Unter Cineasten galt Südkorea schon lange als filmisches Schlaraffenland. Seit dem Oscar-Gewinn von "Parasite" und dem Erfolg von "Squid Game" ist klar: Die koreanische Erfolgsstory ist noch lange nicht zu Ende.
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Dass Südkorea einmal eine einflussreiche Kulturnation werden würde, war vor der Jahrtausendwende noch nicht abzusehen. Nach Jahrzehnten als japanische Kolonie, dem Koreakrieg und wechselnden Militärregierungen kam es erst 1987 zu echten demokratischen Reformen. Seitdem hat sich Südkorea, das einst "Land der Morgenstille" genannt wurde, mit Weltmarken wie Samsung, Hyundai und LG in Windeseile zwar zu einem wichtigen wirtschaftlichen Player entwickelt. Auf kultureller Ebene allerdings kannte man im Westen bis vor wenigen Jahren nicht viel mehr als die Musikrichtung K-Pop und den Song "Gangnam Style" aus dem ostasiatischen Tigerstaat.
Elf Filme aus Südkorea, die man kennen sollte
Koreanisches Kino ist seit Jahrzehnten auf Erfolgskurs. Hier sind einige Meilensteine, die weltweit für Aufsehen sorgten und mit für den guten Ruf von Filmen aus Südkorea verantwortlich sind.
Bild: Zuma Wire/IMAGO
Filmnation Südkorea
Filme aus Südkorea sind heute in aller Munde und finden ihr Publikum, wie hier beim Filmfestival in Busan. Sie bestechen oft durch besonders innovative Erzählweisen und hohe ästhetische Ansprüche. Elf Filme als Einstieg in die facettenreiche Welt des koreanischen Kinos.
Bild: Zuma Wire/IMAGO
Hanyo - Das Hausmädchen (1960)
Lange bevor der Erfolg des koreanischen Kinos um die Jahrtausendwende richtig Fahrt aufnahm, legte Kim Ki-young mit "Hanyo - Das Hausmädchen" einen Erotikthriller vor, der bis heute als einer der besten koreanischen Filme aller Zeiten gilt. In dem exzellent gedrehten Melodram zerstört die Affäre zwischen einem reichen Mann und einer Hausangestellten eine Familie.
Bild: ANN / KOFA/picture alliance
Peppermint Candy (2000)
Der zweite Film von Lee Chang-dong (Bild) beginnt mit dem Selbstmord des Geschäftsmanns Yongho und erzählt dann dessen Lebensgeschichte in umgekehrt chronologischen Rückblicken, von der Gegenwart in die Vergangenheit. Nach und nach erschließen sich die kausalen Zusammenhänge, die zu seiner Tat geführt haben könnten.
Bild: Jo Iwasa/AP/picture alliance
Oldboy (2003)
Dieser Film brachte dem südkoreanischen Kino quasi im Alleingang einen enormen Popularitätsschub. Ein Mann wird 15 Jahre lang in einen engen Raum gesperrt - ohne zu erfahren, warum. Nach seiner Freilassung beginnt er einen Rachefeldzug. Der zweite Film aus Park Chan-wooks Rachetrilogie ist ein Meisterwerk für sich, ein extremes Epos mit kraftvollen, traumartigen Bildern, die man niemals vergisst.
Bild: Mary Evans/IMAGO
Frühling, Sommer, Herbst, Winter und ... Frühling (2003)
Kim Ki-duk, dessen Filmkarriere 2018 aufgrund von #Metoo-Vorwürfen einen Knick bekam, ist 2020 mit nur 60 Jahren an den Folgen einer COVID-Infektion gestorben. "Frühling, Sommer, ..." gilt als sein Meisterwerk. Er handelt von einem buddhistischen Mönch und seinem Schüler, der im Laufe des Films erst zum Mann wird und schließlich selbst altert. Ein Film über den Kreislauf des Lebens selbst.
Bild: Sony Pictures/Mary Evans/IMAGO
Memories of Murder (2003)
Bong Joon-hos Durchbruch gilt als der erfolgreichste Kriminalfilm Südkoreas. Er spielt in den Jahren 1986 bis 1991. Der nach einer wahren Begebenheit erzählte Thriller handelt von einem Serienmörder, der in der südkoreanischen Provinz zehn Frauen tötet. Zwei sehr unterschiedliche Polizisten wollen den Fall aufklären und sorgen für viele komische Momente - trotz der bedrückenden Thematik.
