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Der Regisseur Hans Steinbichler im Gespräch

1. Juni 2011

Mit modernen Familien- und Heimatfilmen hat er sich einen Namen gemacht. Steinbichlers neuer Film "Das Blaue vom Himmel" verknüpft eine private Geschichte mit der historischen Wende in den baltischen Staaten.

Porträt des Regisseurs Hans Steinbichler (foto: Jürgen Olczyk - die film gmbh)
Hans SteinbichlerBild: Jürgen Olczyk – die film gmbh

Die etwa 70jährige Marga (Hannelore Elsner) ist Demenzkrank, ihre Wahrnehmung schwer gestört. Als sich ihre Tochter Sofia (Juliane Köhler) um sie kümmert, erzählt Marga plötzlich Ereignisse aus ihrer Jugendzeit in Lettland, von denen Sofia nie gehört hat, und auch unbekannte Familienfotos aus jener Zeit tauchen plötzlich auf. Sofia ist Fernsehjournalistin und recherchiert gerade die sich anbahnende Abspaltung der baltischen Länder von der Sowjetunion. Sie wird hellhörig. Zeit ihres Lebens fühlte sie sich von ihrer Mutter auf Distanz gehalten.

Eine gemeinsame Reise nach Riga könnte Marga helfen, sich genauer zu erinnern und Mutter und Tochter einander näher bringen. In Rückblenden erlebt der Zuschauer, wie Karoline Herfurth, die eindrucksvoll die junge Marga verkörpert, dort in den 30er Jahren ihre große Liebe Juris heiratet, später aber betrogen und verlassen wird. In den Wirren des Zweiten Weltkrieges kann Marga durch Entschlossenheit und Denunziation ihren Mann zurückgewinnen. Dann wird sie nach Deutschland vertrieben.

Karoline HerfurthBild: Jürgen Olczyk - die film gmbh

"Das ist das, wonach ich gesucht habe!"

Deutsche Welle: Hans Steinbichler, wie kommt ein Schweizer auf die Idee, eine deutsch-lettische Geschichte zu erzählen?

Hans Steinbichler: Das Lustige ist, dass ich kein Schweizer bin. Ich wurde zwar in Solothurn geboren, aber ich bin originär ein Chiemgauer. Meine Eltern haben damals nur in der Schweiz gearbeitet. Aber irgendwie werde ich das nicht los. Aber zum Film: Die Geschichte hat zu mir gefunden, als ich das Drehbuch von Josephin und Robert Thayenthal las. Eine tolle Geschichte über ein wahnsinniges Mutter-Tochter-Verhältnis. Und das Ganze vor dem politischen Hintergrund der 1940er Jahre. Ich habe das gelesen und dachte: Das ist es das, wonach ich gesucht habe!

Rückblicke: Lettland in den 30er Jahren im Film "Das Blaue vom Himmel"Bild: Jürgen Olczyk - die film gmbh

Sie haben gejubelt, und dennoch wurde das Drehbuch noch anderthalb Jahre weiterentwickelt. Ist das nicht ein Widerspruch?

Überhaupt nicht. Aber die Geschichte, so wie sie geschrieben war, hätte noch einige Millionen Euro mehr gekostet. Da war von riesigen Massenszenen die Rede und langen politischen Umwälzungen. Da muss man sich hinsetzen und fragen: Was ist der Kern der Geschichte? Der Kern ist diese Mutter-Tochter-Geschichte. Es geht um Schuld und Verzeihen! Ist das möglich? Und wenn ja, wie verändert das den Menschen?

"Dann geht mir immer ein Licht auf"

Familiengeheimnisse, unerfüllte Liebe, besessene Liebe - das sind Inhalte, die auch zu Ihren anderen Filmen gehören. War das Ihre Brücke zum Stoff?

Immer wenn ich einen Film abgeschlossen habe, geht mir so eine Art Licht auf, und ich denke: Verdammt, da ist ja wieder dieses Familiengeheimnis, da ist die dysfunktionale Familie, da ist dieses 19. Jahrhundert-Gefühl von 'Irgendwas gerät in Unordnung und muss repariert werden mit allen Kräften'. Also, das ist ein bisschen beunruhigend. Fast wie die Geschichte von jemandem, der auszieht, irgendwann in der Fremde aus dem Wald kommt und entdeckt, dass dort drüben wieder sein Dorf steht. Also erschreckend. Aber ganz ehrlich - das geschieht unterbewusst.

Hannelore ElsnerBild: Jürgen Olczyk - die film gmbh

Haben Sie schon Mal gefragt, warum diese Themen Sie nicht loslassen?

Ja, das frage ich mich sehr. Zum Beispiel postuliere ich immer, ich würde gern einen funktionierenden Liebesfilm machen. Also ich will das Gegenteil dessen machen, was ich mache. Aber irgendwie kann ich gar nicht anders.

Bedingungslose Liebe

Sehen Sie Margas Demenz oder Entrücktheit als eine Ursache ihrer unerfüllten Liebe?

An der Figur Marga haben mich zwei Dinge sehr interessiert. Zum einen diese unbedingte Liebe. Das finde ich toll. Das ist aber auch etwas sehr Frauenspezifisches, also diese Bedingungslosigkeit. Und die Entrücktheit kommt daher, dass diese Frau mit 20 ihren Mann wieder zurückgewinnt und sagt: 'Okay, du hast mir die größte Verletzung zugefügt. Aber ich schließe sie ein wie in eine Muschel und baue ein 50jähriges Potemkinsches Dorf auf'. Das erklärt ihre Entrücktheit.

Der Film erzählt auch von der Vertreibung von Menschen. Haben Sie zu diesem Thema eine persönliche Beziehung?

Meine Mutter ist aus Tschechien vertrieben worden. Und ich habe über eine sehr enge Freundschaft zu Litauern eine Verbindung zu den baltischen Staaten. Also das hat mich auch auf dieser Ebene sehr interessiert. Ich fand es originell, dass sich der Regisseur Chris Kraus mit "Poll" kürzlich dem Baltikum widmete, wenn auch der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Mich interessieren natürlich auch diese Verwischungen. Also die so genannten Balten-Deutschen haben ja eine sehr fragwürdige Rolle gespielt in der Zeit, wo man sich entscheiden musste: Wo will man eigentlich hin? Zu wem will man gehören? Und dann hat mich auch diese 'Stille oder Friedliche Revolution' der Baltenstaaten von 1990/91 interessiert. Die ist nur nicht so in unserem Bewusstsein, weil zwei Tage später der Golfkrieg ausbrach.

Ein Film über die historische Vergangenheit und die Frage, wie man mit ihr umgeht...Bild: Jürgen Olczyk - die film gmbh

Die Erfahrung der Vertreibung floss in die Erziehung ein

War die Vertreibung ihrer Mutter ein Thema bei Ihnen zu Hause?

Ja, das war ein Riesenthema. Meine Mutter ist mit ihrer Mutter und zwei Tanten - mein Großvater war im Krieg gefallen - mit einem Leiterwagen aus Tschechien geflüchtet, ins Allgäu - zu Fuß! Also das ist fast unvorstellbar. Wir haben da viel von mitbekommen, weil meine Mutter zum Beispiel große Ressentiments gegen Allgäuer hatte, von denen sie sehr schlecht behandelt wurde. Außerdem gab es eine große Armut. Und das ist in unsere Erziehung eingeflossen. Ich bin froh, dass man heute über Vertreibung reden kann, ohne dass einem gleich rechte Gesinnung unterstellt wird. Also ich meine: ohne Ideologie!

Die echten Revolutionäre im Bild

Die friedliche Revolution in Riga: Juliane Köhler auf der Suche nach ihren WurzelnBild: Jürgen Olczyk - die film gmbh

Wie haben die Letten reagiert, als Sie dort gedreht haben?

Da gab es eine tolle Szene: Wir haben auf dem Parlamentsplatz in Riga drehen dürfen, wo die 'Friedliche Revolution' ihr Zentrum hatte. Und plötzlich kamen 50-, 60-, 70jährige Menschen auf uns zu, schauten und hatten Tränen in den Augen, weil sie sich genau an diese Tage erinnern konnten. Es war nur ein Zusammenstehen am Feuer - eine stumme, friedliche Revolution. Und das wurde durch die Feuer neu entfacht. Die Leute kamen dann mit ihren Kleidern von damals, die sie noch hatten. Wir haben also die 'originalen' Revolutionäre im Film, nur sind sie 20 Jahre älter. Und das war für sie und für mich sehr bewegend. Was man nicht vergessen darf: Die baltischen Staaten haben ein starkes Bewusstsein dafür, wie sie wahrgenommen werden. Eigentlich standen sie am Anfang der Perestroika. Der Entschluss von Michael Gorbatschow, ihre Bewegung nicht zu unterdrücken, hat erst seine Größe begründet. Und das haben die Balten durch ihren sehr klugen Widerstand geschafft. Auch wenn das fast vergessen ist.

Das Gespräch führte Bernd Sobolla

Redaktion: Jochen Kürten

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