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MusikEuropa

Wie Festivals trotz Corona überleben wollen

Laura Döing
31. Juli 2020

Wacken, Tomorrowland & Co.: kein Schlammzelten, keine Glitzerschminke, kein Gummistiefeltanz - keine Festivals wegen Corona. Doch es gibt kreative Lösungen.

Collage des "Wacken Open Air" - linke Seite: Menschenmasse vor der Hauptbühne in Wacken bei der Ausgabe 2019, rechte Seite: Weil das Festival durch die Corona-Pandemie ausfällt, wächst Mais auf dem Festivalgelände (Bilder: picture-alliance-dpa)
Mais statt Metalfans: Das "Wacken Open Air" findet 2020 nur digital statt

Sie schwebt im Korb eines Heißluftballons über die Menge zur Bühne: Katy Perrys orangefarbene Perücke weht im Wind, sie winkt den Zuschauern auf dem Boden zu, Wellen der Begeisterung branden auf und umspülen die Main Stage, die mit zahlreichen Turmspitzen und zwei monströsen Wasserfällen architektonisch zwischen Disney-Schloss und futuristischem Neuschwanstein angesiedelt ist. Jubel, Schreie, die pinken Scheinwerfer flackern, als Katy Perry zu ihrem ersten Song "Smile" bei der ersten rein digitalen Ausgabe des Elektro-Festivals "Tomorrowland" ansetzt.

Das Setting: eine Menge Pixel und viel Rechenleistung. Katy Perrys Auftritt: In einem Green Screen Studio aufgenommen und auf eine der acht Bühnen auf die Insel "Pāpiliōnem" verfrachtet, die wie ein Schmetterling geformt ist. Das analoge "Tomorrowland": Ausgefallen wegen der Corona-Pandemie.

Die deshalb eigens für diesen Zweck kreierte Festival-Insel ließ sich nach Kauf eines Tickets am Festivalwochenende online erkunden. Rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben in 2 Monaten eine Fantasy-Welt mit Stränden, Sonnenuntergang, Polarlichtern, 32.000 Bäumen und 280.000 virtuellen Personen animiert, die teils Flaggen schwenken, pfeifen und mitklatschen.

Bei den märchenhaften Bühnen ist kaum erkennbar, welches die analoge (links) und welches die rein digitale Ausgabe von "Tomorrowland" ist

"Tomorrowland" ist eines der größten Festivals für Electronic Dance Music und lockte zuletzt rund 400.000 Tanzwütige in die belgische Stadt Boom. Bei der virtuellen Ausgabe klickten sich laut Angaben der Veranstalter mehr als eine Millionen Festivalgäste auf die verwunschene Insel.

David Guetta stellt sich Feiernde einfach vor

Eine Lösung, die bei einem Tagesticketpreis von 12,50 Euro vielen auf der Welt einen ersten Besuch auf dem Festival ermöglicht haben wird. Die Stars haben sich bei der Aufzeichnung ihrer Sets Mühe gegeben, sie animieren die gesichtslos wabernde Masse virtueller Menschen, die die Bühnen umgibt, feuern sie an. Der französische DJ David Guetta sagt, er habe sich bei den Dreharbeiten vorgestellt, dass die 15 Mitarbeiter im Studio 100.000 Fans seien, die er brauche, um in Stimmung zu kommen.

Trotzdem fehlt auf der heimischen Couch mit dem Laptop auf den Knien natürlich das Festival-Feeling; die Dynamik von tausenden Feiernden, das Wummern der Bässe in der Magengrube, die kreativen Gesichtsbemalungen.

Darüber, dass ein virtuelles Festival kein Live-Event ersetzt, muss man nicht schreiben. Aber es ist eine von mehreren kreativen Lösungen, wie Festivals das Loch zu stopfen versuchen, das die Corona-Pandemie in den Festivalsommer gerissen hat.

Fallen wegen Corona aus: Glastonbury, Roskilde, Mawazine, Coachella

Dicht an dicht stehen die Zuhörer 2019 vor der "Pyramid Stage" auf dem Glastonbury Festival in EnglandBild: picture-alliance/AP Photo/G. Pollard

Das britische "Glastonbury Festival" wollte im Juni eigentlich seinen 50. Geburtstag glamourös feiern. 135.000 Karten waren innerhalb einer Stunde verkauft. Stattdessen gab es nur Onlinevideos vergangener Festivalausgaben und Fans, die die heimischen Gärten und Wohnzimmer zum Festivalgelände machten:

Das "Roskilde Festival" in Dänemark forderte seine Fans auf, dieses Jahr ein "Do-it-yourself-Festival" zu feiern - und bot Bastelanleitungen für selbstgemachte Kunstinstallationen und Plakate, Tipps für die Festival-Eröffnungsrede, Playlists und Rezeptideen für ein selbstgemachtes Festival-Erlebnis. Das kam dabei heraus:

Dort, wo sonst jedes Jahr die größte Bühne des Festivals, die "Orange Stage", steht, auf der schon Acts wie die "Rolling Stones" und "Muse" performten und vor der mehr als 60.000 Fans Platz haben, sind in diesem Jahr weiße Zelte aufgebaut: Corona-Testcenter der örtlichen Gesundheitsbehörden. 

