Patriarch und Strippenzieher, Autonarr und Automanager: Mit dem Tod von Ferdinand Piëch geht eine Ära der deutschen Wirtschaftsgeschichte zu Ende. Seine Lebensgeschichte ist einzigartig.
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Ferdinand Piëch hat Volkswagen zu dem gemacht, was es heute ist. Ein global agierender, höchst erfolgreicher Automobilkonzern. Als er zu Beginn des Jahres 1993 seinen Job als VW-Chef antritt, liegt das Unternehmen am Boden. Er sei sich nicht einmal sicher, ob man in zwei Monaten überhaupt noch die Arbeiter bezahlen könne, vertraute er seinerzeit der Überlieferung nach seiner Ehefrau Ursula an. Dann macht er sich an die Arbeit.
Piëch räumt auf, krempelt den Laden um, Topmanager werden reihenweise gefeuert. Er führt die sogenannte Plattform-Strategie ein, auf der sich verschiedene Modelle eine technische Basis teilen. Die Viertagewoche ohne Lohnausgleich, dazu flexible Arbeitszeiten, das rettet Tausende Jobs. Geht auf Einkaufstour. Am Ende steht ein Autokonzern, der alles anbietet, was rollen kann: Vom Motorrad bis zum schweren Lkw. Vom Ein-Liter-Auto bis zum 1000-PS-Bugatti. Zwölf Marken unter einem Dach.
Als er im Jahr 2002 an die Spitze des Aufsichtsrats wechselt, hat er den Umsatz des Konzerns verdoppelt und erzielt Rekordprofite.
Abhärtung im Internat
Ferdinand Piëch hat es allen gezeigt. Er, 1937 in Wien geboren, den sie im Porsche-Piëch-Clan nur den "Burli" nennen, den sie für unbegabt halten, der schlechte Noten nach Hause bringt und von der strengen Mutter schließlich aufs Internat geschickt wird, ein "Abhärtungsinternat", die er in seiner Autobiografie später als "finstere Zeit der Erziehung" beschreibt. Dort habe er erkannt, "dass vieles nur im Alleingang möglich ist, weil man sich nicht verlassen kann". Das wird der rote Faden durch sein Leben sein.
Er studiert Maschinenbau und schließt seine Ausbildung zum Diplom-Ingenieur mit einer Arbeit über Rennsport-Motortechnik ab. Seine automobile Karriere beginnt 1963 bei Porsche, in Zuffenhausen entwickelt er den legendären Porsche 917, der später die 24 Stunden von Le Mans gewinnt.
Sein Traum, Porsche-Chef zu werden, wird ihm aber von der Familie verwehrt. Amtsinhaber Ferry Porsche hatte verfügt, keine "Nicht-Namensträger" - also einen Piëch - an der Spitze sehen zu wollen. Piëch fügt sich und wechselt 1972 nach Ingolstadt zu Audi in die technische Entwicklung, von dort führt der Weg bis auf den Chefsessel.
Nichts und niemand kann Piëch bremsen
20 Jahre später - Piëch hat Audi von einer verstaubten Rentner-Marke zum Premiumhersteller umgebaut - verlässt er Ingolstadt Richtung Wolfsburg. Nichts kann ihn dort bremsen, nicht die Spionageaffäre um José Ingnacio Lopez, den Piëch von General Motors abgeworben hatte und der eine Menge vertraulicher Unterlagen dabeihatte. Nicht die Korruptionsaffäre um Sexpartys und Luxusreisen für Mitglieder des Betriebsrates. Nach den Jahren als VW-Vorstandschef (1993- 2002) beginnt für Prof. Dr. h.c. Ferdinand Karl Piëch der eigentliche Triumphzug als Chef des Konzern-Aufsichtsrates.
"Wer nicht spurt oder meine Kreise stört, hat es verspielt", so kann man es in er Autobiografie nachlesen. Das bekommen viele schmerzlich zu spüren. Bernd Pischetsrieder etwa, den Piëch von BMW holt und 2002 zum VW-Chef macht. Vier Jahre später schickt er ihn in die Wüste: "Zu spät habe ich erkannt, den Falschen gewählt zu haben."
Oder Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Auf die Frage, ob er noch Vertrauen zu ihm habe, antwortet Piëch im Mai 2009: "Zur Zeit noch. Streichen Sie das noch." Da hatte Piëch gerade sein Meisterstück abgeliefert, denn im Jahr zuvor hatte Porsche versucht, VW zu schlucken. Piëch, dem Strippenzieher, gelingt es, den Spieß umzudrehen. Das stolze Haus Porsche wird zu einer bloßen Marke im VW-Konzern degradiert. Eine Demütigung für den Porsche-Clan, der "Burli" hat es ihnen gezeigt.
Der Fall Winterkorn
2014 dann ist Piëch auf dem Höhepunkt seiner Macht. Erstmals verkauft der Konzern mehr als zehn Millionen Autos, kommt auf 200 Milliarden Euro Jahresumsatz und verdient zwölf Milliarden Euro. Und Piëch will mehr: Bis 2018 will er den ewigen Rivalen Toyota überholen und die Nummer Eins in der Welt werden. VW schafft dieses Ziel schon zwei Jahre früher. Bloß Piëch ist da schon weg.
Denn er macht einen Fehler. "Ich bin auf Distanz zu Winterkorn." Ein legendärer Satz aus einem "Spiegel"-Interview im April 2015. Es ist der Beginn eines Machtkampfes zwischen Piëch und seinem Ziehsohn Martin Winterkorn. Der ist wie Piëch ein begnadeter Techniker, aber auch ein Machtmensch. Winterkorn scheint dem Patriarchen zu selbstherrlich, seine Extravaganzen nerven den Alten: 50.000 Euro für japanische Koi-Karpfen im Teich seines Wolfsburger Anwesens auf Firmenkosten.
Aber dieses Mal hat sich Piëch verzockt. Er verliert den Machtkampf gegen Winterkorn, der im Aufsichtsrat mehr Unterstützer hat. Am 25. April 2015 legt Piëch den Posten des Aufsichtsratschefs nieder. Ein paar Monate später bricht der Dieselskandal los, der Volkswagen bis heute beschäftigt.
Aus dem Protokoll der Zeugenaussage Piëchs vor den Staatsanwälten des Landegerichts in Braunschweig Ende 2016 geht hervor, dass Piëch wohl schon im Februar 2015 über die Abgasmanipulationen Informationen hatte. Als er Aufklärung von Winterkorn verlangt, wiegelt dieser ab. Womöglich hat dies zum Bruch zwischen den beiden geführt. Eine Antwort auf diese Frage wird nun wohl kaum mehr zu bekommen sein.
Im Leben des Ferdinand Piëch, so schrieb es im Jahr 2015 die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, zählten drei Dinge: Volkswagen, Familie, Geld. In dieser Reihenfolge. So hatte er es selbst gesagt. Vielleicht aber ist er, der Vater von 13 Kindern, doch mehr als der skrupellose Patriarch. Auf der Einladung zu seinem 75. Geburtstag stand: "Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu."
Piëchs Leben für die Autowelt
Machtmensch, Patriarch, Urgestein: Ferdinand Piëch wurde 82 Jahre alt. Trotz vieler Streitigkeiten und eines unschönen Abgangs am Schluss blickte er auf große Erfolge zurück. Niemand prägte Volkswagen mehr als er.
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld
Erste Schritte bei Porsche
Ferdinand Piëch ist der Enkel von Ferdinand Porsche, der den Autobauer Porsche gründete und im Auftrag Hitlers das Volkswagen-Werk und den legendären VW-Käfer entwickelte. So spielt später auch der Enkel im Familienunternehmen Porsche seine ersten Rollen und steigt auf bis zum technischen Geschäftsführer.
Bild: picture-alliance/dpa/Julian Stratenschulte
Fulminantes Debüt: Der Porsche 917
In dieser Zeit bringt Piëch 1969 einen der erfolgreichsten Le Mans-Rennwagen des 20. Jahrhunderts auf den Markt. Der Porsche 917 ist damals das schnellste deutsche Auto. Er gewinnt 1970 und 1971 das legendäre Langstreckenrennen von Le Mans. Es folgen die Modelle 936, 956 und 962. Kurz danach wechselt Piëch zum Autobauer Audi.
Bild: picture-alliance/ASA
Audis Weg aus der Klemme
Audi hat weder die Kraft von Porsche, noch die Klasse von Mercedes oder das schicke Design von BMW, als die Firma 1969 von VW gekauft wird. Als Vorstandsmitglied für Technik hat Piëch (Foto: Piëch 1982) in den 1970er Jahren viele zentrale Entwicklungen eingeleitet. Unter anderem hat er einen Dieselmotor für Familienwagen stark verbessert. Audi entwickelt sich unter ihm hin zur Premium-Marke.
Bild: picture alliance/dpa/Audi
Wiedergeburt des Vierradantriebs
Erfunden hat Piëch den Vierradantrieb nicht (das Patent stammt von 1893), aber er hat ihn wiederentdeckt. Bis dato wurde er kaum für PKWs verwendet - dann kommt der Audi "quattro". Er dominierte die Rallys der 1980er Jahre (Foto). Dank dieses Erfolgs konnte Audi mehr als 10.000 straßentaugliche Modelle verkaufen. Der Reihenmotor mit fünf Zylindern war eine Innovation unter Piëchs Führung.
