1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Feilschen um die irakische Verfassung

27. Juli 2005

Die neue irakische Verfassung soll den Islam als wichtigste Rechtsgrundlage für das Land festschreiben. Ansonsten gilt "gleiches Recht für alle" - im Prinzip. Fraglich ist jedoch, ob der Text rechtzeitig fertig wird.

8. März 2004: Die Übergangs-Verfassung wird unterschriebenBild: AP


"Der Islam ist die offizielle Religion des Staates, die wichtigste Quelle der Gesetzgebung - kein Gesetz kann dem Islam widersprechen", heißt es im Entwurf der Verfassung, der am 26. Juli in der Regierungszeitung "Sabah" veröffentlicht wurde. In dem seit März 2004 geltenden bisherigen Grundgesetz wurde der Islam lediglich als "eine Quelle" der Gesetzgebung genannt. Auch jetzt gilt bereits, dass Gesetze dem Islam nicht zuwiderlaufen dürfen. Sie dürfen aber auch nicht "demokratische Prinzipien" oder "Grundrechte" verletzen - dieser Verweis taucht im Entwurf der neuen Verfassung nicht mehr auf.

Schiiten beim Freitagsgebet in BagdadBild: AP

Was steht im Entwurf?

Logo der irakischen NationalversammlungBild: AP

Arabisch soll die offizielle Landessprache sein, im kurdischen Teil daneben auch das Kurdische. Die Nationalversammlung soll für eine Legislaturperiode von vier Jahren gewählt werden. Sie soll den Präsidenten und die beiden Vize-Präsidenten bestimmen, die jeweils für eine Dauer von fünf Jahren im Amt bleiben sollen und nicht wiedergewählt werden können. Verboten werden dem Verfassungsentwurf zufolge "fundamentalistisches" und "terroristisches" Gedankengut. Die Baath-Partei des von den USA gestürzten Ex-Präsidenten Saddam Hussein wird für illegal erklärt.

Bild: AP

Der Irak sei Teil der arabischen und moslemischen Welt. Die "Identität des irakischen Volkes" sei moslemisch, aber alle Religionen sollten "respektiert" werden, heißt es in dem Textentwurf weiter. Die islamische Scharia wird aller Wahrscheinlichkeit nach eine bedeutende Rolle im Zivilrecht spielen. Das geht aus dem Entwurf eines Kapitels hervor, der der Nachrichtenagentur AP vorliegt. Insbesondere dürfte das auf Kritik bei Frauenrechtlern und -innen stoßen, die einen Verlust der Rechte bei Heirat, Scheidung und in Erbfragen befürchten.

Gleiches Recht für alle?!

Irakkarte: Bevölkerungsgruppen Kurden, Schiiten, SunnitenBild: AP/DW

Die Verfassung garantiert den Irakern das Recht auf Leben und Sicherheit sowie Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Die Bürger erhalten das Recht auf Schutz ihrer Privatsphäre, Durchsuchungen und Beschlagnahmen werden eingeschränkt. Männer und Frauen haben dieselben politischen Rechte, einschließlich des passiven und aktiven Wahlrechts. Folter ist verboten.

Die beiden wichtigsten Nationalitäten des irakischen Volkes seien Araber und Kurden, heißt es in dem Textentwurf. Genannt werden auch Turkstämmige, Chaldäer, Assyrer, Syrer, Armenier, Sabäer und andere Volksgruppen. Gleichzeitig wird Kurdisch neben Arabisch zur zweiten offiziellen Landessprache aufgewertet. Sprachen von Minderheiten wie Turkmenen und Assyrern werden in Regionen, in denen sie gesprochen werden, als offizielle Sprachen akzeptiert.

Alle seien "vor dem Gesetz in Rechten und Pflichten gleich", heißt es in dem Text. Mit einer Einschränkung: Der irakische Verfassungsausschuss will offenbar in Irak geborene, seit langem im Exil lebende Juden daran hindern, die irakische Staatsangehörigkeit zurückzuerlangen. Eine Mehrheit der 71 Mitglieder des Verfassungsausschusses sei für eine entsprechende Passage im Textentwurf, sagte der kurdische Abgeordnete Muther el Fadhil der Nachrichtenagentur AFP (25.7.).

Die Mehrheit des Gremiums stimme darin überein, "allen Irakern die Nationalität zuzuerkennen, die diese nach 1963 verloren" hätten, sagte Fadhil. Die Jahreszahl in dem Text ist entscheidend: 1963, dem Jahr des ersten Putsches und der Machterlangung der Baath-Partei, lebten nur noch wenige Juden im Irak. 1948 waren es noch 134.000 gewesen. Nach der Gründung des Staates Israel wurden Juden im Irak zunehmend diskriminiert, bis 1952 verließen mehr als 123.000 das Land.

Föderalismus als Gefahr für Zusammenhalt des Staates?

Der Irak wird nicht zentralistisch organisiert, vielmehr räumt die Verfassung den Regionen starke Autonomie ein. Dieses Föderalismusprinzip ist ein wichtiger Streitpunkt. Es gibt einzelnen Provinzen die Möglichkeit, gemeinsame regionale Verwaltungen zu bilden, wenn dem die Bevölkerung in einem Referendum zustimmt. Ihre Verwaltungen sollen eine Exekutive, eine Legislative und eine eigene Judikative erhalten. Darüber hinaus sollen die Regionen auch in den irakischen Botschaften im Ausland vertreten sein. Den Regionen werden umfangreiche politische Rechte zugebilligt, unter anderem das Recht auf eigene Sicherheitskräfte. Es wird befürchtet, dass diese Vielzahl regionaler Rechte den Zusammenhalt des Staates gefährden könnte.

Wer berät über den Verfassungstext und bis wann soll er fertig sein? Welche Probleme gibt es noch zu lösen? Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Das Gremium

Die Mitglieder des 71-köpfigen Verfassungsausschusses rekrutieren sich mehrheitlich aus im Januar 2005 gewählten Schiiten und Kurden. Die meisten Sunniten - einst die das Land dominierende Minderheit - hatten die Abstimmung boykottiert und sind deshalb im Parlament unterrepräsentiert. Dennoch wurden im Juni weitere Mitglieder der Minderheit aufgenommen, um die politische Legitimität des Gremiums zu erhöhen und die überwiegend sunnitischen Rebellen zu schwächen. Die Sunniten stellen 20 bis 30 Prozent der schätzungsweise 25 Millionen Iraker.

Irakische Sunniten in einer MoscheeBild: AP

Der Zeitrahmen

Das derzeit geltende Grundgesetz stammt aus der Feder des Regierungsrates, der von der US-geführten Koalition eingesetzt worden war. Die neue, offizielle irakische Verfassung soll am 1. August dem Parlament vorgelegt und am 15. August verabschiedet werden. Die endgültige Annahme ist per Volksabstimmung am 15. Oktober geplant.

Das große Problem ist - der Text. "Um die Wahrheit zu sagen: Ich bezweifle derzeit sehr, dass wir ein Dokument bis Ende Juli fertig stellen können", sagte das kurdische Ratsmitglied Mahmud Othman. Besonders umstritten ist die Frage, wie viel Autonomie Regionen wie der kurdische Norden oder der schiitische Süden mit ihren Öl-Quellen erhalten sollen. Eine sechsmonatige Verlängerung des Textfindungs-Verfahrens ist möglich, wenn sie bis 1. August beantragt wird. Die USA lehnen das ab, weil sie befürchten, dass der politische Prozess an Schwung verlieren könnte. (arn / Maik Meuser)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen