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Feilschen um neue Verfassung für Afghanistan

Said Musa Samimy14. Dezember 2003

Von Sonntag (14.12.) an berät in Kabul die Große Rats- und Stammesversammlung Loya Dschirga über Afghanistans neue Verfassung. Doch der Entwurf bietet Konfliktstoff.

Präsident Hamid Karzai hofft auf baldige ErgebnisseBild: AP


Der inzwischen von der Verfassungskommission ausgearbeitete Entwurf enthält 182 Artikel. Dazu zählen: ein Bekenntnis zum Islam, aber auch ein Bezug auf die UN-Menschenrechts-Charta; ferner Presse- und Meinungsfreiheit, die Sicherung sozialer Gerechtigkeit und Regelungen zum aktiven und passiven Wahlrecht.

Die verfassungsgebenden Loya Dschirga ist mit vielfältigen Gefahren konfrontiert. Da sind vor allem die Reste der Taliban-Milizen, die im Rahmen einer strategischen Vereinbarung mit dem Islamisten Gulbuddin Hekmatyar zusammen arbeiten - dem Chef der "Islamischen Partei". Beide Kräfte agieren militärisch und lehnen den Friedensprozess ab. Konsequenz: Die rund 5.000 Soldaten der Internationalen Sicherheitstruppe ISAF müssen zur Abwehr von Terrorakten auf die Loya Dschirga einen Sicherheitsring um Kabul bilden.

Widersprüche in Sachen Demokratie und Islam

Eine weitere, wenngleich ganz andere Gefahr besteht darin, dass der Text der neuen Verfassung in vielfältiger Hinsicht widersprüchlich und unpräzise ist. Dies fängt schon bei ganz grundsätzlichen Fragen an. Ein Beispiel: Im Hinblick darauf, ob Volk oder Gott als Souverän zu betrachten seien, bleibt im Verfassungsentwurf ein Widerspruch zwischen Demokratie und Theokratie bestehen. Obwohl in der Präambel von Demokratie die Rede ist, wird zugleich darauf hingewiesen, dass kein Gesetz gegen die Vorschriften des Islam zur Geltung kommen kann.

Ein weiterer potentieller Streitpunkt bei der Loya Dschirga ist die Frage der Landessprache. Einerseits werden Dari und Paschtu als offizielle Sprachen des Landes festgelegt. Andererseits heißt es, dass die Nationalhymne in Paschtu gesungen wird. Hier fühlen sich die Angehörigen der anderen Sprachfamilien benachteiligt.

Präsident kann fast immer allein entscheiden

Politisch sieht der Verfassungsentwurf ein parlamentarisches Präsidialsystem vor, in dem das Staatsoberhaupt nach amerikanischem Vorbild einen zentralen politischen Stellenwert einnimmt. In über 20 wichtigen Fällen kann der Präsident allein entscheiden, in nur vier eher unbedeutenden Fällen ist er auf die Mitwirkung des Parlaments angewiesen. Verfassungskritiker befürchten, dass sich hieraus schnell ein autokratisches Präsidial-Regime entwickeln könnte.

Insgesamt stellt der neue Verfassungsentwurf eine Gratwanderung zwischen mehreren widerstreitenden Punkten dar: zwischen islamischen und weltlichen Werten, zwischen nationaler Tradition und internationalen Normen - und schließlich auch zwischen rechtlichen Standards und politischen Erfordernissen. Denn auf der einen Seite soll eine möglichst breite Partizipation erreicht werden - und auf der anderen Seite ein Maximum an Berechenbarkeit und Stabilität.

Demokratische Kräfte mit Gewalt eingeschüchtert

Problematisch: Die personelle Zusammensetzung der Loya Dschirga lässt Kritiker befürchten, dass die demokratischen Rechte der Bürger in der künftigen Verfassung letztlich doch theokratisch eingeschränkt werden könnten. Rund 70 Prozent der etwa 500 Delegierten können als religiös orientierte Kräfte gelten, wenngleich nicht unbedingt als Fundamentalisten. Demokratische Kräfte ohne politisch-religiösen Hintergrund dagegen wurden eingeschüchtert und mit Gewalt bedroht.

Präsident Hamid Karsai hofft, dass die Loya Dschirga innerhalb von etwa zwei Wochen ihre Arbeit beenden werde. Eile ist schon aus finanziellen Gründen geboten, denn die Veranstaltung kostet etwa 50.000 US-Dollar pro Tag.

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