Bild: picture alliance/LAT Photographic
Härte als Sanierer gefragt
Der erfolgreiche Audi-Chef Piëch wird 1993 Chef von Volkswagen. Ein Sanierer-Job, denn der Absatz schwächelt und die Kosten sind zu hoch - kurzum: VW ist in den roten Zahlen. Im ersten Quartal 1993 macht VW einen Verlust von 1,25 Milliarden Mark. Aber Piëch mit seinem außergewöhnlichen Talent als Ingenieur und seinem kühlen Machtinstinkt schafft die Wende und führt VW an die Weltspitze.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Wahl der Nachfolger
2002 geht Piëch in den Aufsichtsrat von VW. Sein Nachfolger müssten besser sein als er, so Piëch. Rückblick: 1998 hatten der damalige BMW-Chef Pischetsrieder (Foto: rechts) und Piëch für Rolls-Royce/Bentley geboten. Piëch kaufte die Luxusmarken für viel Geld. Pischetsrieder aber sichert sich die Markenrechte an Rolls-Roys für BMW. Als Pischetsrieder später bei BMW rausfliegt, holt Piëch ihn zu VW.
Bild: picture alliance/AP Photo/F. Bimmer
Alles was zählt...
"Entweder es stimmen die Zahlen, oder ich will neue Gesichter sehen." Auch Pischetsrieder ist am Ende einer von mehrere Vorständen, die Piëch über die Klinge springen lässt. Piëch ist bekannt für seinen autoritären, kompromisslosen Führungsstil und ist sowohl im Unternehmen wie in der Familie gefürchtet.
Bild: picture alliance/dpa/M. Brandt
Das schnellste Auto
Ein weiterer ehrgeiziger Kauf unter Piëchs Führung ist die legendäre Marke Bugatti. Das Modell wird wieder zum Leben erweckt mit 16 Zylindern und einer Höchstgeschwindigkeit von 407 Stundenkilometern. Die Kosten liegen bei 2 Millionen US-Dollar. Jahrelang war der Veyron das schnellste Auto der Welt - ein Symbol für Piëchs mutigen Stil.
Bild: picture-alliance/dpa
Goliath schluckt David
2008 versucht Porsche-Chef Wendelin Wiedeking VW zu schlucken. Piëch ist gegen die Übernahme. Der Vorstoß von Porsche scheitert an der inzwischen gärenden Finanzkrise. Für die geplante Übernahme hat Porsche Schulden in Höhe von rund zehn Milliarden Euro gemacht und braucht frisches Geld. Neue Kredite waren in der Krise jedoch fast unmöglich. Das Ende vom Lied: Volkswagen verleibt sich Porsche ein.
Bild: AP
Volkswagen wird immer größer
Piëch macht Volkswagen zu einem Weltkonzern, der heute 13 Marken unter seinem Dach vereint, darunter die Luxusmarken Porsche, Audi, Bentley, Lamborghini oder Bugatti. Außerdem Marken für den Alltag und Logistik: Seat, Scoda, Scania und MAN. Unter der neuesten Marke "Moia" will VW führender Anbieter von Mobilitätsdiensten wie Carsharing und der Vermittlung von Fahrdiensten werden.
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Strippenzieher im Aufsichtsrat
2002 wechselt Piëch in den Aufsichtsrat von VW, wo er den Vorsitz leitet. Er bleibt aber der einflussreichste Mann bei VW. 2015 kommt dann seine große Niederlage. Der damalige Vorstandschef Winterkorn stand bei ihm auf der Abschussliste, bekam aber Rückendeckung von anderen Aufsichtsratsmitgliedern, unter anderem Piëchs Cousin Wolfgang Porsche. Das Ende vom Lied: Piëch verlässt den Aufsichtsrat.
Bild: Reuters/F. Bimmer
Abgas-Betrug stürzt VW in die Krise
Kurze Zeit später stolpert Winterkorn dann doch - über die Abgasaffäre. Jahrelang hatte VW Dieselautos manipuliert. Auf dem Prüfstand hielten sie die Abgasgrenzwerte ein, auf der Straße stießen sie aber erheblich mehr Schadstoffe aus. Im September 2015 flog der Betrug auf. Die Kosten können sich auf 30 Milliarden Euro belaufen, so Experten. Wie viel Piëch wusste, ist unklar.
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte
Endgültiger Rückzug
Der Familienzwist ging weiter, Piëch saß immer noch im Aufsichtsrat der Porsche SE, die über den Großteil der Stimmrechte von VW verfügt. Streit hin oder her. Dort muss kommuniziert werden, was sich anscheinend schwierig gestaltet. So planten die Familienmitglieder auch hier, Piëch das Aufsichtsratsmandat zu entziehen. Im Gegenzug verkaufte Piëch sein milliardenschweres Aktienpaket.
Was am Ende übrig blieb
Drei Dinge zählten in seinem Leben, so der Patriarch Ferdinand Piëch: "Volkswagen, Familie, Geld - in dieser Reihenfolge". Geld hatte er nach Verkauf seiner Anteile im Überfluss. Außerdem blieb ihm die Erinnerung an all die Erfolge seiner langjährigen Laufbahn bei VW und unter Umständen auch der Groll über das Ende.