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Russland: Finanzieren westliche Firmen Putins Krieg?

4. Juli 2023

Firmen aus den USA und Deutschland waren auch nach dem Angriff auf die Ukraine die wichtigsten ausländischen Steuerzahler in Russland, so das Ergebnis einer ukrainischen Studie. Wie aussagekräftig sind die Zahlen?

Eingang eines Metro-Marktes in Vladikavkaz, Russland
Die Metro AG gehört immer noch zu den zehn umsatzstärksten ausländischen Unternehmen in Russland.Bild: Anton Novoderezhkin/picture alliance

Die größten ausländischen Steuerzahler in Russland kommen aus den USA und Deutschland. Es sind US-Unternehmen und deutsche Firmen, die trotz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine noch immer indirekt Putins Krieg mitfinanzieren. Das ist die Kernaussage einer Studie der Kiew School of Economics. Nach den Daten der ukrainischen Ökonomen sind mit 262 deutschen Unternehmen noch immer mehr als zwei Drittel der in Russland vor dem Krieg tätigen Firmen dort weiter vertreten.

Die Ökonomen der Kiew School of Economics fordern in ihrer Analyse, über die zuerst die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) berichtete, dass westliche Unternehmen Russland so schnell wie möglich verlassen müssen. In dem Papier mit dem Titel "The Business of Staying" fordern die Autoren zusammen mit einem Bündnis von Umweltaktivisten und Ukraine-Unterstützern namens B4Ukraine einen Schlussstrich bei den Geschäften westlicher Konzerne in Russland. 

Volkswagen hat seine Aktivitäten in Russland mittlerweile verkauftBild: Friso Gentsch/dpa/picture-alliance

"Unternehmen, die weiterhin in Russland tätig sind, sollten sofortige Schritte unternehmen, um ihre Verbindungen zu kappen und sich verantwortungsvoll zurückzuziehen", heißt es in der Studie. Die Regierungen in den Heimatländern der in Russland weiterhin aktiven Firmen müssten durchgreifen, fordern die Studienautoren: "Die Staaten sollten auch abschreckende Maßnahmen wie Geldstrafen einführen, Beschränkung des Zugangs zu Verträgen und Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und eine stärkere Offenlegung für Unternehmen, die weiterhin in Russland tätig sind".

Geschäft mit Tabak, Konsumgütern und Autos brummt

Beim Blick auf die Liste der in Russland aktiven Unternehmen tauchen bekannte Namen wie Philip Morris, Japan Tobacco, Pepsi, Danone, Mars, Procter & Gamble und der deutsche Metro-Konzern auf. Außer der Metro stehen sonst keine deutschen Firmen auf der Top Ten-Liste der umsatzstärksten ausländischen Unternehmen und großen Steuerzahler. 

Auffällig sind die chinesischen Aufsteiger im Ranking: Unter den zehn ausländischen Firmen mit dem größten Umsatzplus rangierten 2022 die Autobauer Chery, Haier, Geely und Haval. Insgesamt haben ausländische Konzerne der Studie zufolge 2022 in Russland Umsätze in Höhe von 213,9 Milliarden Dollar gemacht und Gewinne in Höhe von 14,1 Milliarden Dollar erzielt. 3,5 Milliarden Dollar führten sie laut Berechnungen der Studienautoren als Gewinnsteuern an den russischen Fiskus ab. Damit hätten sie "zur Finanzierung der Kriegsanstrengungen des Kremls beigetragen", schreiben die Autoren.

Allein die Unternehmen mit Hauptsitz in der EU verdienten 75,2 Milliarden Dollar im Jahr 2022 und zahlten 594 Millionen Dollar an Gewinnsteuern. Zwei Drittel aller Gewinnsteuern von EU-Unternehmen, die 2022 in Russland aktiv waren, entfielen dabei auf deutsche Firmen. Ihr Umsatz belief sich im vergangenen Jahr auf 23,2 Milliarden Dollar, und sie zahlten in Russland 402 Millionen Dollar Gewinnsteuer.  Bei ihren Berechnungen stützen sich die Kiewer Ökonomen auf Unternehmensdaten und Informationen aus offiziellen russischen Quellen.

