Das Mittelmeer leidet unter dramatisch schrumpfenden Fischbeständen, warnt eine aktuelle Studie. Wissenschaftler schlagen Alarm und fordern die Politik auf nationaler und EU-Ebene eindringlich zum Handeln auf.
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Seit 1990 werden immer mehr und vor allem junge Fische aus dem Mittelmeer geholt, belegt die umfassende Studie des Hellenic Center for Marine Research in Griechenland. Für die in der Fachzeitschrift "Current Biology" veröffentlichte Studie wurden Fischfangdaten von 1990 bis 2010 von insgesamt 42 Beständen von neun Fischarten wie Seehecht, Meerbarbe, Sardellen und Sardinen ausgewertet. Darüber hinaus halten die Wissenschaftler aber die Bestände zahlreicher weiterer Fischarten im Mittelmeer für gefährdet.
Maximale Fangmenge überschritten
Im Jahr 2010 sei erstmals bei allen Arten der höchstmögliche Dauerertrag überschritten worden. Das ist die maximale Fangmenge, die entnommen werden darf, ohne den Bestand der Art zu gefährden. Besonders bedenklich sei, dass viele Fische gefangen würden, bevor sie die Geschlechtsreife erreicht hätten. Die Bestände wären widerstandsfähiger und würden höhere Erträge ermöglichen, wenn die Fische erst ein paar Jahre danach aus dem Meer geholt würden, heißt es in der Studie, die unter der Leitung des Meeresbiologen Paraskevas Vasilakopoulos erstellt wurde weiter.
EU-Staaten einigen sich auf Fangmengen
Die EU-Agrarminister haben sich auf Fischfangquoten für 2015 geeinigt. Umweltschützer sind unzufrieden. Durch Überfischung hat sich die Lage für Fische vor allem im Mittelmeer dramatisch verschlechtert.
Bild: Reuters
Immer mehr Jungfische werden gefangen
Jetzt steht fest, welche Fischmenge die Fischer 2015 aus der Nordsee und dem Nordostatlantik ziehen dürfen. Zwei Tage lang hatten die Fachminister in Brüssel verhandelt, bis die Quoten am Dienstagabend beschlossen waren. Deutsche Fischer etwa dürfen weniger Seelachs und Hering aus der Nordsee fischen, dafür in der Ostsee mehr Scholle.
Bild: picture-alliance/dpa
Umweltschützer unzufrieden
Die Umweltorganisation Greenpeace kritisiert indes, dass viele der vereinbarten Fischquoten kein Ende der Überfischung erzielen. Die EU halte sich bei den Fangmengen selbst nicht an die Vorgaben einer jüngst beschlossenen europäischen Fischereireform.
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Quoten funktionieren nur im Atlantik und in Nord- und Ostsee
Während Fangquoten zu einer Erholung der Fischbestände in Atlantik und Nordsee geführt haben, sieht es im Mittelmeer weniger rosig aus. Eine Studie in "Current Biology" von diesem Sommer zeigt, dass im Mittelmeer zwischen 1990 und 2010 immer mehr Jungfische gefangen wurden. Erreichen die Fische nicht das Erwachsenenalter, können sie sich jedoch nicht vermehren - die Bestände brechen ein.
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Neun Fischarten im Fokus
Der griechische Meeresforscher Paraskevas Vasilakopoulos hatte neun Fischarten über zwanzig Jahre beobachtet und dabei einen drastischen Einbruch der Bestände festgestellt. Besonders betroffen waren Fischarten, die durch Schleppnetzfischerei gefangen werden.
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Wettlauf um den Fang
Die Forscher vermuten, dass die Lage in anderen Weltmeeren, wie etwa dem südchinesischen Meer, Subsahara-Afrika und anderen tropischen Regionen ähnlich ist. Hier bricht eine riesige Flotte chinesischer Trawler zum Fischfang auf.
Bild: picture-alliance/dpa
Grenzkonflikte um Fischereirechte
Auch unter den EU-Staaten gibt es offene Fischereikonflikte: Hier demonstrieren spanische Fischer dagegen, dass britische Behörden ein künstliches Riff aus Betonblöcken auf dem Meeresgebiet von Gibraltar errichtet haben. Dadurch gehen die Schleppnetze der Fischer kaputt.
