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Jochen Kürten
4. März 2005

Das Angebot an Büchern über das Kino ist den vergangenen Jahren vielfältiger geworden - dank des Engagements kleiner Spezialverlage. Im derzeitigen Mittelpunkt: der französische Film.

François Truffaut ist immer noch "in"


Welche Kinoepoche schätzen Sie am meisten? Viele Kinoliebhaber würden wahrscheinlich antworten: die "Nouvelle Vague", also das französische Kino Ende der 1950er / Anfang der 1960er Jahre. Regisseure wie Jean-Luc Godard, Claude Chabrol, Jacques Rivette und François Truffaut reformierten damals den europäischen Film - und die Filmkritik.

Szene aus "Tisch und Bett", Regie: François Truffaut; Mit: Jean-Pierre Léaud (Antoine Duhamel) und Claude Jade (Christine Doinel)Bild: dpa/ La Sept ARTEBU

Robert Ingram/Paul Duncan (Hg.): "François Truffaut: Sämtliche Filme"

Truffaut hinterließ ein Werk von 22 Spielfilmen. Klassiker wie "Sie küssten und sie schlugen ihn", "Jules und Jim" und "Die amerikanische Nacht" werden heute noch in Programmkinos oft und gerne gespielt. Der Taschen-Verlag hat in seiner aufwendig gestalteten Filmbuchreihe dem Franzosen eine Bildbiografie gewidmet.

Das Truffaut-Buch besticht mit seinen prachtvollen Fotos, viele davon in Farbe: Szenen- und Standbilder, Fotografien, die am Set geschossen wurden - all das vermittelt einen authentischen Eindruck der Dreharbeiten und der Filmszenen.

"Das Endprodukt steht in jedem Fall - und das ist auch gut so - in keinerlei Verhältnis zu der Arbeit, die man hineinsteckte oder zum Geld, das dafür ausgegeben wurde oder zu der Intelligenz, die man entfalten musste. Es steht in keinem Verhältnis zu irgendwas anderem. Es geht eher um eine Art von Chemie, die einfach passiert - oder auch nicht. Ich habe oft genug wie ein Sklave an Filmen gearbeitet, die keinen Erfolg hatten", wird Truffaut in der Textsammlung zitiert.

Truffaut lebte für den Film, für ihn war der Kinobesuch Lebenselixier, unvergessen die Szene in "Sie küssten und sie schlugen ihn", in denen der kleine Antoine Doinel, Truffauts Alter Ego, die Aushangfotos aus einem Kino klaut. "Vater unbekannt" heißt ein Kapitel aus der Taschen-Biografie und spielt an auf die Tatsache, dass Truffaut nacheinander von einer Amme, seiner Großmutter und dem Stiefvater erzogen wurde, seinen leiblichen Vater lernte er nie kennen. Und da sich auch Truffauts Mutter nicht gerade aufopferungsvoll um den Jungen kümmerte, suchte der sich einen Ersatz für das Elternhaus: das Kino.

Szene aus "Geraubte Küsse", Frankreich 1968, Regie: François TruffautBild: dpa/ La Sept ARTEBU

André Bazin: "Was ist Film?"

"Selbst wenn er von seiner Rente hätte leben können oder eine Erbschaft gemacht hätte, hätte Bazin über das Kino geschrieben", hat Truffaut einst über den französischen Kritiker André Bazin gesagt. Eine komprimierte Sammlung von fast 30 Aufsätzen aus dessen vierbändigem Grundlagenwerk "Was ist Film?" hat der Alexander-Verlag jetzt erstmals auf Deutsch herausgebracht - fast 30 Jahre nach Erscheinen des französischen Originals. Andre Bazin, gilt als bedeutendster französischer Filmkritiker nach dem Zweiten Weltkrieg und geistiger Vater der "Nouvelle Vague". 1951 gründete er die einflussreiche Zeitschrift "Cahiers du Cinema".

Bazins Schriften über die französischen Filmklassiker, die italienischen Neorealisten, aber auch über das amerikanische Westernkino, zeichnen sich durch eine verständliche, einnehmende Sprache, eine sehr persönliche Sichtweise und einen offenen Umgang mit Literatur, Theater und bildender Kunst aus.

Frida Grafe: "Nur das Kino - 40 Jahre mit der Nouvelle Vague"

So wie Bazin für die französische Filmpublizistik zur legendären Figur wurde, so ist Frida Grafe in Deutschland zu einer Ikone des Schreibens über den Film geworden. Ihre Schriften sind jetzt bei dem kleinen Berliner Verlag Brinkmann & Bose erschienen. Truffaut war einer ihrer Lieblingsregisseure.

"Zwei Konstanten bei Truffaut: die Angst vor toten Momenten, die das Publikum apathisch werden lassen, und das Bekenntnis, dass ihm die Wahl der Szenen, die ein Sujet illustrieren, wichtiger ist als das Sujet selbst", hat Grafe bei der Analyse von Truffauts Arbeiten festgestellt.

Frida Grafes Texte über das Kino zeichneten sich auch dadurch aus, dass sie andere Künste, Philosophie und Literatur mit einbezogen. Diese Verknüpfungen setzte sie meist assoziativ ein: ein frei schwebender Gedankenfluss über das Medium Film - fernab jeder sturen Einteilung in "gute" und "schlechte" Filme. Für Frida Grafe war das Kino nicht die siebente Kunst neben den bereits etablierten Künsten, sondern eine Welt für sich.

Jochen Kürten

Robert Ingram/Paul Duncan (Hg.): Francois Truffaut: Sämtliche Filme, Taschen Verlag Köln 2004, 192 Seiten mit vielen zum Teil farbigen Fotos, 19,90 Euro, ISBN 3-8228-2266-3

André Bazin: Was ist Film?, u.a. mit einem Vorwort von Tom Tykwer, Alexander Verlag Berlin 2004, 440 Seiten, 29,90 Euro, ISBN 3-89581-062-2

Frida Grafe: Nur das Kino - 40 Jahre mit der Nouvelle Vague, Band 3 der Schriften, insgesamt 12 Bände, Brinkmann & Bose Berlin 2003, 174 Seiten, 22 Euro, ISBN 3922660827