Bild: Yonhap/picture alliance
Poetry (2010)
Die Rentnerin Yan Mi-ja leidet an einer frühen Form von Demenz. Sie besucht einen Poesiekurs, um die Schönheit der Welt noch einmal in Worte fassen zu können. Während sie ihr Gedächtnis verliert, lernt sie gleichzeitig ein neues Vokabular und ihre Umwelt neu wahrzunehmen. Durch ihre Augen blicken wir auf ihren Enkel und eine Tragödie, die sich in ihrem Kurs abspielt.
Bild: Kino International/Courtesy Everett Collection/picture alliance
Einmal fremd, einmal vertraut (2015)
Hong Sang-soo, hier mit Hauptdarstellerin Kim Min-hee in Locarno, erzählt die Geschichte eines Abends zweimal: Ein berühmter Regisseur kommt für eine Filmvorführung in eine Stadt, wo er eine schöne junge Frau kennenlernt. Sie verbringen den Rest des Tages miteinander. Der gemeinsame Abend missglückt jedoch, und der Mann bekommt eine zweite Chance. Doch ist sie wirklich ein Happy End?
Bild: Urs Flueeler/dpa/picture alliance
Die Taschendiebin (2016)
In dem Erotikdrama von Park Chan-wook will ein Erbschleicher eine reiche Frau verführen. Eine Taschendiebin soll sich als Dienstmädchen einschleichen und sichergehen, dass sich die Erbin auch in ihn verliebt. Doch die Diebin verliebt sich selbst in ihr Opfer. In drei Akten und aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet, lösen sich hier einfache Dichotomien wie Gut und Böse auf.
Bild: Cannes Film Festival / Handout/dpa/picture alliance
The Wailing - Die Besessenen (2016)
In dem Mystery-Thriller von Na Hong-jin erscheint eines Tages ein Fremder in einem kleinen Dorf. Kurz darauf geschehen grausame Morde. Der atmosphärische Horrorfilm bedient sich bei verschiedenen Motiven des Genres ebenso wie bei alten Volksmärchen und Geschichten über satanische Kulte.
Bild: Cannes Film Festival / Handout/dpa/picture alliance
Parasite (2019)
"Parasite" ist das erste nicht englischsprachige Werk, das je den Oscar für den besten Film gewann und der meistgesehene koreanische Film aller Zeiten in zahlreichen Ländern. Bong Joon-ho serviert einem Millionenpublikum beißende Kapitalismuskritik in einem Film zwischen Drama und Satire, in dem sich eine Familie aus einer Armengegend in Seoul bei einer wohlhabenden Familie einnistet.
Bild: Yonhap/picture alliance
Die Frau im Nebel (2022)
Park Chan-wooks Mystery-Thriller (hier im Bild der Regisseur und Hayato Isomura) handelt von einem Detektiv, der sich in die Witwe eines vermeintlichen Unfallopfers verliebt. Der Film feierte seine Weltpremiere 2022 in Cannes und bekam dort den Regiepreis. 2023 war er Südkoreas Oscar-Beitrag in der Kategorie "Bester internationaler Film", wurde aber nicht nominiert.
Bei Kinofans war das etwas anders: Seit der Jahrtausendwende sorgten Filme wie Park Chan-wooks "Oldboy" oder "Frühling, Sommer, Herbst, Winter ... und Frühling" von Kim Ki-duk weltweit für Aufsehen. Mittlerweile sind koreanische Filme und Serien aus der globalen Unterhaltungsindustrie nicht mehr wegzudenken. Das Festival von Busan gilt als das wichtigste asiatische Filmfest, und mit 1,7 Milliarden US-Dollar Einnahmen ist Südkorea der fünftgrößte Kinomarkt der Welt. Von den USA bis Afrika wird koreanisches Entertainment konsumiert, und für alle ist etwas dabei: von Horror über Action bis zur Seifenoper. Die Hallyu, die koreanische Neue Welle in der Popkultur, hat die ganze Welt überrollt. Schon spricht man in Anlehnung an Hollywood, Bollywood (Hindi-Filme) und Nollywood (nigerianisches Kino) von Südkorea als Hallyuwood.