Die Studie räumt allerdings ein, dass es sich bei den untersuchten Aktivitäten um legale Geschäfte handelt, die nicht von Sanktionen betroffen sind. Das ist auch die Argumentationslinie vieler westlicher Unternehmen. Ihr Russland-Geschäft entspreche "vollumfänglich den Erfordernissen der EU-Sanktionen", teilte eine Sprecherin der Metro AG auf DW-Anfrage mit. Das Unternehmen habe den Krieg Russlands gegen die Ukraine "mehrfach in aller Deutlichkeit öffentlich verurteilt". Zugleich habe die Metro unmittelbar zu Beginn des Krieges "den Fokus auf die Unterstützung der Ukraine sowie die Aufrechterhaltung unseres operativen Geschäfts in der Ukraine gelegt". So habe man im vergangenen Jahr zum Beispiel 523 Tonnen Lebensmittel an Armee und Bevölkerung gespendet.

Aussagkräftige Zahlen erst 2023 

Michael Harms kennt die Daten. Gegenüber der DW gibt der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft jedoch zu bedenken, dass viele deutsche Unternehmen den russischen Markt inzwischen verlassen haben oder auf dem Rückzug sind. Dies betreffe gerade die großen, umsatzstarken Unternehmen. So haben die beiden Autohersteller Volkswagen und Mercedes Benz ihr Russland-Geschäft mittlerweile verkauft. 

"Aber der Rückzug braucht Zeit und einen langen Atem. Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich bereits dramatisch gewandelt. Im Jahr 2022 haben sich die deutschen Exporte nach Russland fast halbiert. Die Importe aus Russland gingen seit Anfang 2023 sogar um 90 Prozent zurück. Dass sich der Exodus noch nicht umfassend in den Statistiken für 2022 niederschlägt, liegt in der Natur der Sache", ordnet Harms die Zahlen der Studie ein.

Auch vorbei: Das Werk von Mercedes Benz in der Nähe von MoskauBild: Vladimir Gerdo/TASS/dpa/picture alliance

Russlands Einnahmen wahrscheinlich noch höher

Wie groß aber fallen die 3,5 Milliarden Dollar ins Gewicht, die ausländische Firmen in Form von Unternehmenssteuern in Wladimir Putins Kriegskasse gespült haben? Die Studienautoren geben zu bedenken, dass der russische Staat zusätzlich von der Einkommenssteuer der Mitarbeiter ausländischer Firmen profitiert, dazu kämen andere Einnahmen wie die Mehrwertsteuer. "Dies ist nur die Spitze des Eisbergs und wahrscheinlich eine erhebliche Unterschätzung der gesamten Steuerrechnung", schreiben die Studienautoren.

Wie stark fallen die Steuer-Milliarden ins Gewicht?

"Viele westliche Kommentatoren gehen davon aus, dass Putin Milliarden durch den Außenhandel zur Finanzierung der Invasion einnimmt, dank hoher Rohstoffpreise, schwacher westlicher Sanktionen und der Umgehung von Sanktionen", erklärt Jeffrey Sonnenfeld, Ökonom an der US-Universität Yale, in einem Artikel für das TIME Magazine vom 30. Juni.  Durch den Ölpreisdeckel der internationalen Staatengemeinschaft befänden sich die Einnahmen aber im freien Fall. Die Exporterlöse für russisches Erdöl würden gerade noch die Produktionskosten decken - wenn überhaupt, so Sonnenfeld. "Die Energiepreise für Erdöl und Erdgas sind heute niedriger als vor der Invasion, ebenso die Preise für Getreide, Weizen, Bauholz, Metalle und praktisch alle Rohstoffe, die Russland produziert." 

Es werde oft übersehen, dass Putin seine Invasion in der Ukraine nicht nur durch "grenzwertige Rohstoffexporte oder die Umgehung von Sanktionen finanziert, sondern durch das Ausschlachten der russischen Wirtschaft", unterstreicht Sonnenfeld. Er verweist auf Schätzungen von Analysten, wonach der Krieg in der Ukraine den Kreml rund eine Milliarde US-Dollar pro Tag kostet. Als autoritärer Diktator, der Zugriff auf mehr als 70 Prozent der russischen Wirtschaft habe, werde Putin nie wirklich das Geld ausgehen, argumentiert Sonnenfeld in dem zusammen mit seinem Yale-Kollegen Steven Tian verfassten TIME-Artikel. Putin könne immer "Geld unter der Couch (...) finden, oder eine Schulholschlägernummer abziehen und den anderen Kindern (d. h. den Oligarchen) in der Pause ihr Essensgeld abpressen", bringen die Yale-Ökonomen Putins finanzielle Möglichkeiten auf den Punkt.

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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