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Politik

Feministinnen als Geisel der Politik

29. Mai 2018

In Saudi-Arabien sind mehrere Frauenrechtlerinnen verhaftet worden. Die Festnahmen fallen in eine Zeit politischer und kultureller Reformen. Sie deuten auf einen grundlegenden Streit an der Staatsspitze hin.

Saudi-Arabien Riad Aziza al-Yousef
Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Jamali

Erstmals protestierte sie im Jahr 1990 gegen das in ihrem Heimatland herrschende Fahrverbot für Frauen. Damals löste die Aktion Empörung aus. In den Moscheen wurde sie als Prostituierte beschimpft, die Bilder der auch als Fotografin anerkannten Feministin aus Protest verbrannt. Im Laufe der Jahre setzte sich die ausgebildete Psychoanalytikerin immer wieder für eine Fahrerlaubnis für Frauen ein. Nun, im Mai 2018, wurde die inzwischen 62 Jahre alte Madeha Alajroush zusammen mit einer Reihe weiteren Frauenrechtlerinnen - und Frauenrechtler - verhaftet.

Die Anklage wirft den Verhafteten "verdächtigen Kontakt mit ausländischen Organisationen" vor, die die Aktivitäten der Frauen unterstützten. Außerdem, so die Anklage weiter, hätten sie "mehrere Personen in sensiblen Regierungsämtern" rekrutiert und "feindliche Elemente außerhalb des Landes" mit Geld versorgt.

Konsequent für die Rechte der Frauen: Maheda AlajroushBild: DW

Verhaftungen und Reformen

Zu den Verhafteten gehört auch Aziza al-Yousef. Über Jahre unterstützte die an der König-Saud-Universität in Riad lehrende Informatikerin Frauen, die aus für sie unerträglichen Verhältnissen in ihrer Ehe oder Familie flohen. Im Jahr 2016 übergab al-Yousef dem königlichen Gericht des Landes eine von mehreren tausend Frauen unterzeichnete Petition, die die Abschaffung des männlichen Vormundschaftsrechts fordert - der zentralen rechtlichen Institution, auf die die männlichen Bürger des Königreichs ihre juristische Macht über die Frauen stützen. Das Vormundschaftsrecht beraubt die Frauen wesentlicher Rechte, etwas des Rechts auf freie Bewegung oder auf Vertragsfreiheit.

Die Verhaftungen fallen in eine Zeit, in der der junge Kronprinz Mohammed bin Salman sich als entschiedener Reformer inszeniert. Auch im Bereich der Frauenrechte. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International attestiert dem Kronprinz in Sachen Reformen in Teilen ernsthafte Absichten. "Zuletzt wurde das Fahrverbot für Frauen aufgehoben", sagt Kareem Chehayeb, Saudi-Arabien-Experte bei Amnesty. Auch habe sich inzwischen der Anteil von Frauen auf dem Arbeitsmarkt erhöht. Allerdings gehen die Reformen aus Sicht von amnesty nicht weit genug. "So hat es bislang noch keine Anstalten gegeben, das Vormundschaftssystem abzuschaffen", moniert Chehayeb.

Petition gegen das Vormundschaftsgesetz: Aziza al-YousefBild: Getty Images/F.Nureldine

Protest von Frauenrechtlerinnen

Auf den ersten Blick passen die Verhaftungen wenig zu den Reformen. Sie selbst könne die Verhaftungen kaum nachvollziehen, twittert etwa die in den USA lehrende Frauenrechtlerin Nora Abdulkarim.

Auch die Frauenrechtlerin Manar al-Sharif zeigte sich solidarisch mit den Verhafteten.

Die in inzwischen in Sydney lebende Informatikerin ließ sich im Mai 2011 bei Steuern eines Wagens filmen. Anschließend veröffentlichte sie das Video im Internet. Kurz darauf wurde sie verhaftet, nach internationalen Protesten aber nach wenigen Tagen wieder freigelassen.

Sarah Leah Whitson, Nahost-Beauftragte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, hält die Verhaftungen für haltlos. "Es scheint, als bestünde das einzige Verbrechen der Frauen darin, dass sie sich dafür einsetzten, dass Frauen Autos fahren dürfen, bevor der Prinz das tat", so Whitson in einer Presseerklärung.

Ein grundlegender Konflikt an der Staatsspitze

Der eigentliche Grund für die Verhaftungen dürfte in einem bis in die politischen und vor allem religiösen Spitzens des Staates reichenden Streit um die nationale Identität des Königreichs liegen - mit dem wiederum handfeste materielle Interessen verbunden sind.

Im Unterschied zu den meisten arabischen Staaten jenseits der Golfhalbinsel legitimiert sich der saudische Staat nicht säkular, sondern religiös. Während sich etwa Ägypten unter Gamal Abdel Nasser auf den panarabischen Nationalismus berief, gründet Saudi-Arabien, seit der Staatsgründung 1932 von der Familie Al-Saud beherrscht, seine politische Legitimation auf die Zusammenarbeit mit den Vertretern der Staatsreligion, des Wahhabismus.

Dieser Unterschied hat auch für die Rolle der Frauen in beiden Gesellschaften entscheidende Konsequenzen. Während Ägypten seit seiner Unabhängigkeit und insbesondere unter Nasser den Frauen eine zentrale Rolle im öffentlichen Leben zuerkannte, beschritt Saudi-Arabien den entgegengesetzten Weg: Hier wurden die Frauen in jene dienende und im öffentlichen Leben wenig sichtbare Rolle gezwungen, die der extrem konservative Wahhabismus für sie vorsah.

Freuden der Freiheit: Besucherinnen der ersten öffentlichen Vorführung eines kommerziellen Kinofilms in Saudi-Arabien seit Mitte der 80er JahreBild: picture-alliance/AP/A. Nabil

Frauen markieren die nationale Identität

"Frauen markieren die Grenze, durch die sich diese fromme Nation von anderen, weniger gottesfürchtigen politischen Richtungen unterscheidet", schreibt augenzwinkernd die aus Saudi-Arabien stammende und am Londoner King´s College lehrende Anthropologin Madawi al-Rasheed in ihrem Buch "A most masculine state. Gender, Politics and Religion in Saudi-Arabia". "Daher kommt die Obsession, die sich auf die Körper, die Erscheinung, die Abtrennung, die Reinheit und Sexualität der Frauen richtet. Diese Obsession spiegelt den Prozess, in dessen Verlauf Frauen zu jenen Signalen wurden, die die Grenzen der Nation markieren."

Opponieren nun die Frauen, richten sie sich zumindest indirekt auch gegen die moralische Ordnung und damit die Legitimation des Königreichs. Zu leiden haben unter dieser tendenziellen Säkularisierung vor allem die einflussreichen - und zudem bestens bezahlten - wahhabitischen Religionsgelehrten. An erweiterten Frauenrechten haben sie weder ein ideologisches noch ein materielles Interesse. Die Verhaftungen könnten auf diesen Machtkampf hinter den Kulissen zurückgehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass darin die Konservativen einen - womöglich kurzfristigen - Sieg errungen haben.

Die Grenzen des Sagbaren

Verhaftungen, sagt der Menschenrechtler Ali Adubisi von der in Berlin ansässigen European-Saudi Organisation for Human Rights, hätten in Saudi-Arabien vor allem einen Zweck: "Sie sind eines der Hauptinstrumente des Staats zur Kontrolle der Gesellschaft und der Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Das harte Vorgehen soll der Bevölkerung die Grenzen dessen zeigen, was sie sagen dürfen", so Adubisi gegenüber der DW: "Die Bürger sollen wissen, dass sie jederzeit verhaftet werden können, wenn sie sich nicht so äußern, wie es der Regierung genehm ist."

Drei der verhafteten Frauen sind zwischenzeitlich wieder freigelassen worden. Das deutet darauf hin, dass - nicht zuletzt vor den Augen der Weltöffentlichkeit - auch die Konservativen an der Staatsspitze Konzessionen machen müssen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika