Ankara wirbt in Berlin um Unterstützung
21. September 2018Der Anstieg des Dollars und der Wertverlust der Türkischen Lira haben die wirtschaftlich gebeutelte Türkei veranlasst, sich in Finanzfragen erneut an Deutschland und die EU zu wenden. Im Zentrum des Staatsbesuchs von Staatspräsident Erdogan Ende des Monats wird daher die Wirtschaft stehen.
Ankaras Ziel ist es, die politische und wirtschaftliche Unterstützung der starken europäischen Wirtschaftsnation Deutschland zu gewinnen. Deshalb kommt der türkische Finanzminister Berat Albayrak - Erdogans Schwiegersohn - gemeinsam mit den Ministern für Wirtschaft und Energie schon am 21. September nach Berlin, um eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen und den Präsidentenbesuch vorzubereiten. Sie treffen den deutschen Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier.
Türkei sucht Ausweg aus der Wirtschaftskrise
"Die Unterstützung aus Berlin ist für Ankara sehr wichtig", sagt Özgür Ünlühisarcikli, der beim German Marshall Fond für die Türkei zuständig ist. "Denn die Türkei wird die Unterstützung Deutschlands brauchen, falls sie eine Kreditaufnahme beim Internationalen Währungsfonds (IWF) anstrebt. Die türkische Wirtschaft braucht derzeit Sicherheit und Halt. Aus diesem Grund ist die vorrangige Erwartung Ankaras, dass Deutschland zeigt, dass es auf der Seite der Türkei steht.”
Die Bundesregierung hat im Gegenzug bereits klare Erwartungen an Ankara formuliert: "Wir wollen, dass die Türkei ein stabiles und demokratisches Land ist. Gute Wirtschaftsbeziehungen können dazu beitragen", sagte ein Sprecher des deutschen Wirtschaftsministeriums im Gespräch mit der DW.
Angst vor Flüchtlingsströmen
Warum deutsche und europäische Politiker in den Gesprächen mit der türkischen Regierung immer wieder Stabilität und Demokratie fordern, erklärt der Konstanzer Wirtschaftswissenschaftler Erdal Yalcin mit einem einfachen Kalkül: "Sollte die wirtschaftliche Situation in der Türkei noch unstabiler werden, könnte es sein, dass Hunderttausende syrischer Flüchtlinge nach Europa kommen." Die Verantwortung, die türkische Wirtschaft zu stabilisieren, liegt seiner Ansicht nach bei der Türkei. Hierfür müsse unter anderem die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank gestärkt werden. Präsident Erdogan hatte jüngst seinen Einfluss auf die Zentralbank erweitert: Künftig bestimmt er allein, wer dort an der Spitze steht. "Wie Bundeskanzlerin Merkel schon betonte: Deutschland kann die Türkei nur dann unterstützen, wenn diese die richtigen wirtschaftspolitischen Schritte unternimmt", so Yalcin.
Einer der wichtigsten Gründe für Ankara, sich wieder verstärkt Europa zuzuwenden, ist die Krise in den Beziehungen zu Washington. Wegen der Inhaftierung des US-amerikanischen Pfarrers Andrew Brunson in der Türkei herrscht hier inzwischen eine Eiszeit. Sollte die Türkei Finanzhilfen beim IWF beantragen, könnte die Bewilligung an dem Votum Washingtons scheitern. Denn die USA haben beim IWF den größten Stimmenanteil.
Hoffnung auf Unterstützung
Für Özgür Ünlühisarcikli haben sich die Rollen Washingtons und Berlins umgedreht: "Früher überredeten die USA Deutschland, die Türkei zu unterstützen. Angesichts der aktuellen Spannungen mit der Administration von Donald Trump könnte jetzt die Türkei die Unterstützung Deutschlands brauchen."
Momentan ist die türkische Regierung noch auf der Suche nach wirtschaftlicher Unterstützung außerhalb des IWF. Sie hofft auf Investitionen deutscher Firmen und darauf, dass die Bundesregierung entsprechende Kreditbürgschaften gewährt.
Deutsche Investoren wollen Sicherheit
Deutsche Wirtschaftsunternehmen betonen hingegen, dass es derzeit schwierig sei, Spezialisten zu finden, die in der Türkei arbeiten wollten. Auch verlassen qualifizierte türkische Arbeitskräfte ihr Heimatland. Stärkung des Rechtsstaats und strukturelle Reformen würden Einfluss auf die Investitionen haben. Die Vorbehalte potenzieller deutscher Investoren sind durch die schlechte Entwicklung der türkischen Wirtschaft noch weiter gestiegen. Sie erwarten von der türkischen Regierung, dass sie starke Sicherheiten gewährt, um das Vertrauen wiederherzustellen.
Um die Wirtschaftsbeziehungen wiederzubeleben sei in jedem Falle notwendig, dass sich die politischen Beziehungen normalisieren, sagt Kristian Brakel, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Das sei noch nicht der Fall. "Beide Seiten wollen zu ihrem eigenen Vorteil eine Normalisierung. Aber in der Türkei sind noch immer sechs deutsche Staatsbürger - angeblich aus politischen Gründen - inhaftiert. Deutschland will, dass sie freigelassen werden und dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen."