Viele tun sich schwer damit, den FC Bayern zu bewundern. Bei der Uraufführung des neuen DW-Dokumentarfilms "Das 'Mia san mia' - Phänomen" in einem Berliner Kino ist davon nichts zu spüren.
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Rafa Noboa y Rivera und Camila Borborema haben sich vorher noch nie getroffen. Sie kommen aus verschiedenen Ländern und sprechen verschiedene Sprachen. Aber beide verbringen ihren Abend damit, über die gleiche Sache zu sprechen: den FC Bayern München.
Die beiden - er aus New York, sie aus Rio de Janeiro - gehören an diesem Abend im Berliner Kino "Babylon" zu den Hunderten von Premierengästen und sind gleichzeitig auch Protagonisten, deren Geschichten auf der großen Leinwand erzählt werden.
Treue Fans
Der Dokumentarfilm beschreibt den Einfluss des größten deutschen Fußballvereins auf Fans, Spieler, Offizielle, Journalisten, Trainer und Fußballer weltweit und konzentriert sich auf das Gefühl "Mia san mia", über das sich der FC Bayern definiert. Für Camila bedeutet das, ein bisschen anders zu sein. "Viele verstehen das nicht", sagt sie über ihre Fan-Treue zum deutschen Rekordmeister. "Sie sagen: Oh, du magst Brasilien nicht. Dabei mag ich Brasilien sehr wohl, aber ich mag auch den FC Bayern. Viele meiner Freunde haben mich nach dem 7:1 Deutschland gegen Brasilien (bei der WM 2014) angesprochen. Ich habe geantwortet: Ich weine um Brasilien, aber ich unterstütze immer noch den FC Bayern."
Auf Augenhöhe
Als sie und Rafa vor der Filmpremiere im Saal begrüßt werden und sich erheben, erhalten sie einen Riesenapplaus des Publikums. Genauso wie die Bayern-Ex-Profis Klaus Augenthaler, Franz "Bulle" Roth und Hansi Pflügler, die während ihrer Karriere bei den Münchenern zahlreiche nationale und europäische Titel gewonnen hatten. Spieler und Fans auf Augenhöhe, das fasst zusammen, was wenig später über die Leinwand läuft.
Charterflug für Kuffour
In einem besonders emotionalen Abschnitt erzählt der ehemalige Bayern-Verteidiger Sammy Kuffour vom Tod seiner Tochter im Alter von 15 Monaten und wie der Verein, angestoßen von Präsident Uli Hoeneß, ihn mit einem Privatjet nach und von seiner Heimat Ghana fliegen ließen. Er vergleicht den Klub, der oft als arrogant und unnahbar empfunden wird, mit einer Familie.
Mehr als nur Pflicht
Manuel Vering, neben Niels Eixler einer der Autoren des Films, sagt, dass dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wie ein Leitthema über der gesamten Produktion gestanden habe: "Wenn man einen der großen englischen Fußballvereine wie Manchester United oder Arsenal anschaut, haben natürlich auch sie viele Fans im Ausland. Und alle werden sagen, dass sie wie eine große Familie sind. Aber der FC Bayern ist die Mannschaft, die sich am meisten von allen auch wirklich wie eine Familie verhält. Sammy Kuffour ist ein Beispiel, aber es gibt auch noch viele andere. Sie schützen ihre Spieler schützen und tun mehr als nur ihre Pflicht."
Vom Präsidenten zum Fan aus der Favela - Die Helden des "Mia san mia"- Phänomens
Der FC Bayern München ist ein Weltklub, der in allen Erdteilen seine Fans hat. Alle lieben den FCB auf ihre ganz spezielle Art.
Bild: DW
Uli Hoeneß (München) - Präsident des FC Bayern
"Ich war immer der Meinung, dass der FC Bayern München von einem kleinen Verein zu einer Weltmarke zu führen ist." In diesem Sinne arbeitet er als Manager, ist für die Spieler aber auch Freund und Ratgeber. Dann landete er im März 2014 wegen Steuerhinterziehung für 11 Monate im Gefängnis. Uli Hoeneß verabschiedete sich mit den Worten: "Das war‘s noch nicht" und sollte damit recht behalten.
