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Politik

Ferguson auf dem Weg der Besserung?

9. August 2019

Im August 2014 wurde in der US-Stadt Ferguson der schwarze Teenager Michael Brown von einem weißen Polizisten erschossen. Auch fünf Jahre später wirken die Ereignisse noch nach. Aus Ferguson berichtet Carla Bleiker.

Michael Brown Sr. am Memorial für seinen getöteten Sohn
Michael Brown am Memorial für seinen getöteten SohnBild: DW/C. Bleiker

Der Canfield Drive, eine von alten Bäumen gesäumte Straße, flirrt in der Hitze. Die Insekten summen, zirpen und sirren so laut, dass man die Mückenstiche praktisch hört, bevor man sie fühlt. Die Menschen, die vor dem "Canfield Green Apartments"-Komplex parken, sehen zu, dass sie von ihren klimatisierten Autos schnell in ihre klimatisierten Wohnungen kommen. Aber sieht man von der schwülen Hitze ab, ist die Gegend um den Canfield Drive eine schöne Nachbarschaft zum Wohnen. Eigentlich.

"Nette Gegend, das haben die Leute gesagt. Es war so lange nett, bis es das nicht mehr war", sagt Michael Brown Sr. Der groß gewachsene Mann geht vor einer Plakette in die Hocke, die am Canfield Drive in den Fußweg eingelassen ist. Vor der Gedenktafel liegen ein paar Teddybären und Plastikblumen. Ein paar Meter weiter starb vor fünf Jahren Browns Sohn.

9. August 2014: Michael Brown Jr. ist auf dem Weg zu seiner Großmutter, die in den "Canfield Green Apartments" wohnt. Zusammen mit einem Freund läuft er den Canfield Drive entlang, auf der Straße, nicht auf dem schmalen Fußweg. Es sind Sommerferien, der 18-jährige Afroamerikaner ist mit der Schule fertig und hat die Zusage von einem Technical College in der Tasche, an dem er in wenigen Tagen eine Ausbildung zum Klimaanlagentechniker anfangen soll.

Auf dem Canfield Drive wurde Michael Brown Jr. von einem weißen Polizisten erschossenBild: DW/C. Bleiker

Gegen 12 Uhr mittags werden die beiden Jungen von einer Polizeistreife angehalten. Der Grund: Fußgänger sollen nicht auf der Straße laufen. Von dem, was dann passiert, gibt es viele verschiedene Versionen. Fest steht: Es kommt zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Brown und dem weißen Streifenpolizisten Darren Wilson. Wilson gibt mehrere Schüsse aus seiner Dienstwaffe ab, sechs davon treffen den Teenager. Der letzte Schuss geht in Browns Kopf und tötet ihn.

Ferguson brennt

Etwa vier Stunden lang bleibt Browns Leiche auf dem Canfield Drive liegen. So lange dauert es, bis die verschiedenen zuständigen Polizeistellen ihre Arbeit abgeschlossen haben. In dieser Zeit verbreitet sich die Nachricht vom schwarzen, unbewaffneten Teenager, der von einem weißen Polizisten erschossen wurde, wie ein Lauffeuer.

Was folgte, waren die größten Proteste in Fergusons Geschichte. Tausende, größtenteils schwarze Demonstranten kamen zunächst für eine friedliche Mahnwache zusammen, dann eskalierte die Situation. Es kam zu regelrechten Straßenschlachten, die Polizei setzte Tränengas und Hundestaffeln ein, viele Geschäfte wurden zerstört oder brannten aus. Die Proteste dauerten monatelang an, die "Black Lives Matter"-Bewegung kam während dieser Zeit ins Rollen. Das Ferguson Police Department wurde für den Einsatz nahezu militärisch anmutender Gewalt kritisiert. Außerdem warfen die schwarzen Bürger der Stadt ihren Polizisten Rassismus vor. Als im November 2014 verkündet wurde, dass gegen Wilson kein Verfahren eröffnet werden würde, flammten die Proteste in Ferguson erneut auf.

In den Tagen nach dem Tod von Michael Brown herrschten chaotische Zustände in FergusonBild: Reuters

"Dass unser System so ist, wie es ist, hat Wilson gerettet", sagt Michael Brown Sr. im August 2019. "Kenne ich ihn persönlich? Nein. Könnte er einfach einen schlechten Tag gehabt haben? Vielleicht. Aber er hat eine rassistische Tat begangen."

Der Heilungsprozess dauert an

Als Reaktion auf die nicht enden wollenden Proteste gegen rassistische Polizeigewalt leitete das US-Justizministerium Ermittlungen gegen die Polizei von Ferguson ein. Im März 2015 dann das Ergebnis der Untersuchung: Das Ferguson Police Department gehe ungerecht gegen seine Bürger vor. Unter anderem würden Beamte bei ihrer Arbeit afroamerikanische Anwohner diskriminieren.

Nach langem Hin und Her stellte die Stadt 2016 ein Dokument vor, in dem sie Besserung gelobte. Auf mehr als 100 Seiten wurden viele neue Regelungen und Pläne zur Verbesserung der Situation präsentiert. Dazu gehörten unter anderem ein Anti-Rassismus-Training für Polizeibeamte und Programme, die für ein besseres "Community Policing", also für die Annäherung der Polizei an ihre Bürger sorgen sollten.

Viele Bürger haben die Hoffnung, dass die Probleme der Stadt gelöst werdenBild: DW/C. Bleiker

Seit der Vorstellung dieser Programme sind drei Jahre vergangen, seit Browns Tod fünf. Wenn man die West Florissant Avenue entlangfährt, die mehrspurige Straße, auf der sich 2014 Demonstranten und Polizei gegenüberstanden, sieht man noch immer die Überbleibsel der Unruhen. Damals brannten hier kleine Lebensmittelgeschäfte, Autohandlungen und eine Tankstelle aus, einige der Grundstücke liegen immer noch brach.

