Das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg erreicht in diesem Jahr das Rentenalter. Dennoch setzt es weiterhin konsequent auf die Jugend und spürt neue Talente auf. Ein Blick auf das Programm 2016.
Anzeige
Junge Talente beim 65. Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg
Auch 2016 präsentiert das Filmfestival Mannheim-Heidelberg eine Auswahl vielversprechender Newcomer aus aller Welt. Wer sind die bedeutenden Regisseure von Morgen? Das Festival wagt einen Ausblick in die Kino-Zukunft.
Was wie das Motto eines ganzen Filmfestivals klingen könnte, ist der Titel der dänischen Tragikomödie von Regisseurin Sofie Stougaard. Die Regiedebütantin, in ihrer Heimat eine bekannte Schauspielerin, lässt zwei Frauen und einen Mann aufeinanderprallen - mit allem, was dazu gehört. "Liebe und andere Katastrophen" ist einer von 19 Filmen in der Wettbewerbsreihe "International Newcomer".
Das Festival in Mannheim/Heidelberg zeigt vor allem Talente aus kleineren Filmnationen. Deutsche Filme sind normalerweise kaum vertreten. In diesem Jahr ist allerdings die deutsch-irakische Co-Produktion "The Dark Wind" dabei. Nach einer wahren Geschichte hat der kurdische, im Exil lebende Regisseur Hussein Hassan das Schicksal einer von IS-Terroristen verschleppten jesidischen Frau verfilmt.
Wie "The Dark Wind" erzählt auch der iranische Film "Another Time" vom Leben der Frauen in einer streng patriarchalischen Gesellschaft. Und wie im Film aus dem Irak zeigt auch das Werk von Regisseurin Nahid Hassanzadeh, dass die Frauen im Nachbarland Iran aufgrund religiöser und gesellschaftlich geprägter Traditionen kaum Rechte haben.
Starke Frauenschicksale prägen das Programm des 65. Festivals Mannheim/Heidelberg - das hatten die Veranstalter schon im Vorfeld angekündigt. Das trifft nicht nur auf die Filme aus Irak und Iran zu. Auch im türkischen Beitrag "Wedding Dance" geht es um eine Frau, die sich in einem patriarchalisch geprägten Land behaupten will. Regisseurin Çiğdem Sezgin blickt tief in das Innenleben der Nation.
Aus dem Osten Europas kommen immer wieder Filmperlen, die beim Festival Mannheim/Heidelberg für ein westeuropäisches Publikum entdeckt werden. 2016 dürfte die Tragikomödie "Train Driver's Diar" für einen Höhepunkt sorgen. Regisseur Milos Radovic erzählt die Geschichte des 60-jährigen Zugführers Ilija. Der muss sich mit den Selbstmorden von Menschen auseinandersetzen, die sich vor den Zug werfen.
Aus Israel kommt der beeindruckende Film "Wedding Doll", der von der jungen Hagit erzählt, die von einer romantischen Hochzeit träumt. Hagit ist geistig ein wenig zurückgeblieben und arbeitet in einer israelischen Papierfabrik. Dort ist sie zuständig für Toilettenpapier. Regisseur Nitzan Gilady inszeniert aus dem Stoff ein romantisches, zutiefst menschliches Märchen.
Auch im Film "The Polar Boy" leidet die weibliche Hauptdarstellerin unter einer psychischen Krankheit. Sie trifft auf den jungen Esten Mattias, der in Berlin Fotografie studieren will, dort aber nicht angenommen wird. Zurück in der Heimat, verliebt Mattias sich, doch das junge Mädchen hat eine bipolare Störung. Eine leidenschaftliche Liebesgeschichte beginnt - inszeniert von Anu Aun aus Estland.
Bild: Filmfestival Mannheim-Heidelberg/Anu Aun
Calico Skies
Das Festival Mannheim/Heidelberg, das gern auf die Ränder des Kino-Universums schaut, zeigt hin und wieder auch neue Filme aus den USA. Die werden meist dem Independent-Kino zugeordnet, das abseits des Hollywood Mainstreams entsteht. "Calico Skies" des aus Italien stammenden Valerio Eposito ist ein schönes Beispiel dafür und erzählt die Geschichte eines Außenseiters, der in der Wüste lebt.