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Kamal Abu Lail (Nazareth, Israel) - Bayern Fan
"Egal ob Palästinenser oder Jude, wenn Bayern ein Tor schießt, umarmst Du jeden," sagt der in Israel lebende Palästinenser Kamal. Seit den 70iger Jahren ist er Bayern Fan. "Damals war ich erst zehn, und wir hatten einen Schwarz-Weiß-Fernseher. Es gab oft Live-Übertragungen: Rummenigge, Beckenbauer, Breitner, die waren damals schon berühmt. Ich habe mich schnell in ihr Spiel verliebt."
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Philipp Lahm (München) – Eigengewächs
Vereinstreu, eloquent, erfolgreich, Philipp Lahm steht für ein typisches "Bayern Eigengewächs". Rund zwei Jahrzehnte kickte der 33-Jährige in München, ist jetzt aber in Fußballrente. Dabei wirkt er noch wie ein Nachwuchsspieler. "Dass ich schmächtiger als die anderen war, hat mir vermutlich die gewisse Portion Ehrgeiz mitgegeben, die es braucht, um sich im Haifischbecken FC Bayern durchzusetzen."
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Kanata Tokumoto (Fuchu City, Japan) – Bayern Fan
Kanata ist der Musterschüler des FC Bayern Tsuneishi, der Fußball-Akadamie einer riesigen Schiffswerft im Bundesstaat Fukushima. Der 14-jährige Japaner ist so gut, dass der FC Bayern einen Jugendtrainer schickte, um ihn beobachten zu lassen. Wir waren dabei, als diese Begegnung in einem Jugendliga-Spiel gipfelte und haben den kleinen Kanata auf Herz und Nieren geprüft.
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Samuel "Sammy" Osei Kuffour (Accra, Ghana) – Ex-Spieler
Von Ghana über Italien als 17-Jähriger nach München. Uli Hoeneß wurde für den jungen Sammy so etwas wie ein Ersatzvater, der ihm in schwierigen Lebensabschnitten immer zur Seite stand. Besonders nach dem tragischen Tod seiner Tochter war der Zusammenhalt beeindruckend, und das "Mia san Mia"- Phänomen so für den Ghanaer menschlich spürbar.
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Camila Borborema (Rio de Janeiro, Brasilien) – Bayern Fan
Andere Brasilianer erklären Camila manchmal für verrückt. Bei so vielen Vereinen im eigenen Land hält die 24-Jährige ausgerechnet zum FC Bayern. Das liegt zum Teil auch an einem Spieler, der ihr seit dem WM Finale 2002 nicht mehr aus dem Kopf geht: "Oliver Kahn ist der Mann meines Lebens, es gibt keinen wunderbareren Menschen auf dem ganzen Planeten. Ich liebe ihn über alles."
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Oliver Kahn (München) - Torwartlegende
Für manche ist er nur "Der Titan", für andere die personifizierte "Bestia Negra", wieder andere kennen ihn als feuerspeiende Godzilla-Imitation. Doch in einem sind sich alle einig: Kaum einen verbindet so viel mit dem FC Bayern wie Oli Kahn. "Ich habe die ganzen Werte des Vereins in mich aufgesogen, weil Erfolg nur durch totale Identifikation mit dem, was man tut, möglich ist," so der Ex-Torhüter.
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Franz "Bulle" Roth (Bad Wörishofen) - Urbayer
Im Europapokal Endspiel 1967 erzielte er in der Nachspielzeit das alles entscheidende Tor gegen die Glasgow Rangers. Damit begann der internationale Erfolg beim FC Bayern München. "Der Torwart kam mir entgegen und reißt mich fast um, aber der Ball ging unter die Latte rein. Wunderbar!!! Drum habe ich den Pokal über Nacht an meinem Bettkästchen gehabt und hab ihn angeschaut. Die ganze Nacht..."
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Giovane Elber (Mato Grosso, Brasilien) - Ex-Spieler
Giovane Elber führt ein Doppelleben. In Brasilien - nahe der bolivianischen Grenze - besitzt er eine Ranch mit 5000 Rindern. Doch wo immer der FC Bayern ihn braucht, ist er auch für seinen Lieblingsklub im Einsatz. Als Botschafter für den FC Bayern reist er um die Welt. Für das "Mia san mia"- Phänomen erinnert er sich an seine aktive Zeit bei den Bayern zurück - in seiner ganz speziellen Art.
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Raffael Noboa y Rivera (New York, USA) - Bayern-Fan
Raffael wurde in Puerto Rico geboren und lebt in New York. Dort arbeitet er in einer Software- Firma. Seit 20 Jahren ist er leidenschaftlicher Fan vom FC Bayern - mit einer ganz besonderen Perspektive: "Ich liebe das Spiel, manchmal ist es wie Kunst. Aber es geht mir gelegentlich zu nahe und deswegen halte ich Abstand. Ich möchte nicht von etwas abhängig sein, was ich nicht kontrollieren kann."
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Andy Brassell (London, England) - Sportjournalist
Andy schreibt für "The Guardian" und ist Experte bei "Talksport", einem der weltweit größten Sportradiosender. Seine Meinung hat Gewicht in der Szene und zu seinen Spezialthemen gehört das Verhältnis englischer und deutscher Clubs zueinander. "Die Münchner sind so groß und so erfolgreich, dass für viele Leute hier in England die Bayern und der deutsche Fußball ein und dasselbe ist."
Der 38-jährige Sportjournalist von "EL MUNDO" liebt den Fußball - als gesellschaftliches Phänomen, wie auch als sportlichen Wettkampf. "In Madrid kann ich darüber entscheiden, ob die Stadt gut schläft oder schlecht gelaunt ins Bett geht." Der Höhepunkt der Saison ist für ihn aber nicht etwa "El Clasico", sondern wenn Real Madrid gegen "La Bestia Negra" - die "Schwarze Bestie" aus München spielt.
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Morgens in der Kneipe
Das hat auch Rafas Leben stark beeinflusst. Als er nach langer Zeit wieder nach New York zurückkehrte, kümmerte er sich zunächst vor allem darum, den Bayern-Fanklub im "Big Apple" aufzubauen. Er habe sich damals die tolle Atmosphäre und Kameradschaft kaum vorstellen können, wenn sich am Morgen eines Spieltags 50 oder 60 andere Bundesligafans in einer Bar treffen.
Nicht auf den Zug aufgesprungen
Der in Puerto Rico geborene Computerfachmann erzählt, dass früher die wenigen Kinder, die sich in seiner Heimatstadt für Fußball interessierten, ausnahmslos Anhänger italienischer Klubs gewesen seien. Die Erfahrung, der einzige Bayern-Fan zu sein, habe ihm geholfen, sich mit dem Motto des Vereins zu identifizieren. "Ich war besonders stolz, weil ich nicht einfach auf den Zug aufgesprungen war", sagt Rafa. "Das knüpft an 'Mia san mia' an. Sie sind, wer sie sind, und ich sehe das."
Der Fußball wurde immer beliebter und profitabler, große Vereine wie der FC Bayern stellten sich darauf ein. Im Film diskutieren Bayern-Größen wie Philipp Lahm, Oliver Kahn und Uli Hoeneß darüber, was diese Entwicklung für den einst nur auf das deutsche Bundesland Bayern fokussierten Klub bedeutete.
Einigkeit über "Mia san mia"
Auch nach der Premiere gibt es in der Lobby nur ein Thema: FC Bayern. Doch anders als in bayerischen Wirtshäusern oder auf dem Weg zur Allianz-Arena, wird nicht darüber diskutiert, wer Arjen Robben und Franck Ribery ersetzen soll, oder ob es richtig war, Trainer Carlo Ancelotti zu entlassen. Hier geht es darum, wo du auf der Welt um neun Uhr morgens Bundesligaspiele sehen und deinem Verein die Daumen drücken kannst. "Mia san mia" dürfte in verschiedenen Sprachen unterschiedlich übersetzt werden. Doch für Rafa, Camila und viele andere in Berlin ist an diesem Dienstagabend die Bedeutung des Bayern-Mottos völlig klar.