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FDP-Politiker und Menschenrechtsanwalt Gerhart Baum ist tot

15. Februar 2025

Er war der Doyen des Liberalismus in Deutschland. Der frühere Innenminister der FDP erlebte nach dem Ende der sozialliberalen Koalition einen Karriereknick - weil er seinen Überzeugungen treu blieb.

Deutschland 2024 | Langjähriger FDP-Politiker Gerhart Baum am Rednerpult des Bundestages
Liberal, konsequent, unbequem: Gerhart BaumBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Der FDP-Politiker gehörte von 1978 bis 1982 der sozialliberalen Bundesregierung an, also einer Koalition aus Sozialdemokraten (SPD) und den Freien Demokraten. Seine Amtszeit wurde überschattet durch den Terror der Rote-Armee-Fraktion (RAF). Dabei wurde Baum von der oppositionellen CDU/CSU heftig angegriffen, weil er den Gewalttaten nicht nur durch die Härte des Rechtsstaats, sondern auch mit Dialog - etwa in einem aufsehenerregenden Gespräch mit dem früheren RAF-Terroristen Horst Mahler - zu begegnen suchte.

Baums Zeit als Bundesinnenminister - hier 1978 in seinem Bonner Büro - endete mit dem Bruch der sozialliberalen Koalition 1982Bild: Heinrich Sanden/picture alliance

Mehr als zwei Jahrzehnte lang, von 1972 bis 1994, saß Baum für seine Partei im Bundestag. Als ihm 1982 - nach der Ablösung des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum - das Amt des Justizministers unter CDU-Regierungschef Helmut Kohl angeboten wurde, lehnte er ab.

Mit der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt - links auf der Regierungsbank - endete auch Gerhart Baums Zeit als Minister (hier am Rednerpult vor der Abstimmung über das konstruktive Misstrauensvotum am 1. Oktober 1982)Bild: Martin Athenstädt/dpa/picture-alliance

Baum verweigerte sich der von führenden FDP-Politikern wie dem damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher vorangetriebenen "Wende" hin zur Union. Dennoch wurde er im gleichen Jahr zu einem der stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt; seine politische Karriere hatte ihren Höhepunkt indes überschritten.

Gegen den Wirtschaftsliberalismus

Baum gehörte fortan mit seinem 2020 gestorbenen Freund Burkhard Hirsch zur Gruppe sozialliberaler FDP-Mitglieder, die sich zusammen mit Hildegard Hamm-Brücher und später auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zum sogenannten Freiburger Kreis zusammenschlossen.

Mehrfach verteidigte Gerhart Baum die bürgerlichen Freiheitsrechte in Karlsruhe (hier 2016 im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts mit dem Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, links, und seinem Parteikollegen Burkhard Hirsch)Bild: Uli Deck/dpa/picture alliance

Nach dem Ende seiner Abgeordnetentätigkeit war er für mehrere Jahre Leiter der deutschen Delegation bei der UN-Menschenrechtskommission. Später nahm der studierte Rechtswissenschaftler, dessen Vater und dessen Großvater schon Juristen waren, seine Anwaltstätigkeit wieder auf.

Verteidiger der Bürgerrechte

Neue Popularität erreichte Baum dabei vor allem als Mitinitiator mehrere erfolgreicher Verfassungsbeschwerden gegen Gesetzespakete wie den sogenannten Großen Lauschangriff - die akustische Wohnraumüberwachung - oder die Vorratsdatenspeicherung, worin er Angriffe auf geschützte Grundrechte der Bürger sah.

Gerhart Baum war in vielen Talkshows der älteste Teilnehmer - doch seine Memoiren überschrieb er mit dem Titel "Meine Wut ist jung"Bild: Thomas Bartilla/Geisler-Fotopres/picture alliance

Immer wieder wandte er sich gegen eine Aufweichung des Rechts auf Privatsphäre, aber auch gegen eine Abschwächung des Demonstrationsrechts oder des Rechts auf Asyl. Mit seiner Frau gründete er die Gerhart-und-Renate-Baum-Stiftung, die ab 2016 einen mit 10.000 Euro dotierten Menschenrechtspreis vergab. Noch hochbetagt stritt er in Talkshows für sein Verständnis von Liberalismus. Sein letzter großer Erfolg lag erst wenige Jahre zurück: 2022 verhandelte er für die Angehörigen der Opfer des Olympia-Attentats von 1972 eine Einigung mit der Bundesregierung.

Fluchterfahrung als Familienschicksal

Stets blieb seine politische Arbeit durch die eigenen biographischen Wurzeln und die Erfahrungen seiner frühen Jahre grundiert. Baums Mutter, die in Moskau geboren wurde, musste 1917 angesichts der Russischen Revolution mit ihren Eltern nach Berlin fliehen; später lebte sie mit der Familie in Dresden. Im Zweiten Weltkrieg folgte abermals eine Flucht Richtung Westen: Mit ihren drei Kindern kam die Mutter zunächst am Tegernsee unter, später ging es nach Köln - in jene Stadt, die Gerhart Baum bis zu seinem Tod als Hauptwohnsitz wählte.

Die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg hatte Baum als Schüler hautnah miterlebt - die Bilder des Schreckens wurden im Alter wieder wachBild: picture alliance/akg-images

Die Schrecken des Krieges gingen ihm nie mehr aus dem Kopf. Die Bombardierung Dresdens in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 erlebte er hautnah mit, Wohnung und Besitz der Familie wurden zerstört, Freunde und viele Mitbürger starben unter den Trümmern, er sah "Berge von Leichen" - Bilder, die ihn im Alter nach eigener Aussage wieder einholten, als er im Fernsehen den Krieg in der Ukraine verfolgte.

In einem seiner letzten Gespräche mit der Deutschen Presse-Agentur räumte er ein: "Weltweit schwächeln die Demokratien." Das war für ihn aber kein Grund zur Resignation, sondern Ansporn zum Weiterkämpfen. Baum blieb hoffnungsvoll: "Wir haben immer noch eine stabile Demokratie und keine gespaltene Gesellschaft. Reden wir uns das nicht ein. Wir haben Gefährdungen der Freiheit, vor allem durch Rechtsextremismus, das nehme ich sehr ernst. Aber immer noch haben wir eine sehr starke, geglückte Demokratie."

jj/se (dpa, afp, rtr, munzinger)