In diesem Jahr findet das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg zum 65. Mal statt. Früher gingen deutsche Arbeitnehmer mit 65 Jahren in Rente. Inzwischen hat sich das verschoben, auf zumindest 67 Jahre. Insofern ist das Festival Mannheim/Heidelberg doch noch kein Fall für die Pensionsgrenze. Und die Veranstalter würden das wohl auch empört zurückweisen. Schließlich zeigt man beim Festival traditionell junges Kino, Filme von Debütanten und Regisseurinnen und Regisseuren, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere stehen.
Auftakt mit einem Blick nach Armenien
"Lost in Armenia" hat das Festival am Donnerstag eröffnet, eine französisch-armenische Co-Produktion von Regisseur Serge Avédikian. Der im armenischen Eriwan zur Welt gekommene Avédikian ist vor allem als Schauspieler bekannt. "Lost in Armenia" ist sein zweiter eigener Film, so dass der 1955 geborene Filmemacher doch noch das Kriterium des Festivals erfüllt. Gezeigt werden nämlich ausschließlich Filme von Newcomern.
19 Filme sind in diesem Jahr im Wettbewerb zu sehen, drei andere Reihen komplettieren das Programm. Rund 40 Filme kommen jedes Jahr in Mannheim/Heidelberg zur Aufführung, man bemüht sich auf einen konzentrierten Blick auf interessante neue und junge Regisseure. Auf Glamour und große Partys wird verzichtet, auch weil man es sich nicht leisten kann. Das Festival hat ein vergleichsweise geringes Budget.
Statt Glamour: Filmkunst mit Publikumspotential
So hat man in den letzten Jahren aus der Not eine Tugend gemacht. Für das kräftige Auf-die-eigene-Schulter-Klopfen sorgt dabei vor allem Festival-Direktor Michael Kötz, der dem Filmtreff seit einem Vierteljahrhundert vorsteht. Kötz vermarktet sein Festival meisterhaft und wirbt stetig für einen Ausgleich zwischen Kunstkino und populärem Kino mit Anspruch. "Ich musste lernen, dass ein internationales Filmfestival nicht nur gute Filme zeigen kann, die ein gelernter Cineast gut findet - und die Kollegen loben ihn für seinen radikal-guten Geschmack - sondern, dass die Filme auch beim Publikum funktionieren müssen, ohne dass man sie mit Seichtem abspeist, weil man glaubt, sie seien zu blöd, um die wirklich guten Filme zu verstehen", schreibt Kötz in seiner Jubiläums-Rückschau auf die Geschichte des Festivals.Man müsse dem Publikum alles zutrauen, so Kötz, damit es umgekehrt dem Programmverantwortlichen auch vertraut. Doch es geht beim Festival nicht nur um die Präsentation neuer Filme. Mannheim/Heidelberg ist auch ein Platz des Austauschs. Ein internationales Filmfestival müsse auch ein attraktiver Marktplatz für Filmeinkäufer für Kino und Fernsehen sein, ergänzt Michael Kötz. Auch das hat das Festival mit der Plattform "Mannheim Meeting Place" geschafft, bei der jedes Jahr Jung- und Alt-Produzenten aufeinandertreffen.
Siebtältestes Filmfestival der Welt
Nach Angaben des Festivals werden jährlich weltweit rund 8000 Filme gedreht. Rund 1000 davon würden von den Festival-Machern jedes Jahr im Vorfeld gesichtet, 30 bis 40 dann gezeigt. Besonders stolz ist man darauf, ausschließlich Entdeckungen zu präsentieren. Erfolgsfilme anderer Festivals bloß nachzuspielen, darauf verzichtet man beim Traditions-Festival in den zwei Städten Baden-Württembergs. Aus der Taufe gehoben wurde das Festival 1952 in Mannheim als "Kultur- und Dokumentarfilmwoche". Die Stadt Heidelberg stieß erst 1993 dazu.
Und tatsächlich, unter den Festival-Filmen sind jedes Jahr viele Perlen zu entdecken, aus Ländern wie Iran oder Irak, aus Südamerika, aus kleineren europäischen Ländern, aus China oder auch aus der Independent-Szene der USA und aus Kanada. Mannheim war für viele junge Regisseurinnen und Regisseure der Startschuss für eine internationale Karriere. Auch darauf ist man stolz: Namen wie Věra Chytilováund Alexander Kluge, Otar Iosseliani und Jim Jarmusch stehen für diesen Entdeckergeist.