Bild: Reuters
Grobmaschige Fangnetze
Verheddern sie sich, bleiben die Netze am Meeresboden zurück. Fischpopulationen können geschützt werden, indem die Fangnetze so großmaschig gewählt werden, dass Jungfische nicht darin hängenbleiben. Deshalb verbieten viele Staaten zu enge Netze. 75 Prozent der weltweiten Fischbestände sind bereits erschöpft.
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Fisch reist um die Welt
Frischer Fisch heißt längst nicht mehr, dass er auch dort verzehrt wird, wo er gefangen wurde. Durch moderne Kühltechnik landet Fisch aus Asien, Afrika oder vom Pazifik oft auch auf europäischen Tellern - weil er mit Flugzeugen transportiert wird, unter Umständen schon nach wenigen Tagen. 90 Millionen Tonnen Nahrungsmittel kommen jedes Jahr aus dem Meer.
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Fischzuchten für den Export
Einige Staaten haben deshalb die Fischzucht zu einem lukrativen Wirtschaftszweig entwickelt. Fische aus solchen Zuchtanlagen in Vietnam kommen sind vor allem für den Export gedacht. Rund eine Million Tonnen beträgt hier zum Beispiel die Jahresproduktion von Pangasiusfilets.
Bild: Philipp Manila Sonderegger
Wie gesund ist der Lachs?
Fischzuchten in oder an natürlichen Gewässern, wie hier in Russland, sind aber nicht unumstritten: Der Lachs wird mit Fischmehl gefüttert. Aber auch der Fisch dafür muss erst gefangen werden: Etwa vier Kilo Sardinen für ein Kilo Lachs. Auch verschmutzen Fischzuchten das umgebende Wasser, etwa mit Nährstoffen und Antibiotika.
Bild: picture-alliance/dpa
Frischer Fisch, direkt auf den Tisch
Es gibt aber auch noch sie: Die kleinen Fischer, die ihre Ware selbst lokal verkaufen, wie hier auf einem Fischmarkt in Mauretanien. Auch sie kommen aber unter Druck der großen industriellen Flotten. Der Grund: Fischerei ist nur auf fünf Prozent der Meeresoberfläche möglich - in den küstennahen Schelfgebieten.
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Anders als im Nordost-Atlantik, wo sich die Bestände dank der insgesamt verbesserten gesetzlichen Bestimmungen und Kontrollen in den vergangenen zehn Jahren erholt hätten, sei die Lage in weiten Teilen des Mittelmeeres alarmierend, schreiben die Wissenschaftler.
Dass trotz gleicher gesetzlicher Regularien die Lage im Mittelmeer so viel schlechter ist als im Nordostatlantik, erklären die Forscher mit den Besonderheiten des Fischereiwesens im Mittelmeer. Dort operiere eine große Zahl kleinerer Fischerei-Schiffe mit unterschiedlichsten Fangmethoden. Die Fänge würden zudem an vielen Häfen angelandet, teils ohne die offiziellen Stellen zu passieren. Dies erschwere die Kontrollen bestehender Vorschriften. Die problematische finanzielle Lage einiger Länder verschärfe die Situation zusätzlich.
"EU muss handeln"
"Es ist Zeit, dass die Europäische Union und die regionalen Regierungen Fischerei-Forschung und -Management im Mittelmeer ernster nehmen", fordert Vasilakopoulos. "Es sind größere Investitionen nötig, um durch die Erhebung und Auswertung von Daten guter Qualität zu Biologie und Ausbeutung mediterraner Fischbestände die Fischerei-Forschung zu verbessern."
Die zuständigen EU-Stellen in Brüssel sind sich der Problematik durchaus bewusst. Mindestens 96 Prozent der bodennahen Arten im Mittelmeer seien überstrapaziert, hieß es Ende Juni auch von Seiten der EU-Kommission. Fische aus mittleren Tiefen wie Sardinen und Sardellen seien zu mehr als 70 Prozent überfischt.