1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Festnahmen: Druck auf Opposition steigt

Roman Goncharenko | Elena Barysheva
1. Juni 2021

Wenige Monate vor der Duma-Wahl geht die russische Justiz verschärft gegen Oppositionspolitiker vor. Zwei Kremlkritiker wurden festgenommen, einer davon im Flugzeug, Durchsuchungen häufen sich.

Andrej Piwowarow, russischer Aktivist
Andrej PiwowarowBild: Hannah Wagner/dpa/picture alliance

Die Szene, die sich am Montagabend auf dem Rollfeld des Flughafens "Pulkowo" in St. Petersburg abspielte, erinnerte stark an die Festnahme des belarussischen Bloggers Roman Protassewitsch vor wenigen Tagen. Diesmal ging es um den russischen Oppositionspolitiker Andrej Piwowarow. Allerdings musste eine Passagiermaschine nicht wie im Fall Protassewitsch unter einem offenbar vorgetäuschten Vorwand notlanden, sondern wurde kurz vor dem Abheben gestoppt. Piwowarow wurde mit großem Polizeiaufgebot wenige Minuten vor dem Abflug nach Polen festgenommen. "Er saß schon im Flugzeug. Dann wurde die Maschine plötzlich angehalten und er sah durch das Fenster sehr viel Polizei", erzählte Piwowarows Mitstreiterin Tatiana Usmanowa der DW.    

Die russische Justiz wirft dem 39-jährigen Oppositionspolitiker die Zusammenarbeit mit der kremlkritischen Organisation "Offenes Russland" des Öl-Milliardärs und Kremlkritikers Michal Chodorkowski vor. Piwowarow drohen zwei bis sechs Jahre Haft.

Chodorkowskis NGOs in Russland unerwünscht

Michail ChodorkowskiBild: DW/N. Jolkver

"Offenes Russland" wurde ursprünglich 2001 von Chodorkowski gegründet und agierte nach seiner Verhaftung als Bewegung und loser Verbund regionaler NGOs. Sie engagierten sich in den Bereichen Bildung, Medien und Zivilgesellschaft. Organisationen mit gleichem Namen sind in Großbritannien registriert, wo Chodorkowski seit seiner Freilassung lebt. 2017 wurden sie in Russland zu "unerwünschten Organisationen" erklärt und faktisch verboten. Die russische Dachorganisation versuchte seitdem als selbständige Struktur weiterzumachen, Piwowarow war Geschäftsführer und leitete die regionale Vertretung "Offenes Petersburg". Erst vor wenigen Tagen verkündete er die Auflösung der gesamten Organisation, um Festnahmen vorzubeugen. Offenbar zu spät.

Von St. Petersburg wurde Piwowarow am Dienstag nach Krasnodar in Südrussland gebracht, wo ihm der Prozess droht. Über die Hintergründe der Verlegung wird spekuliert. Nach offiziellen Angaben wird Piwowarow Werbung für eine unerwünschte Organisation im August 2020 vorgeworfen. Tatiana Usmanowa hat eine Vermutung: Piwowarow habe sich unter anderen auf Facebook für eine ehemalige Koordinatorin von "Offenes Russland" in Krasnodar engagiert, die verurteilt wurde. Wie auch in ihrem Fall wurde Piwowarow zunächst zweimal wegen einer Ordnungswidrigkeit zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun drohen ihm strafrechtliche Konsequenzen. 

Zuletzt trat Piwowarow als YouTuber auf und nahm an Protesten für die Freilassung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny teil. Seine Wohnung wurde nach der Festnahme durchsucht.  

Durchsuchungen vor der Duma-Wahl    

Proteste für die Freilassung von Nawalny in St. Petersburg, April 2021Bild: Dmitri Lovetsky/AP Photo/picture alliance

Ebenfalls durchsucht wurden am Dienstag Räume des Oppositionspolitikers und ehemaligen Duma-Abgeordneten Dmitri Gudkow und eines anderen früheren Chefs von Offenes Russland" - Alexander Solowjew. Dmitri Gudkow ist am Dienstagabend festgenommen worden. Manche Beobachter in Russland sprechen vor diesem Hintergrund von einer steigenden Welle von Repressalien, die oppositionelle Politiker und Aktivisten aus dem Feld räumen soll. Erst vor wenigen Wochen wurde Nawalnys Netzwerk faktisch zerschlagen und löste sich auf. Der Hintergrund: Mitte September wird die neue russische Staatsduma gewählt. Die Zustimmung für die Kreml-Partei "Einiges Russland" sank zuletzt auf rund 30 Prozent. Chodorkowski spottete auf Twitter: Der Umgang mit Piwowarow zeige, wie siegessicher die Kreml-Partei sei.   

Tatiana Usamanowa sieht ebenfalls einen Zusammenhang mit der Wahl. Piwowarow habe mit der oppositionellen linksliberalen Jabloko-Partei über seine mögliche Kandidatur verhandelt. Auch Gudkow habe Interesse signalisiert. "Die Regierung braucht keine unabhängigen Kandidaten. Sie werden aus dem Land gedrängt oder festgenommen", sagt Usmanowa. Sie geht davon aus, dass es weitere Festnahmen geben wird.