Eschenbach in Washington
16. August 2013Christoph Eschenbach zählt zu jenen Dirigenten, die im Alter noch einmal an Wirkung und Ausstrahlung gewinnen. Das ist jetzt auch in Washington in seinem letzten Saisonkonzert mit dem National Symphony Orchestra zu spüren. Bei der Aufführung von Dimitri Schostakowitschs fünfter Sinfonie hält er den orchestralen Riesenapparat mit einer unglaublichen Mühelosigkeit zusammen. Er ist konzentriert, ist ganz bei sich und steht wie der Fels in der Brandung inmitten der Klangmassen, die Schostakowitsch in seiner Partitur organisiert hat.
Als Christoph Eschenbach 1972 den Sprung auf das Dirigentenpult wagte, da war er bereits ein vielgefragter Pianist und Liedbegleiter. Anders als manch anderer Quereinsteiger hat er seinen Weg als Dirigent gemacht.
Eschenbach und Amerika
Dieser Weg führte ihn nicht nur zu deutschen und europäischen, sondern vor allem auch zu amerikanischen Orchestern. 1988 leitete er im texanischen Houston mehr als 10 Jahre das dortige Sinfonieorchester. Als Musikdirektor des renommierten Ravinia Sommerfestivals und als Chefdirigent des Philadelphia Orchestra dirigierte er dann die amerikanischen Spitzenensembles.
In Washington hat er vor zweieinhalb Jahren ein Orchester übernommen, das zwar im berühmten Kennedy Center auftritt, aber eher im Mittelfeld zu finden war.
Aufbauarbeit in Washington
Eschenbach arbeitete intensiv und schaffte in kurzer Zeit einen gewaltigen Sprung nach vorne, wie er der Deutschen Welle sagte: "Was mich jetzt so begeistert am Orchester ist neben aller Musikalität und dem musikalischen Können das Aufblühen der Persönlichkeiten; das sind alles jetzt blühende Persönlichkeiten geworden."
Aufregend ist Eschenbachs Repertoirepolitik in Washington auf den ersten Blick nicht. Er verharrt bei Klassik und Romantik, wagt sich mit Schostakowitsch auch ins 20. Jahrhundert vor und geht ganz selten mit zeitgenössischer Musik auf sein Publikum zu.
Im letzten Jahr dirigierte er in einem Konzert Werke von Wagner und Tschaikowsky. Neben Wagners Liebestod waren Romeo und Julia von Tschaikowsky zu hören. Was woanders vielleicht ein Allerweltsprogramm wäre, präsentierte sich hier als großes Klang-Kino. Eschenbach spannte einen in sich stimmigen Spannungsbogen und die Musiker des National Symphony Orchestra zeigten eine wunderbare Klangkultur.
Kaum Unterschied zwischen amerikanischen und europäischen Orchestern
Glaubt man Eschenbach, unterscheiden sich amerikanische von europäischen Orchestern kaum noch. Früher war das anders: "Da gab es mal einen großen Unterschied vor 50 Jahren. Man sagte die amerikanischen Orchester sind ziemlich virtuos aber etwas kühl, wohingegen die europäischen Orchester warmherziger spielen aber etwas schlampiger. Das hat sich sehr verändert durch die Medien und die Tourneen. Beide Kontinente haben sich angenähert. Jetzt ist es so dass die europäischen Orchester überhaupt nicht mehr schlampig sind und die amerikanischen Orchester überhaupt nicht mehr kühl spielen."
Spricht man mit Eschenbachs Musikern, so schätzen sie an ihrem Maestro neben seiner freundlichen und entschiedenen Art auch gerade seine deutschen Wurzeln. Die Konzertmeisterin Nurit Bar-Josef beispielsweise spricht es aus, wenn sie Eschenbach in einer deutschen Musiktradition sieht und insbesondere seine Interpretation der europäischen Klassik schätzt: Hier im Kennedy Center deutsche Musik zu spielen, "feeling German", das sei das Größte, sagt sie.
"Feeling German" im Kennedy Center
Washington sei zu beneiden um diesen Dirigenten aus Deutschland, schwärmt auch Janet Brown, deren Familie zum Kreis der "Doner" gehört, die das Orchester mit großen finanziellen Beträgen unterstützen. Zu den vielen Qualitäten, die man in den USA von einem deutschen Dirigenten erwarte, gehöre eine intensive Detailarbeit und der Ehrgeiz, die Musiker mit großer Disziplin auf das höchstmögliche Niveau zu bringen.
Eschenbach und das Orchester wissen, was sie den privaten Geldgebern verdanken. Mehr als 95 Prozent ihres Etats müssen selbst erwirtschaftet werden, mit Eintrittsgeldern oder eben durch Sponsoren. Mit ihnen verbringt Eschenbach bis zu vier Abende wöchentlich, wenn er in Washington ist.
Und so sieht Eschenbach die Unterschiede zwischen Deutschland und den amerikanischen Orchestern weniger auf der musikalischen Ebene, als im Finanzierungssystem. Weil die Orchester alle privat finanziert werden, so Eschenbach, " muss ein riesiger Apparat hinter dem Orchester stehen, um das Geld zu beschaffen. In Europa ist das nicht so, allerdings wird das Geld auch in Europa knapp, und so müssen wir dort auch von dem amerikanischen Format lernen."
Enger Kontakt zu den Geldgebern
Regelmäßig lädt das Orchester seine Unterstützer zum Probenbesuch ein. Diesmal sind mehr als Vierzig gekommen und haben neben den Musikern auf der Bühne Platz genommen.
"Ich finde das wunderbar", sagt Christoph Eschenbach, "die reißen sich sogar darum, dass sie mit dem Orchester auf der Bühne sitzen und eine Probe erleben können. Und die sind mit Begeisterung bei uns und so ist es für uns sehr gut, diese Begeisterung zu schüren".
Bei aller Abhängigkeit von reichen Förderern steht das National Symphony Orchestra noch gut da. Nicht wenige amerikanische Orchester, darunter auch einige unter den berühmten "Big Five" aus Philadelphia, New York, Cleveland, Chicago und Boston, haben mit den Folgen der Finanzkrise zu kämpfen. Da ihre Geldgeber Vermögen verloren haben, fließen auch die Zuwendungen spärlicher. Das National Symphony Orchestra ist als Orchester der Stadt Washington und des ganzen Landes im Notfall gleich zweifach abgesichert.
Washington, Stadt der Musik
Auch wenn Washington vor allem für Politik und nicht für klassische Musik steht, fehlt es Eschenbach nicht an dem nötigen Selbstbewusstsein. Washington sei trotz allem auch eine Stadt der Musik, sagt er mit verschmitztem Lächeln: "Da muss ich eigentlich uns selber loben, dass mit uns und dem Opernorchester gleich zwei hervorragende Orchester im Kennedy Center sitzen. Also es passiert schon musikalisch ziemlich viel."
Bis 2014 geht der Vertrag von Christoph Eschenbach. Gut möglich, dass er auch danach noch dafür sorgt, dass die klassische Musik der Politik in Washington Paroli bieten kann.