Istanbul begleitet und einige Stücke für den Erfolgsfilm komponiert. Nun kommt er zurückt, will die Musik entdecken und sein eigenes musikalisches Spektrum erweitern. Aufnahmegerät und Instrumente im Gepäck, spielt er mit Folkloremusikern auf einem Partyboot, macht Aufnahmen von jugendlichen Rappern, spielt schließlich mit der in der Türkei vergötterten Sängerin Sezen Aksu ein altes Istanbul-Lied neu ein.
Eigentlich eine gute Idee, dem Zuschauer die neue musikalische Welt durch jemanden zu erschließen, der sie selbst gerade kennen lernt. Das Problem ist nur: Es wirkt nicht echt. Etwas aufdringlich führt Hacke in wohl selbst geschriebenen Off-Kommentaren von einem Schauplatz zum anderen. "Und es begab sich zu der Zeit, als die Folkloreband noch einen Bassisten brauchte. Da bin ich sofort eingesprungen."
Zunächst stürzt sich Hacke in die Musikszene, die ihm am nächsten ist. Er trifft verschiedene türkische Rockbands auf Konzerten und bei Proben. So auch eine Grungeband ("Freunde des kultivierten Geschreis"), die sich nach langen englischsprachigen Jahren wieder auf die Bildkraft der Muttersprache besinnt. Oder eine englische Gruppe, die sich als lebendiger Widerspruch des "Clash of civilizations" inkarniert. Nirvana-artiges klingt mit türkischen Texten jedenfalls wunderbar melancholisch. Und die Verbindung von türkischer Folklore und Rock ist für West-Europa tatsächlich eine schöne neue Welt. Für Istanbul allerdings nicht.
Leonard Cohen auf türkisch
Hacke trifft auf einem Festival Erkin Koray, einen türkischen Leonard Cohen, der die Türkei seit mehr als 30 Jahren mit Gitarrenklängen beglückt. Seinerzeit provokant, ist er nun Idol für die türkische Rockszene von heute. Selbst die kiffenden Straßenmusiker, deren Lieder sich Protagonist Hacke grinsend anhört, beziehen sich in ihren Texten auf ihn. Von Koray erfährt man, dass er sich immer wieder ausprobieren will, von den Straßenmusikern, dass das Leben auf der Straße wirklich "hart wie Stein ist". Man merkt, dass Akin kein Dokumentarfilmer ist. Er scheint nicht nachzufragen, lässt die Personen nicht echt erscheinen, sondern zeigt plakative Statements, von Musik untermalt.
Es gibt natürlich Ausnahmen, wie die Exkursion in die Hip-Hop Szene. Rapper Ceza legt sein Gangster-Image zugunsten politischer Überzeugungen ab, spricht über Holocaust und Arbeitslosigkeit. Wie in Zeitraffer schmettert er seine Anklagen dem Publikum entgegen und beweist, dass türkisch für schnelle, offensive Wortakrobatik eine optimale Sprache ist. Hier nimmt sich Akin Zeit, lässt Freunde und Familie des bekannten Rappers zu Wort kommen. Seine schöne Schwester, die dem Vorbild des Bruders nacheifert, seinen alten Vater, der überzeugt ist, dass Hip Hop die beste Musik für eine moderne Türkei ist.
Weniger wäre mehr gewesen
Doch Fatih Akin will unbedingt alle Facetten zeigen. Er führt seinen musikalischen Boten zu einer Roma-Session mit Gitarre, Geige und Klarinette, deren freie Improvisation an jiddischen Klezmer erinnert. Er lässt den Schauspieler noch Orhan Gencebay musizieren, den "Elvis der Arabesque Musik". Er bekommt die türkische Pop-Diva Sezen Akzu vor die Kamera, die nach der Neueinspielung eines Hits aus den 1980ern extra noch 20 Sekunden lang traurig in die Kamera schaut. Schade nur: sie sagt kein Wort.
Akin arbeitet, so scheint es, eine Liste ab, macht Häkchen hinter Musikstilen und Stars, die er nach seinem Ruhm in Cannes nun endlich vor die Kamera bekommt. Um den Preis, niemandem nahe zu kommen. Alexander Hacke bringt es am Ende des Films auf den Punkt: "Ich konnte die Magie dieser Stadt nicht entschlüsseln, ich habe nur an der Oberfläche gekratzt."