Wagner: "Beethoven ist nicht zum Ausruhen da"
2. September 2014 DW: Das Beethovenfest steht vor der Tür - mit einem Programm, das weitgehend von Ihrer Vorgängerin geprägt ist. Jeder fragt sich gespannt: Wo ist denn die Handschrift von Nike Wagner zu erkennen?
Nike Wagner: Das Programm war durchgeplant und auch vertraglich fixiert. Aber ein paar kleine Spuren wollte ich doch hinterlassen. Zum Beispiel habe ich ein neues Veranstaltungsformat hinzugefügt - eine Eröffnungsmatinee mit Musik und einem Vortrag von mir zum Thema Beethoven und Bonn. Die ausgewählten Musikstücke zeigen, in welche Richtung meine Gedanken zum Beethovenfest laufen. "Bagatellen für B" heißt ein sehr witziges Stück von Reiner Bredemeyer aus dem Jahr 1970, mit viel Blech und voller Ironie. Dann spielt ein junger Pianist die "echten" Beethoven-Bagatellen. Als letztes Stück erklingt eine "Beethoven-Sinfonie" für Kammerensemble von Dieter Schnebel; der Komponist wird anwesend sein. Er hat eine Weichzeichnung des "martialischen" ersten Satzes der "Eroica" komponiert und holt die Farben, Gefühle und sogar den Humor darin hervor. Mich interessiert das Weiterdenken von Beethoven in unserer Gegenwart, und es freut mich, wenn zeitgenössische Komponisten sich mit Beethoven befassen.
Was sind Ihre persönlichen Tipps für das Beethovenfest 2014?
Es kommen zwei junge Dirigenten, die hervorragend sind. Der eine ist Andris Nelsons, der hier mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra alle neun Beethoven-Sinfonien spielen wird. Man könnte denken, das sei nicht besonders originell programmiert, aber Nelsons liebt das, weil er uns damit den ganzen Beethoven "mit seinen Höhen und Tiefen" präsentieren kann. Nelsons ist ein ebenso ernsthafter wie mitreißender Dirigent – der kann alle Neune...
Der andere ist der junge Kanadier Yannik Nézet-Séguin: ein Energiebündel! Was immer der anfasst, wird zum Feuerwerk. Selbst die, nun ja, etwas schwerblütige spätromantische Musik, ob Mahler oder Strauss. Die Konzerte dieser beiden Dirigenten sollte niemand versäumen. Und niemand sollte bei unserem Streichquartett-Wochenende fehlen - drei junge Quartette spielen mit dem berühmten Kuss-Quartett zusammen - exzellente Programme, Haydn, Schubert, Janáček sind dabei!
Sie haben in einem DW-Interview im März gesagt, es gebe Probleme beim Beethovenfest, die vor allem daran liegen, dass man Beethoven mit den besten Orchestern der Welt eben in London, Wien und Paris hören kann. Warum muss man dann nach Bonn kommen? Wofür wird man nach Bonn in der Ära Nike Wagner kommen sollen/müssen?
Das ist alles nicht so einfach. Beethoven wird weltweit auf hohem Niveau gespielt, außerdem wird er mit Wien identifiziert. Mit Beethoven kann man also nicht "unverwechselbar" sein. Was kann Bonn also tun, um sein Image als Beethovenstadt zu stärken? Wir haben mit dem Beethoven Orchester Bonn ein wirklich gutes Orchester in der Stadt, dennoch möchte man zu Festspiel-Zeiten auch die großen internationalen Orchester hören. Das ist schön und gut, wir leben in einer Interpretationskultur. Andrerseits liegt eine Gefahr darin: Tournee-Orchester spielen überall dieselben Programme. Deshalb würde ich in Zukunft darauf bestehen, die Programmatik zu schärfen. Man muss eine Art Programm-Dramaturgie machen: Beethoven in Beziehung setzen zu anderen Werken, das können ältere oder neuere oder zeitgenössische sein, Uraufführungs-Aufträge geben, Beethovens Wirkung auf die europäische Symphonik zeigen. Auch die verschiedenen Klangbilder bei Beethoven muss man hören können: den "Original"-Klang seiner Zeit mit dem Klang unserer modernen Instrumente konfrontieren.
Meine Vorgängerin hat alles getan, um dem Beethovenfest eine internationale Ausstrahlung zu geben. Das ist nur bedingt möglich, dazu ist die Konkurrenz der Metropolen zu groß. Aber was ist dagegen einzuwenden, dass wir hier ein ganz besonderes, aber eben stark regional verankertes Festival haben? "Think global, act local" ist die Devise.
Für Richard Wagner war Beethoven ein ganz großes Vorbild. Wie ist ihr persönliches Verhältnis, wie präsent ist Beethoven in ihrem Leben?