Filmische Grenzen sprengen
Und die Tendenz ist sogar steigend: Die großen US-amerikanischen Studios haben Zweigstellen in Südkorea aufgemacht, um dort Filme koproduzieren zu können, US-amerikanische Sequels südkoreanischer Filme sind populär, und auch die Streaming-Giganten Netflix und Disney+ balgen sich um die Vorherrschaft in Sachen koreanischer Film. Netflix will 2023 an den großen Erfolg von "Squid Game" anschließen und setzt verstärkt auf Filme und Serien aus dem ostasiatischen Land. Die Netflix-Produktion "Kill Boksoon" und weitere Filme werden auch auf der Berlinale 2023 Premiere feiern. Und in europäischen Kinos sorgt der neueste Streich von Starregisseur Park Chan-wook für Furore: "Die Frau im Nebel".
Natürlich sind nicht alle Filme und Serien aus Südkorea "großes Kino". Genauso können sie auch sperrig oder oberflächlich sein, doch ein roter Faden ist erkennbar: Der innovative und hoch kreative Umgang mit Erzählweisen, Kamera und Schnitt. Trotz des kommerziellen Erfolgs ihrer Werke scheinen Regisseurinnen und Regisseure aus Südkorea nur wenige Abstriche in ihrem künstlerischen Anspruch zu machen. Der Blick über den narrativen Tellerrand scheint hier nicht die Ausnahme, sondern geradezu die Regel zu sein. Bilder wie der Protagonist Oh Dae-su, der in "Oldboy" einen lebenden Oktopus verzehrt oder in Videospiel-Ästhetik mit einem Hammer seine Gegner angreift, sind ungewöhnlich und brennen sich ins Gedächtnis ein.
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Erzählstoff liegt auf der Straße
Seine Lust an der Grenzüberschreitung und seine kreative Kraft schöpft der koreanische Film sicher auch aus der jüngeren Geschichte des Landes. Viele der Großmeisterinnen und -meister des koreanischen Kinos sind in der Zeit des zivilen Widerstands gegen die Militärregierung aufgewachsen. Sie haben in den Filmclubs ihrer Universitäten heimlich verbotene Filme gesehen und darüber diskutiert. Auch die Trennung vom diktatorisch regierten Nachbarland im Norden und der Siegeszug des Turbokapitalismus in kürzester Zeit trugen zu ihrem kritischen Blick auf die Welt bei. Die Machenschaften von Großkonzernen, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, all das gibt eine Menge Stoff für Filmemacher. Und Südkorea ist ein Land, in dem es wichtig ist, hip und innovativ zu sein: Nicht nur in der Hauptstadt Seoul, sondern in allen Großstädten des Landes blühen kreative, weltoffene Kulturszenen. Wer hier künstlerisch auffallen will, muss etwas Besonderes schaffen.
Wenige Regisseurinnen
Auf staatlicher Seite wiederum half eine hohe Quote für einheimische Produktionen. Wer schon einmal in Südkorea war, weiß: Das Kino wird nicht nur im privaten Rahmen zelebriert, sondern auch öffentlich. So ziert einen Kreisverkehr im Zentrum der Großstadt Jeonju, die für ihr internationales Filmfestival bekannt ist, die Statue eines Kameramanns - und zwar ganzjährig, nicht nur in der Festivalsaison.
Die nächsten Jahre werden zeigen, wie sich Südkoreas Filmindustrie weiterentwickelt. Eine ihrer größten Schwächen ist, dass sie noch immer sehr männerdominiert ist. Erst in den letzten Jahren kommt hier etwas Bewegung hinein: Beim Filmfestival von Busan 2019 waren 27 Prozent der koreanischen Filme von Frauen, was verglichen mit den Vorjahren ein Quantensprung war. In Sachen Emanzipation muss sich in der Filmindustrie von Südkorea also noch einiges tun, damit das Land mit der westlichen Konkurrenz mithalten kann.
Jetzt, wo koreanische Filme und Serien in aller Munde und Mainstream geworden sind, könnte Hallyuwood dasselbe Schicksal ereilen wie seine Vorgänger: ein kreativer Stillstand oder Krisen finanzieller Natur. Doch ähnlich wie sich Hollywood immer wieder selbst erneuert, so wird es auch Südkoreas Kino mit seiner jungen, aber dennoch starken Filmtradition schaffen, auch in Zukunft relevant zu bleiben. Es gibt schließlich genug Geschichten zu erzählen aus dem Land der Morgenstille.