Musik gab es bei der diesjährigen Festivalausgabe trotzdem - und zwar dort, wo man wollte per Augmented Reality direkt in die heimische Küche, das Büro oder das eigene Wohnzimmer:

Nicht nur in Europa fallen die großen Festivals dieses Jahr aus: Das "Mawazine-Festival" lockt laut Veranstaltern jedes Jahr 2,75 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer nach Rabat in Marokko und ist damit eines der größten, wenn nicht sogar das größte Musikfestival der Welt. In diesem Jahr ist es ersatzlos gestrichen.

Das "Coachella" in Kalifornien, eines der wichtigsten Musikfestivals der Welt, wurde wegen der Corona-Pandemie von April auf Oktober verschoben. Dann sagten die zuständigen Gesundheitsbehörden das Event schließlich ganz ab.

Lollapalooza: Virtuelle Ausgabe vom 30. Juli bis zum 2. August

Unter diesen Umständen finden auch das Wüstenfestival "Burning Man" und das "Lollapalooza" in Chicago nicht statt. Als Ersatz für letzteres soll es vom 30. Juli bis zum 2. August eine virtuelle Veranstaltung mit Auftritten und Konzertmitschnitten vergangener Jahre geben.

Wird 2020 nicht verbrannt: der "Burning Man", der dem Festival in den USA seinen Namen verleihtBild: picture-alliance/AP Photo/The Reno Gazette-Journal /A. Barron

Doch es sind nicht nur die großen Musikfestivals, die den Festivalsommer ausmachen: In Deutschland gibt es viele kleine lokale Festivals, die oft einen wichtigen kulturellen Beitrag in ländlichen Regionen leisten. Die Festivalplattform "Höme" verzeichnet 685 solcher Festivals mit bis zu 10.000 Besucherinnen und Besuchern pro Festivaltag. Laut einem Bericht der Verbände der deutschen Musikwirtschaft seien viele nun wegen der finanziellen Ausfälle durch Corona in ihrer Existenz bedroht.

Kleine Festivals in Deutschland bedroht

Auch das "Haldern Pop Festival" ist betroffen. Bei seiner ersten Ausgabe 1984 standen in dem verschlafenen Dorf Haldern am Niederrhein drei Bands auf der Bühne. Dieses Jahr sollten bei dem vielfach ausgezeichneten Indie-Festival circa 60 Bands und Solo-Künstler auftreten und die rund 7000 Tickets waren schon fast ausverkauft, als klar wurde, dass Großveranstaltungen in Deutschland bis zum 31. August 2020 grundsätzlich untersagt sind - und damit auch das "Haldern Pop" ausfällt.

Acker statt Indie-Musik: Wegen Corona ist 2020 Haldern statt "Haldern Pop" angesagt

Natürlich habe die Sorge um das "Haldern Pop" angesichts einer weltweiten Pandemie nicht an erster Stelle gestanden, sagt Festival-Mitbegründer und künstlerischer Leiter Stefan Reichmann, aber dieser Moment sei der schwerste in der Geschichte des Festivals gewesen.

Musikfestivals: Mehr als nur Kommerz

"Ich glaube, dass Festivals auch eine andere Aufgabe haben, als nur Geld zu verdienen", so Reichmann: Sie bündelten Kräfte und Fähigkeiten - "und das kann Dörfern und Gemeinschaften auch gut tun". Das "Haldern Pop" hat den Ort beflügelt: Aus dem Festival sind ein Independent-Plattenlabel und eine Bar entstanden, die das ganze Jahr geöffnet ist und in der Konzerte stattfinden. Auch in Italien gibt es mittlerweile einen Festivalableger.

Stefan Reichmann organisiert das "Haldern Pop"Bild: Privat

Dieser kreative Kosmos ist durch die Pandemie gefährdet und auf staatliche Hilfe angewiesen - und auf seine Fans: Ein Großteil der Ticketkäuferinnen und -käufer halfen dem Festival und spendeten entweder den gesamten Ticketpreis oder einen Teilbetrag. So komme das Festival erst einmal bis 2021 über die Runden. Wie es dann weiter gehe, könne man unmöglich jetzt schon vorhersehen, so Reichmann.

Musik als Kitt für Europa

Anders als das "Tomorrowland" kann das "Haldern Pop" nicht auf 200 Mitarbeiter zurückgreifen, um eine Lösung auszuarbeiten: Das Kernteam besteht aus einer Handvoll Mitarbeitern. Mit ihnen organisiert Reichmann am 7. August ein Streamingkonzert, das gleichzeitig in Haldern und dem irischen Dingle stattfindet. Das Motto: "Jetzt reden die Dörfer mit Europa".

Denn: "Die Pandemie hat uns auch gezeigt, wie fragil Europa ist. Das war beängstigend, wie geringfügig die gemeinsame Schnittmenge ist, die ja gar nicht so belastbar ist in Krisensituationen, wie man es sich wünscht." Wir müssten wieder merken, was uns mit den Bewohnerinnen und Bewohnern anderer europäischer Länder verbindet, so Reichmann. "Die Musik ist wichtiger denn je - und ein gutes Instrument, die Menschen wieder zueinander zu führen."

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