Beethoven war in meiner Jugend immer präsent: Er war schließlich auch der einzige andere Komponist, dessen Musik im Bayreuther Festspielhaus gespielt werden durfte. Wagners Verehrung für Beethoven wurde in der familiären Tradition fortgeführt. Inzwischen bewundere ich Beethoven auch als Revolutionär und Menschenrechtler. Aber eben, der Musiker ist überwältigend in seiner Ruhelosigkeit: Er war nie zufrieden und trieb die Musik immer weiter. Er hat jede Gattung - egal, ob Sonate oder Streichquartett - an ihre Grenzen gebracht, ein Vulkan an Kreativität und aber auch an Ernst. Bei ihm hat Musik nichts mehr mit Unterhaltung zu tun, sie kriegt einen ganz anderen existenziellen Status. Musik hat mit der Würde des Menschen zu tun. Dieses hohe Ethos ohne erhobenen Zeigefinger hinzukriegen ist einfach fantastisch. Deutschland hat einen Komponisten an Beethoven mit durchgehend weißer Weste, politisch wie künstlerisch. Einen "idealer Botschafter", wenn man so will.
Franz Liszt ist hier in Bonn eigentlich auch sehr präsent - um die Ecke liegt etwa die Insel Nonnenwerth, wo er eine Zeit lang eine Heimat gefunden zu haben schien. Haben Sie vor, auch diesen genius loci zu feiern?
Franz Liszt liebte Beethoven abgöttisch, er hat die Bonner zum Bekenntnis zu Beethoven gezwungen, das Beethoven-Denkmal hier bezahlt und das Beethovenfest Bonn ins Leben gerufen. Außerdem hat er alle neun Beethoven-Sinfonien aufs Klavier übertragen. Irgendwann wird er damit in meinen Programmen auftauchen, seine sinfonischen Dichtungen ebenfalls. Auch sein Freund Hector Berlioz war Beethoven-Fan, auch den müssen wir stärker ins Programm nehmen. Lauter wunderbare europäische Nachfahren Beethovens, deren Werke man zu selten hört.
Wenn es um Musikfestspiele geht, die nur einen Komponistennamen als "Brand" im Titel tragen, kommt sofort der Vergleich mit Bayreuth, wo dieses eine Lokalgenie auf exemplarische Weise gefeiert wird. Kann Beethovenfest vielleicht etwas von Bayreuth lernen oder halten Sie das Modell Bayreuth womöglich für überholt?
Bayreuth ist ein Fall für sich. Das liegt an dem Radikalkonzept, dass es hier ein Festspielhaus nur für die Werke eines einzigen Komponisten gibt: Wagners Werke. Gäbe es dieses Haus nicht, wäre Wagner ein relativ normaler Komponist geblieben, der an allen Opernhäusern gespielt wird, wie Verdi. Er hätte wohl auch ideologisch nicht in dem Maß missbraucht werden können, wie es im Nationalsozialismus der Fall war. Bei Beethoven ist das ganz anders, der ist Instrumentalkomponist - die Oper "Fidelio" zählt nicht so wirklich - sinfonische Musik und Kammermusik sind aber grundsätzlich auf einem abstrakteren Level. Der "Titan" Beethoven ist zwar von den Nazis, in der DDR und auch von Stalin zu staatlichen Feiern herangezogen worden - fast ausschließlich die Neunte! - doch diese Zeiten sind vorbei. Selbst ein Festspielhaus für Beethoven, wie in Bonn geplant, würde keine ähnliche Beethoven-Monomanie hervorrufen wie bei Wagner in Bayreuth.
Das Festival 2015 findet unter dem Motto "Veränderungen" statt - in Anspielung an die Diabelli-Variationen. Dieses Motto stammt schon von Ihnen. Werden wir ein ganz neues Beethovenfest erleben?
Innerhalb der künftigen Programme wird es einige Veränderungen geben. Es kann aber gar nicht sein, dass es ein grundsätzlich anderes Beethovenfest wird. Sonst müsste man den Namen des Festspiels ändern. Das Kerngeschäft bleibt Beethoven mit Blick auf eine sinnvolle Programmatik um Beethoven herum. Dennoch will ich das Fest öffnen und mehr interdisziplinär arbeiten. Das heißt, mit dem Theater und der Oper kooperieren, die Klangkünste und den Tanz hereinholen, Diskussionen zu aktuellen Themen veranstalten. Schließlich leben wir in einer postmodernen Gesellschaft, die in viele Kulturen aufgespalten ist. Wir arbeiten aber immer "im Geiste" Beethovens - und dieser Geist wird uns nicht ruhen lassen.
Das Gespräch führte Anastassia Boutsko
Nike Wagner ist Ur-Urenkelin von Franz Liszt und Urenkelin von Richard Wagner. Nach ihrem Studium schrieb sie wissenschaftliche und publizistische Beiträge für Symposien, Kulturprogramme und den Rundfunk in Deutschland, Österreich, England und Frankreich und trat auch als Buchautorin hervor. 2004 übernahm sie die künstlerische Gesamtleitung des Weimarer Kunstfests. 2008 bewarb sie sich zusammen mit Gerard Mortier um die Leitung der Bayreuther Festspiele. Seit Januar 2014 ist sie Intendantin des Bonner Beethovenfestes.