Das Herz des Kinos
30. August 2007Im internationalen Konzert der Filmfestivals gilt Cannes als der Bauch. Da werden die Geschäfte gemacht. Berlin ist der Kopf. Da werden neue Trends vorgestellt. In Venedig aber darf zurecht das Herz vermutet werden, die Seele des Autorenfilms und überhaupt des Kinos.
"Beim Oscar zählt das Geld, in Venedig die Filmemacher und die Schauspieler", schwärmte Hollywoodstar Sean Penn einmal vor Journalisten. Das hat mit der Atmosphäre der Lagunenstadt zu tun, aber auch damit, dass die Idee, eine Kunstausstellung für den Film zu veranstalten, in Venedig geboren wurde und vor 75 Jahren das erste Filmfestival der Welt eröffnet wurde - mit Rouben Mamoulians Horrorfilm "Dr. Jekyll und Mr. Hyde" in Freiluftprojektion auf der Terrasse des gerade neu erbauten Excelsior-Hotels der Badeinsel Lido.
Seit 1947 gibt's den "Leone d'Oro"
Filmfestivals und besonders das erste seiner Art sind also eine Erfindung der Hoteliers, was man auch heute noch an den respektablen Sonderpreisen zur Festivalsaison sehen kann. Aber Conte Volpi, der damalige Chef der Biennale von Venedig - der Ausstellung für moderne Kunst in den Giardini, den Gärten von Venedig -, war nicht nur ein schwerreicher Industrieller, sondern auch einer der Freunde Mussolinis, nach dem der Preis des Festivals anfangs benannt war. Italiens Faschisten dominierten das Festival. Schließlich wurde es zu einer geschlossenen Veranstaltung der Achsenmächte Deutschland, Italien und Japan mit Preisen für Leni Riefenstahl und einmal sogar für Mussolinis Sohn Vittorio.
Der Neustart des Festivals 1947 im Innenhof des Dogenpalastes gilt bis heute als erfolgreichste Ausgabe der Filmbiennale. Auch einen neuen Preis gab es: den "Leone d'Oro" - den geflügelten Löwen der Lagunenrepublik in Gold, der seither neben dem Oscar und der goldenen Palme von Cannes die begehrteste Filmauszeichnung der Welt ist.
Das goldene Zeitalter
Die große Zeit der Biennale begann. In Venedig wurden Akira Kurosawa und Ingmar Bergman entdeckt. Auch die italienischen Meisterregisseure Visconti, Antonioni und Fellini feierten am Lido ihre großen Erfolge. Das Filmfestival wurde zur verlässlichen Plattform zur immer währenden Neuentdeckung des Kinos der Autoren.
1968 war endlich der Neue Deutsche Film dran. Alexander Kluge mit "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos." Im gleichen Jahr flog das Festival unter Protesten der jungen Filmemacher auseinander. Das ist im Protestjahr der Jugendbewegung in Berlin und Cannes nicht anders gewesen. Doch nur die Filmbiennale von Venedig machte elf Jahre lang Pause.
1979: Wieder ein Neubeginn, inzwischen in einer Welt, in der die Zahl der Filmfestivals auf rund 600 angewachsen war. Dann entdeckte Venedig wieder den Deutschen Film. 1981 bekam Margarete von Trotta für ihren Film "Die bleierne Zeit" den Goldenen Löwen, 1982 Wim Wenders für seinen hollywoodkritischen Film "Der Stand der Dinge". Die umfangreiche Filmserie "Heimat" von Edgar Reitz wurde in allen drei Teilen in Venedig triumphal gefeiert.
Großes Staraufgebot
25 Festivaldirektoren hat das Festival von Venedig in seiner Geschichte verschlissen und sich im immer härter werdenden Wettbewerb der großen Filmereignisse auch deshalb so gut behauptet, weil es ohne Venedig ja all diese anderen Festivals gar nicht gäbe. Ernsthafte Konkurrenz entstand erst im letzten Jahr durch die Neugründung eines gut betuchten Festivals in Rom. Doch diese Krise scheint nach viel Zeitungspolemik erst einmal überstanden. Man versucht nebeneinander und mit anderen Schwerpunkten zu konkurrieren. So wirkt die Biennale der Filmkunst in Venedig gerade jetzt so unzerstörbar wie die Stadt selbst. Einen neuen Palazzo del Cinema will man auch bauen. Die linke Regierung in Rom hat dafür sogar Geld versprochen.
Zum Festival-Geburtstag wird es ein großes Staraufgebot geben. Regisseure wie Brian De Palma, Peter Greenaway, Paul Haggis und Todd Haynes werden erwartet. Hinzu kommen Stars wie Brad Pitt, George Clooney und Richard Gere, Charlize Theron, Susan Sarandon und Cate Blanchett. Ein Goldener Löwe steht schon zu Beginn der diesjährigen Filmfestspiele fest: Den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhält der italienische Filmemacher Bernardo Bertolucci ("Der letzte Kaiser").