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Studie zum Weltbild von Flüchtlingen in Deutschland

Gero Schließ, Berlin 16. August 2016

Erstmals befragte eine Berliner Hochschule Flüchtlinge zu Kultur und Bildung in Deutschland. Das Interesse sei groß, so Ronald Freytag, Leiter der Studie. Manche Antworten seien indes auch alarmierend.

Ronald Freytag
Bild: DW/G. Schließ

Die Mehrheit der Flüchtlinge in Deutschland zeige großes Interesse an der deutschen Kultur und Gesellschaft - so ließe sich das Ergebnis der Studie "Flüchtlinge 2016" zusammenfassen, die die Berliner "Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft" (HMKW) am Montag vorgestellt hat.

Ronald Freytag ist Kanzler der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin (HMKW) und wissenschaftlicher Leiter der aktuellen Studie, die er mit seinen Studenten durchführte. Für die Studie wurden im Juni/Juli 2016 Geflüchtete in drei Berliner Flüchtlingsunterkünften des Deutschen Roten Kreuzes befragt. Die Studie stützt sich auf 445 Befragte und ist daher nicht repräsentativ.

Deutsche Welle: Herr Freytag, Sie sagen, dass viele Flüchtlinge bereit seien, hier bei uns in kulturelles Kapital zu investieren. Was heißt das genau?

Ronald Freytag: Als erstes ist hier die Sprache zu nennen. Viele kommen schon mit guten Fremdsprachenkenntnissen zu uns. Darüber hinaus gibt es eine sehr große Bereitschaft, Deutsch zu lernen und die Forderung an uns, das zu ermöglichen. Mehr als 95 Prozent der Flüchtlinge wollen das. Das stimmt sehr optimistisch.

Was haben die Befragten Ihnen noch zum Thema Kultur und über ihr Interesse an unserer Lebenskultur gesagt?

Wir haben Sie gefragt, wofür sie sich interessieren, wenn sie sich in den Medien informieren. Natürlich interessiert alle, was in ihrer Heimat vor sich geht. Das ist keine Überraschung. Aber 60 bis 70 Prozent der Befragten interessieren sich auch für Kultur und Alltag in Deutschland. Wenn man das ins Verhältnis setzt, dann ist das ein sehr hoher Wert.

Bildung ist sehr wichtig für die IntegrationBild: picture-alliance/dpa/H. Schmidt

Kultur und Alltag, was ist damit gemeint?

Im weitesten Sinne Lebensgewohnheiten. Das, was zum täglichen Leben gehört. Wie man sich beispielsweise in Restaurants verhält, ob man ins Kino geht und mit wem. Darf man mit einer fremden Frau ins Kino gehen? Darf man sich neben sie setzen? Also ganz alltägliche Sachen, die für die Flüchtlinge aufregend sind, weil sie so ganz anders sind als zu Hause.

Es gab in Berlin den Fall, dass eine Lehrerin einem Schülervater die Hand schütteln wollte, was ihr der Vater verweigerte. Das hat dann große Wellen geschlagen. Wäre so etwas vorstellbar auch bei den Geflüchteten vor dem Hintergrund dessen, was Sie jetzt herausgefunden haben?

Es gibt natürlich immer eine kleine Minderheit, die das anders sieht als die große Mehrheit der Flüchtlinge. Wir sprechen hier ja über die großen Trends. Aber es gibt natürlich auch jene, die gegen die Säkularisierung sind, die dagegen sind, dass ihre muslimische Tochter einen christlichen Jungen heiratet. Die gibt es auch, aber es sind nur wenige. Eine große Mehrheit hat sich in unserer Umfrage überraschend klar für die Trennung von Staat und Religion ausgesprochen.

Zu unserer Lebenskultur gehört ja auch die Toleranz und die Akzeptanz anderer, liberalerer Lebensformen, wie sie etwa die LGBT-Community lebt. Gerade in Berlin ist das ja sehr deutlich zu sehen. Wie positionieren sich die Geflüchteten in dieser Frage?

Das sehen viele sehr skeptisch und mit Befremden. Sie sehen, dass hier eine Kultur vorherrscht, der sie sich nicht zugehörig fühlen. Wir haben gefragt, wie sie reagieren würden, wenn ein schwules Paar neben ihnen einziehet. Ich kann mich an einen Fragebogen erinnern, der nicht nur mit einem einzigen Kreuz seine Ablehnung klarmachte, sondern mit ganz vielen Kreuzen auf einmal. Insgesamt haben mehr als 40 Prozent gesagt, dass sie mit einem schwulen Paar nicht zurechtkommen würden. In Deutschland wurden in den letzten Umfragen bis zu 13 Prozent ablehnende Stimmen gezählt. Aber das hat sich erst in den letzten Jahren so nach unten bewegt. Vor 30 Jahren war das auch noch anders.

Die Mehrzahl der Flüchtlinge will Deutsch lernenBild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Sie haben bei der Präsentation gesagt, dass sich die Mehrheit der Flüchtlinge in ihren LGBT-skeptischen Ansichten mit der vorherrschenden Meinung der AfD-Anhänger trifft. Wie kann das sein?

Für manche Flüchtlinge sind liberale Lebensformen befremdlichBild: munkat/Fotolia

Ich beziehe mich auf die Studie "Die enthemmte Mitte" der Universität Leipzig aus diesem Jahr. Da zeigt sich, dass unter den deutschen Parteien die Ablehnung der Homosexualität bei den AfD-Anhängern am stärksten ist. Die Frage war zwar etwas anders formuliert, aber es zeigte sich eine ganz klare Ablehnung bei den Sympathisanten der AfD.

Zeichnet sich da in weiter Zukunft eine kulturelle Allianz zwischen Flüchtlingen und AfD ab?

Das könnte dann sein, wenn solche Fragen ins politische Zentrum der Diskussion rücken. Dann könnte das manifest werden. Aber das erwarte ich nicht. Zur Zeit ist die Übereinstimmung nicht manifest, sondern nur latent vorhanden.

Sie haben ja auch nach Bildung gefragt und wollten wissen, was für die Geflüchteten wichtiger ist: erst einmal in Ausbildung zu investieren oder gleich in den Arbeitsmarkt und Geld verdienen. Was war das Ergebnis?

Fast alle möchten arbeiten, sowohl Männer als auch Frauen. Sie empfinden es als peinlich und als unwürdig, dass sie von sozialen Transferleistungen abhängen. Dennoch: Wenn sie vor die Alternative Ausbildung oder Arbeit gestellt werden, begeistern sich zwei Drittel für die Bildung und geben an, dass sie erst in ihre Ausbildung investieren wollen. Das ist ein überraschend hoher Anteil und macht Mut.

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