1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Film

Filmreise ins alte Köln

24. November 2018

Einzigartige Dokumentationen aus alten Filmschnipseln: Bei den Recherchen zu seiner jüngsten Zeitreise ins Köln der Kaiserzeit ist Filmemacher Hermann Rheindorf auf eine Sensation gestoßen, die Filmhistoriker entzückt.

Alte Kölner Filmschätze | Schiffsbrücke 2
Bild: kölnprogramm/H.Rheindorf

Ein langer Schwenk über den Rhein zeigt eine niedrige Brücke, die auf Pontons steht. Menschen laufen darüber, kaum erkennbar. Schnitt. Perspektivwechsel: Die Brücke ist geöffnet. Rechts schiebt sich langsam ein Dampfer ins Bild und fährt vorbei. Schnitt. Die Brücke ist wieder geschlossen, die Kamera steht am Brückenkopf und filmt die Menschen, die über die Brücke strömen, obwohl der letzte Balken noch nicht richtig liegt. Klingt erstmal belanglos. Aber diese 122 Jahre alte Sequenz ist eine filmhistorische Sensation.

1896 sind die neuartigen bewegten Bilder noch ein Zuschauerspektakel, nicht wenige erschrecken sich vor dem Geschehen auf der Leinwand und ducken sich weg. Szenen von Zügen, Automobilen und Schiffen gehören zu beliebten Objekten der französischen Gebrüder Lumière. Die Brüder sind Filmpioniere und gelten als Erfinder der Cinematographie - kurz: des Kinos. Ihre Kurzfilme führen sie regelmäßig vor staunendem Publikum vor. In Köln filmen sie 1896 im Auftrag des Schokoladenfabrikanten und Filmförderers Ludwig Stollwerck das kölnische Stadtleben. Dabei drehen sie auch Szenen am Rhein, darunter die von der Brücke.

Die geschlossene Pontonbrücke zwischen der Kölner Altstadt und DeutzBild: kölnprogramm/H.Rheindorf 

Suche nach einer verschollenen Filmrolle

Zwei der Szenen existierten, doch von der dritten fehlte viele Jahrzehnte lang jede Spur. Und hier kommt der Kölner Filmemacher Herrmann Rheindorf ins Spiel. Er arbeitet gerade an seiner Filmdokumentation "Filmreise ins alte Köln, Teil 2" und nutzt seine guten Kontakte zum französischen Filmarchiv im Lyoner Institut Lumière. Dort stößt er auf eine Art inoffiziellen Katalog, in dem in Vergessenheit geratene Filmreste oder ungenutzte Szenen aufgelistet sind.

Tatsächlich findet er dort die verschollene Filmrolle und hält damit eine filmhistorische Sensation in den Händen: die erste Filmmontage, die aus drei verschiedenen Kameraperspektiven gedreht wurde. Aufgrund seiner Bedeutsamkeit erlaubt Lumière eine Restaurierung und Digitalisierung des Schnipsels - und Rheindorf fügt die Sequenz für seine zweite Filmdokumentation über das alte Köln zusammen. Gerade ist das kleine Stückchen Filmgeschichte uraufgeführt worden.

Reise in längst vergessene Zeiten

Rheindorf verfügt über eine Menge kriminalistisches Gespür, viel Ausdauer und gute Kontakte zu Archiven und Sammlern. Seine "Filmschätze"-DVD-Reihe umfasst inzwischen etliche Dokumentationen über Köln in den verschiedenen Epochen des 20. Jahrhunderts. Der Zuschauer lernt, wie Köln im Dritten Reich dem Nationalsozialismus verfiel, er nimmt am Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg teil und taucht in die Welt der 60er und 70er Jahre ein. Die "Filmreisen in das alte Köln" zeigen die Stadt in ihrer Pracht aus Vorkriegszeiten, als Köln noch von ländlichen Dörfern umgeben war, die erst Jahrzehnte später eingemeindet wurden.

Die Zuschauer fahren mit einer Pferdekutsche am Kölner Dom vorbei, fiebern mit den Steinmetzen, die ungesichert auf die Domspitzen klettern, flanieren über die alte Hohenzollernbrücke, besuchen die Parfümeure der Kölner Duftfabrik 4711, lauschen dem Oberbürgermeister Konrad Adenauer und vernehmen die ersten Worte, die Adolf Hitler in Köln spricht. Im neu gebauten Müngersdorfer Stadion beobachten sie die ersten Sportwettkämpfe nach dem Ersten Weltkrieg und bewundern den hübschen Springbrunnen am Ebertplatz. Nach einem Film wie diesem ändert sich der Blick auf die Stadt.

"Sowas interessiert die Menschen"

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich der gelernte Politikwissenschaftler und TV-Journalist Rheindorf mit Filmgeschichte und dem historischen Köln. "Ich habe entdeckt, dass das Medium 'historischer Film' und auch das private Filmerbe lange Zeit ein weißer Fleck auf der journalistischen Landkarte war." Mit seinem Interesse für die alten Streifen hat er den Nerv eines Kölner Filmarchivaren getroffen, der ihm vor lauter Freude Material zeigte, das er gar nicht hätte zeigen dürfen. Rheindorf war fasziniert und wollte diese Filme zur Aufführung bringen. Zunächst als kulturpolitische Revue, später als Filmmatinee. Zusammen mit anderen gründete er eine Internetplattform, zu deren Angebot auch die historischen Filme gehörten. Die wurden am meisten geklickt. Und so entstand  2005 die erste DVD. Thema: das Kriegsende in Köln 1945. "Die Leute haben sich um diese DVDs gerissen damals, da wusste ich: Sowas interessiert die Menschen. Und dann habe ich weiter gearbeitet."

Filmemacher Hermann RheindorfBild: picture-alliance/dpa/H. Galuschka

Wie die Tiere im Zoo

Für Hermann Rheindorf ist es wichtig, die Geschichten hinter den alten Bildern zu erzählen. "Ich recherchiere, wer hat die Filmaufnahmen gemacht, wo und warum, wo kommt die abgebildete Person her, gibt es vielleicht eine interessante Hintergrundgeschichte." Er ist ständig auf der Suche nach neuem Material, und immer wieder taucht etwas auf, das ihn freut und auch verblüfft.

Welcher Kölner weiß noch, dass es im Norden der Stadt einst einen Vergnügungspark gab, in dem Afrikaner wie Tiere im Zoo vorgeführt wurden? Heute kaum noch vorstellbar, waren diese "Völkerschauen" zu Beginn des 20. Jahrhunderts groß in Mode. "Ich habe einen 90 Jahre alten Afrodeutschen kennengelernt, der seit 50 Jahren in Köln lebt", erzählt Rheindorf. "Der konnte mir erzählen, wer diese Kölner Afrikaner waren, die in den 20er Jahren im Luna-Park als afrikanische Buschmänner aufgetreten sind." Tatsächlich waren es Schausteller, die in Köln lebten und arbeiteten. Es war schlicht und einfach ihr Job, diese Clownerien vorzuführen; außerhalb der Arbeit trugen sie keine Baströckchen, sondern wie alle anderen Leute auch Anzüge, Kleider und Hüte der 20er Jahre. Ihre Nachfahren leben heute noch in Köln.

Victor Bell war Anfang des 20. Jahrhunderts ein bekannter afrodeutscher SchaustellerBild: kölnprogramm/H.Rheindorf

Großes Interesse egal welchen Alters

Alle Filme gibt es als DVD und auch als Download oder Stream. Aber noch schöner ist es, in eine von Rheindorfs Filmvorführungen zu gehen. Er erzählt vor und nach dem Film weitere Geschichten und hat hin und wieder auch Zeitzeugen oder deren Nachfahren dabei. Zu den Vorstellungen kommen Menschen aus allen Generationen. "Die Älteren wollen vielleicht nochmal sehen, wie es in der Kindheit war. Dann gibt es diejenigen, die erfahren wollen, wie Köln so wurde, wie es heute ist. Und dann gibt's noch Menschen mit internationaler Familiengeschichte, die wissen möchten, wo sie hier eigentlich gelandet sind." Das heißt, auch Migranten kommen in Rheindorfs Filmvorführungen - um die Stadt und ihre Menschen besser zu verstehen.

Der Ebertplatz um 1900 - heute sieht er anders aus...Bild: kölnprogramm/H.Rheindorf

Rheindorf ist noch lange nicht fertig mit seiner Arbeit: "Ich rufe die Leute immer wieder dazu auf, dass sie, wenn sie alte Filme entdecken, sich bei mir melden können. Wenn etwa in der Kindheit in der Nachbarschaft gefilmt wurde, oder irgend ein Onkel da war, der einem mit der Kamera auf die Nerven gegangen ist, könnte es ja sein, dass sich da das eine oder andere Schätzchen aus den Stadtvierteln wiederfindet aus einer Zeit, in der Köln noch ein anderes Gesicht hatte." So hofft Rheindorf auch weiterhin auf Menschen, die im Nachlass ihrer Eltern oder Großeltern irgendwo eine Kiste mit alten Filmrollen - oder auch Videobändern aus den 1980ern - finden. Je älter, je spannender.

Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen