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PolitikEuropa

Auf dem Weg Richtung NATO

13. April 2022

Der Krieg gegen die Ukraine bringt wahrscheinlich neue Mitglieder für die NATO. Finnland und Schweden sind von einem Beitritt nicht mehr weit entfernt - ein Abschied von der Neutralität. Bernd Riegert aus Brüssel.

Finnland Armee Soldaten Wehrpflichtige
Finnische Wehrpflichtige: Die relativ große Armee Finnlands könnte bald zur NATO gehören (Archiv)Bild: picture-alliance/dpa/V. Moilanen

Die heutige Landgrenze der westlichen Militärallianz NATO mit dem jetzt als feindlich wahrgenommenen Russland würde sich von 1300 Kilometer auf 2600 Kilometer verdoppeln, sollte Finnland der NATO beitreten. Die NATO würde also die zu verteidigende Ostflanke stark vergrößern, andererseits wäre die gut ausgebildete und gut ausgerüstete finnische Armee ein Gewinn für die Allianz. "Finnland hat nach wie vor die Wehrpflicht. Finnland wäre in der Lage, eine Armee mit 280.000 Soldatinnen und Soldaten zu mobilisieren. Das ist eine ziemlich große Armee im modernen Europa", meint Jacob Westberg, Professor an der schwedischen Universität für Verteidigung in Stockholm.

Schwedens Ministerpräsidentin Andersson (li.) und Finnlands Regierungschefin Marin sind sich einig: Kurs NATOBild: Paul Wennerholm/AP Photo/picture alliance

Sollte Schweden, das keine direkte Grenze mit Russland hat, ebenfalls der Allianz beitreten, würden Operationen der NATO in der Ostsee einfacher. Dann gehörten alle Ostsee-Anrainer außer Russland zum westlichen Bündnis. Schweden brächte die Insel Gotland in die NATO ein, von der aus ein großer Teil der Ostsee und auch das Baltikum zu verteidigen sind. "Es wäre für Russland schwieriger, in der Ostsee zu operieren. Schweden hat ja auch fünf sehr moderne Unterseeboote, die die Flotte aus Polen und Deutschland ergänzen würden", erklärt Militärexperte Jacob Westberg im Gespräch mit der DW.

Die schwedische Luftwaffe verfügt über 100 moderne Kampfjets. Die schwedischen Landstreitkräfte allerdings sind, wie in vielen heutigen NATO-Staaten auch, in den vergangenen Jahrzehnten stark reduziert worden. Westberg glaubt, dass es zehn Jahre dauern würde, das wirklich zu ändern.

Beitritte wären organisatorisch kein Problem

Vom militärischen Standpunkt aus sind Finnland und Schweden mehr oder weniger sofort beitrittsfähig, heißt es bei der NATO im Brüsseler Hauptquartier. Ihre Armeen kooperieren seit vielen Jahren mit NATO-Truppen. Finnische und schwedische Soldaten waren beim NATO-geführten Afghanistaneinsatz dabei. Mit den USA arbeiten Finnland und Schweden bei Ausrüstung und Ausbildung schon seit 2015 vertraglich eng zusammen.

Damals verabredeten Finnland und Schweden mit der NATO auch eine gemeinsame Verteidigungsplanung. Sie schufen eine gemeinsame Marine-Kampfgruppe. "Allerdings gab es eben keine gegenseitige Beistandsverpflichtung", so der schwedische Militärexperte Westberg. Die würde mit einem Beitritt zur NATO entstehen. Dann würden Finnland und Schweden sich mutmaßlich auch an den Battle Groups der NATO zur Verteidigung des Baltikums beteiligen. Ob auch NATO-Truppen in Finnland und Schweden selber stationiert werden sollten, ist noch offen.

Mehrheit der Finnen für Beitritt

Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin macht seit Wochen klar, dass sie Kurs auf die NATO hält. Das finnische Parlament berät demnächst einen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine neu gefassten Verteidigungsplan. Noch vor der Mittsommerwende, also Ende Juni, soll die Entscheidung fallen.

Für den ehemaligen finnischen Regierungschef Alexander Stubb sind die Würfel bereits gefallen, schließlich sind nach jüngsten Umfragen 62 Prozent der Finnen dafür, den bisherigen Status der "aktiven Neutralität" zugunsten einer Bündnisverpflichtung aufzugeben.

Kaum gesichert: Grenze zwischen Finnland (li.) und Russland in LapplandBild: picture-alliance/dpa

"Unsere Bevölkerung wird jetzt von einer, wie ich finde, richtig empfundenen Angst gesteuert: Wenn Putin seine Schwestern und Brüder in der Ukraine abschlachten kann, warum sollte er das nicht auch mit Finnland machen?", sagt Stubb in einem DW-Interview. Das vorherrschende Gefühl sei, dass man nie wieder allein sein wolle, bekräftigt Stubb und meint damit den Winterkrieg gegen die Sowjetunion 1939/1940, als Finnland rund neun Prozent seines Staatsgebietes verlor.

Schweden beurteilt Sicherheitslage neu

Die schwedische Haltung ist etwas abwartender. Die schwedische Regierungschefin Magdalena Andersson sagte nach einem Treffen mit ihrer finnischen Kollegin, man werde die neue Sicherheitslage umfassend und schnell prüfen. "In Schweden glauben wir, dass wir seit 200 Jahren, seit Napoleon, Frieden haben, weil wir militärische Allianzen stets abgelehnt haben", erklärt Verteidigungsexperte Jacob Westberg. Dieses Selbstbild von der effektiven Neutralität stehe jetzt auf der Kippe, so Westberg. "Wir müssen unsere Sicherheitslage jetzt total anders beurteilen." Der Krieg gegen die Ukraine sei eine Zäsur.

In Schweden müsste die regierende sozialdemokratische Partei ihre ursprüngliche Haltung zur NATO-Mitgliedschaft ändern. Im Herbst wird in Schweden gewählt. Es nicht ganz klar, wann eine Entscheidung über eine Aufgabe der Neutralität fallen könnte.

NATO würde zustimmen

Die schwedische und die finnische Regierungschefin haben beim jüngsten Sondergipfel der NATO in Brüssel schon einmal bei Generalsekretär Jens Stoltenberg vorgefühlt, was die Allianz zu Beitrittsanfragen sagen würde. Stoltenberg machte keinen Hehl daraus, dass die NATO einen Beitritt Schwedens und Finnlands befürwortet.

Schweden: Rüsten für den Verteidigungsfall

03:37

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Beide Staaten bräuchten als westliche Demokratien und jahrelange Kooperationspartner der NATO auch keinen langen Beitrittsprozess, der von der Einladung zur Mitgliedschaft bis zur tatsächlichen Aufnahme in den Klub normalerweise einige Jahre dauern kann. Die jetzigen 30 NATO-Staaten müssten ein Beitrittsgesuch Schwedens und Finnlands einstimmig billigen. Bislang hat sich öffentlich keine Regierung dagegen ausgesprochen. Schon beim regulären NATO-Gipfel in Madrid, der für Ende Juni geplant ist, könnten Einladungen zur Aufnahme von Beitrittsgesprächen erfolgen.

Russland protestiert

Wie zu erwarten kritisiert die russische Führung eine mögliche Erweiterung der NATO scharf. "Wir haben wiederholt gesagt, dass das Bündnis ein auf Konfrontation ausgerichtetes Instrument bleibt und seine weitere Expansion dem europäischen Kontinent keine Stabilität bringen wird", meinte der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, schon vor einigen Wochen. Mit Finnland würde die NATO erneut näher an Russland heranrücken. Die NATO-Grenze  wäre dann im Nordwesten nur 200 Kilometer von der russischen Metropole Sankt Petersburg entfernt.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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