Aber hat sich an den Strukturen in Ferguson etwas verändert? Ist das Verhältnis zwischen der afroamerikanischen Gemeinde der Stadt und der Polizei heute besser als vor fünf Jahren? "Wir sind immer noch im Heilungsprozess, so etwas passiert nicht über Nacht", sagt Ella Jones, die 2015 als erste schwarze Frau in den Stadtrat von Ferguson gewählt wurde. Sie betont aber, dass sich die Polizei sehr bemühe, mehr auf die Bürger zuzugehen.

Mein Nachbar, der Polizist

Dienstagabend, wenige Tage vor dem fünften Jahrestag von Michael Browns Tod. Im Keller der Emmaus Bible Chapel ist "Community Policing" in Aktion zu sehen. Sergeant Tim Harris ist zu Gast beim monatlichen Treffen der Nachbarschaftsorganisation Forestwood Park. Knapp 20 Männer und Frauen sitzen an zu einem Rechteck zusammengestellten Tischen und reden über alles, was die Anwohner des Viertels beschäftigt.

Der Punkt auf der Agenda, der mit Abstand am meisten Zeit einnimmt, ist der Sicherheitsbericht von Sergeant Harris. Er warnt davor, Kinder und Hunde bei der Hitze im Wagen warten zu lassen, berichtet von einer Bande, die schon bei mehreren Autohändlern eingebrochen ist und sich jedes Mal mit sechs bis acht Fahrzeugen aus dem Staub macht und bringt seine gebannten Zuhörer auf den neuesten Stand über den Mord in Sam's Meat Market (zwei junge Männer gerieten über eine Frau in Streit, einer zog seine Waffe).

Dann führt er seine Bodycam vor, die jeden seiner Einsätze aufzeichnet. Die Ausstattung aller Beamter mit solchen Kameras war ebenfalls eine der Veränderungen, die eingeführt wurden, nachdem Officer Wilson Michael Brown erschoss. "Diese Kameras helfen Anwohnern und Beamten", sagt Harris. Nach seiner Präsentation beantwortet er geduldig alle Fragen, die die Teilnehmer des Nachbarschaftstreffens haben.

"Die Polizisten in meiner Gemeinde sind klasse, sie sind wirklich Teil der Gemeinschaft", sagt Russ Moore nach der Sitzung. Moore zog vor fünf Jahren nach Ferguson und ist überzeugt, dass sich das Verhalten der Beamten wegen der Ereignisse damals verändert hat. "Sie machen sich ihre Probleme jetzt eher bewusst. Sie stecken nicht mehr den Kopf in den Sand."

"Vertrauen in die Polizei ist nicht da"

Auch Cori Bush sagt, sie beobachte seit ein paar Jahren, dass die Brutalität der Polizei abnehme - aber das reiche nicht aus: "Das Vertrauen der schwarzen Gemeinde in die Polizei ist immer noch nicht da." Die Demokratin kandidierte 2018 in Missouris 1. Distrikt, in dem auch Ferguson liegt, für das US-Repräsentantenhaus und verlor. 2020 wird sie wieder antreten. Kurz vor dem Jahrestag von Michael Browns Tod besucht sie das Memorial am Canfield Drive und sagt, es mache sie wütend, dass Polizisten im 1. Distrikt rassistische Kommentare in sozialen Medien posteten und keine Konsequenzen tragen müssten.

Bush kandidiert 2020 erneut fürs Repräsentantenhaus. Hinter ihr ein Stück des Canfield Drive, das nach Browns Tod neu geteert wurde. Hier lag seine Leiche, und seine Eltern wollten nicht, dass sein Blut auf der Straße blieb.Bild: DW/C. Bleiker

Sie ist auch wütend, wenn sie von Polizisten hört, erst mal müsse die Bevölkerung ihr Verhalten ändern. "Gehen wir zu denen ins Polizeirevier und erschießen sie? Nein!" Bush schaut auf die Stelle, an der Brown starb. "Die werden doch dafür bezahlt, uns zu beschützen."

Michael Brown Sr. sagt, er habe es fünf Jahre, nachdem sein Sohn erschossen wurde, geschafft, weniger wütend zu sein. Er hat eine Stiftung gegründet, die anderen Vätern, hilft, die ein Kind verloren haben. Und er erinnert sich gern daran, wie sehr sein Sohn es geliebt hat, Streiche zu spielen. "Ein Jahr bevor er starb, hat Mike mir einen ganzen Tag lang weisgemacht, seine Freundin wäre schwanger, und ich habe das geglaubt", erzählt er. "Als ich ihn abends endlich zu fassen gekriegt habe und zur Rede stellen wollte, sagt er zu mir 'Dad, weißt du welcher Tag heute ist? Der 1. April!'" Bei der Erinnerung daran muss Brown Sr. lachen.

Die letzte gemeinsame Erinnerung, die er an seinen Sohn hat, ist die Party zu Mikes Schulabschluss. Die Familie feierte zusammen, aber Vater und Sohn hatten auch eine kleine Diskussion, die sie zum wiederholten Male führten. "Ich habe darauf bestanden, dass er erst mal aufs College geht. Mike wollte eigentlich ein großer Rapper werden - die Welt sollte seinen Namen kennen." Brown Sr. ist kurz still. "Jetzt kennt die Welt seinen Namen auf jeden Fall auch."

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker
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