1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

FDP und Grüne - geht das?

29. September 2017

Die Liberalen sind wieder im Bundestag und zugleich stärkster Partner der Union in der sich abzeichnenden Jamaika-Koalition. Die FDP als möglicher Partner der Grünen - kann das gutgehen?

Deutschland Christian Lindner und Cem Özdemir bei ZDF-Gesprächsrunde Maybritt Illner (2013)
Bild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Wie schnell sich Dinge ändern können. "Für Jamaika fehlt mir inzwischen die Fantasie", hatte Christian Lindner noch zwei Wochen vor der Wahl dem Nachrichtenmagazin Focus gestanden. Das hatte nicht nur mit der politischen Exotik dieses Premierenpaktes auf der großen Berliner Bühne zu tun. Grüne und bayerische Christsoziale in einer Mannschaft sind schon Zumutung genug für beide. Ungefähr so empfinden sich auch Grüne und Liberale. Am liebsten pflegen sie ihre wechselseitigen Vorurteile.

Bloß keine Provokationen!

Das, was noch gar nicht steht, wirkt schon jetzt wie ein zänkischer Haufen. Jamaika aber bleibt als einzige rechnerische Option für Angela Merkel. Und das allein ist der politischen Schwindsucht der SPD geschuldet. Bei nur noch knapp 20 Prozent wollte wirklich niemand mehr unter den Genossen den Satz des früheren Parteivorsitzenden Franz Müntefering hören, demnach Opposition "Scheiße" sei.

Erfolg und Genugtuung: FDP-Anhänger bejubeln den Wiedereinzug in den BundestagBild: Reuters/R. Orlowski

Schwarz-gelb-grün wäre die größte programmatisch-ideologische Spreizung eines politischen Bündnisses in Berlin. Zumindest die äußersten Pole der bürgerlichen Mitte wären unter einem Dach vereint. Das klingt nach einem politischen Himmelfahrtskommando. Wenn jede Seite das Maximale fordert und die Schmerzpunkte des anderen ignoriert, wird es auch so enden. Doch Gegensätze bei gemeinsamer Verantwortung zwingen auch zu Disziplin und Rationalität.

Was geht und was nicht geht

Noch wird nicht einmal sondiert, doch einige politische Großthemen sind schon per se ideologisch kontaminiert. Für die Grünen ist eine Obergrenze beim Asylrecht nicht verhandelbar, die Liberalen sperren sich gegen mehr Datenschutz aus Sicherheitsgründen. Werden sie zur conditio sina qua non erklärt, wird es schon in den Koalitionsverhandlungen krachen.

Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten. Beide wollen Braunkohle-Kraftwerke abschalten. Die Grünen aus ökologischen Gründen, die Liberalen aus ökonomischen. Sie wollen keine Subventionen für eine alte Technik bezahlen. Doch mit einem Kontroversthema in die Verhandlungen zu gehen - egal von welcher Seite - käme einer Brüskierung gleich.

In der Europapolitik will die FDP auf keinen Fall neue Geldtöpfe für Transferleistungen unterstützen. Das will auch der neue französische Präsident Macron nicht. Die Grünen sind in der Frage noch unentschlossen. Einig sind sich beide in der Türkeipolitik. Solange Erdogan sein Land wie eine Despotie führe, müssten die Beitrittsverhandlungen ruhen.

Frust in Bayern: Die CSU wäre in der Berliner Jamaika-Premiere das schwächste Glied der Koalition Bild: Getty Images/L. Preiss

Halbwegs an einem Strang ziehen grün und gelb beim Thema Bürgerrechte. Beide sind gegen die Vorratsdatenspeicherung. Und auch beim Thema Cannabisfreigabe ist die Deutungslücke kleiner als vermutet. Nicht mehr nur die Grünen wollen die weiche Droge legalisieren, auch die FDP ist da mit dabei und fordert, die Qualität der Rauschpflanze durch lizensierte Geschäfte sicherzustellen.

Diese und andere Schnittmengen sollen - ersten Medienberichten zufolge - schon zur Kontaktaufnahme der beiden Koalitions-Juniorpartner in spe geführt haben. Stimmen die Angaben der "Rheinischen Post", dann haben sich Grün und Gelb sogar schon auf die Ressorts geeinigt. Demnach übernähme die FDP das Finanz- und Justizministerium, sowie ein zum Superministerium umgebautes Bildungsministerium plus Zuständigkeit für Digitalisierung und Technologie. Die Grünen erhielten das Außenamt, das Entwicklungshilfe- und Umweltministerium.

Regieren aus der Fraktion heraus

Das alles klingt nach mehr Konsens und Regierungsbereitschaft, als unterstellt wurde. Probleme könnte es aber von ganz anderer Seite für die angeschlagene Kanzlerin geben. Was das Jamaika-Modell aus Sicht Merkels besonders schwierig machen würde, wäre eine Verlagerung der Parteienmacht aus dem Kabinett heraus. Bei den Grünen ist es schon von Beginn an ein heiliges Gesetz, alle Macht der Basis zuzubilligen. Was auch immer in der Koalition politisch festgeschrieben wird, muss sich bei den Grünen ein Votum von den Parteimitgliedern abholen. Das ist in der vertikal organisierten Union eher unbekannt.

Und auch die FDP plant allem Anschein nach die Machtbasis nicht bei den liberalen Ministern am Kabinettstisch Merkels zu versammeln, sondern in die Bundestagsfraktion zu verlagern. Was eine logische Erklärung dafür ist, warum Christian Lindner, Kopf und Stimme der wieder erstarkten FDP, nicht als Minister in die Regierung drängt, sondern als Fraktionschef aus dem Bundestag heraus Einfluss nehmen will.

Protestpartei der Besserverdienenden

So oder so: Das Experiment Jamaika wird erstmals auf der großen Berliner Bühne gespielt werden und dort haben FDP und Grüne demnächst Premiere als Partner. Das ist auch soziologisch gesehen interessant. Denn die mutmaßlichen Antipoden sind weit weniger verschieden, als ihnen immer unterstellt wird. Beide rekrutieren ihre Anhänger aus der bürgerlichen Mitte. Der grüne wie der gelbe Prototyp ist zwischen 35 und 55, im Regelfall studiert und gut ausgebildet und verdient mehr als der Durchschnitt. Und beide sind vornehmlich im Westen zuhause - vor allem in den Städten.

Im Wahlkampf schon mal eng beieinander: Grüne und gelbe Wähler kommen beide aus der gebildeten bürgerlichen Mitte Bild: Imago/R. Traut

Während sich die Grünen in ihrer frühen Phase als klassische Protestpartei - vor allem im Umweltschutz, aber auch in ihrem Demokratieverständnis - verstanden haben, gelten inzwischen auch die neuen Lindner-Liberalen als Protestpartei. Mit dem Zusatz: der Besserverdienenden. Sie wollen ein Ende der Subventionspolitik und eine neue Steuerpolitik. Letztere vor allem mit dem Zusatz Senkung.

Damit gehen die Liberalen allerdings als gebrannte Kinder dezent um. Ihr Niedergang vor vier Jahren war auch das Ergebnis einer kaum bemäntelten Klientelpolitik für Freiberufler, Mittelständler und generell für Besserverdienende. Eine solche Verengung ihrer Politikziele will die FDP vermeiden. Wie auch die Grünen längst keine Öko-Spartenpartei mehr sind, sondern für alle Politikfelder Kompetenz reklamieren.  

 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen