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Politik

Flüchtlinge als Gefährder - was tun?

22. Dezember 2016

Der Tunesier Anis Amri hätte wohl gar nicht in Deutschland sein dürfen. Zudem gilt er schon lange als islamistischer Gefährder. Doch inwieweit hätte die Straftat verhindert werden können? Sechs Fragen und Antworten.

Symbolbild Mutmaßliches IS-Mitglied am Düsseldorfer Flughafen festgenommen
Bild: Picture-Alliance/dpa/B. Marks

1. Anis Amri wurde in Nordrhein-Westfalen als islamistischer Gefährder geführt. Was heißt das genau?

Was genau ein sogenannter Gefährder ist, wird lediglich grob umrissen. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage an die Bundesregierung heißt es: "Ein Gefährder ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird." Martin Kahl vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg sagt im Gespräch mit der DW: "Eine eindeutige Definition gibt es nicht." Weshalb jemand als Gefährder eingestuft wird, sei für die Öffentlichkeit oft nicht nachvollziehbar, so Kahl.

2. Wieso wurde Amri nicht vollumfänglich überwacht, obwohl er als Gefährder galt?

Die Kritik an den Sicherheitsbehörden ist groß, weil ein Mann abtauchen konnte, der den Behörden als Straftäter und Islamist bekannt war. Das Bundeskriminalamt (BKA) stuft in ganz Deutschland 549 Personen aus der Islamisten-Szene als Gefährder ein. Trotz der scheinbar geringen Zahl ist eine vollständige Überwachung aller Gefährder schwierig: Etwa 25 bis 40 Beamte sind nötig, um eine Person rund um die Uhr zu observieren. "Das kann man natürlich nicht mit Leuten machen, die man irgendwie verdächtigt", sagt Kahl, "da müssen schon konkrete Tatsachen vorliegen."

Polizeibekannter Islamist und vorbestraft: Anis AmriBild: picture-alliance/dpa/Bundeskriminalamt

Deshalb mahnt Kahl bei aller Kritik zur Vorsicht: "Man hatte ihn unter Beobachtung: Sein Telefon wurde abgehört, man hat Informationen über ihn gesammelt. Aber wenn sich über Monate keine verwertbaren Informationen finden, was hier offensichtlich der Fall war, dann hört man irgendwann auf."

Die Ermittler konnten Amri nichts nachweisen, seine Abschiebung war bereits früher geplant, hatte sich aber verzögert. Dann verlor sich seine Spur. "Natürlich kann man fragen, wie er sich der Überwachung schlussendlich entziehen konnte - über die Antwort sind sich die Polizei und die Sicherheitsbehörden auch noch nicht einig", so Kahl.

3. Warum gelingt es Behörden nicht, solche Personen aufzuhalten?

Das Zusammenspiel der einzelnen Behörden auf Länder- und Bundesebene ist juristisch und praktisch hoch komplex. "Es gibt sehr viele Vorschriften, wie die Sicherheitsbehörden zu kooperieren haben, was sie dürfen und was sie nicht dürfen", sagt Sicherheitsforscher Kahl. Auf EU-Ebene werde es noch komplizierter. Dadurch könne häufig die Relevanz einer Information nicht eingeschätzt werden, manche Informationen gehen sogar verloren. Hinzu kommt der enge rechtliche Rahmen für eine Überwachung.

Nachrichtendienste werden zudem von einem parlamentarischen Gremium kontrolliert, erklärt Thomas Grumke von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW: "Da ist der Rechtsstaat Fluch und Segen zugleich." Auch inhaltlich sei eine Überwachung von Gefährdern oft schwierig, zum Beispiel, weil viele einen seltenen Dialekt sprechen, den Übersetzer für Hocharabisch kaum verstehen.

4. Bevor Amri 2015 nach Deutschland kam, hatte er wegen Sachbeschädigung und "diverser Straften" für vier Jahre in Italien im Gefängnis gesessen. War sein Vorstrafenregister kein Grund, ihm die Einreise zu verweigern?

"Sein Vorleben ist kein Verhaftungsgrund - er hatte ja seine Strafe abgesessen", sagt der Hamburger Experte Kahl. "Es war auch bekannt, dass er Kontakte zur salafistischen Szene hatte - aber das reicht ja nicht aus, um jemanden einzusperren." Seine Einreise nach Deutschland war wegen der offenen Grenzen im Schengenraum kaum zu verhindern. Allerdings hätte er laut Dublin-Abkommen nach Italien zurückgeschickt werden müssen, um dort seinen Asylantrag zu stellen.

5. Welche Straftaten sind relevant für eine Abschiebung?

Juristisch heikel: Abschiebung von AsylbewerbernBild: picture-alliance/dpa/D.Maurer

"Wenn einem Menschen Folter oder Tod in seinem Heimatland drohen, ist eine Abschiebung nicht möglich - unabhängig davon, was er hier gemacht hat", sagt Kahl. Grundsätzlich gilt jedoch: Ein Ausländer, der wegen schwerwiegender Delikte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, kann ausgewiesen werden. Dazu gehören zum Beispiel Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung. Ist die Freiheitsstrafe auf ein Jahr oder länger angesetzt, liegt ein besonders "schwerwiegendes Ausweisungsinteresse" vor. Liegt die Freiheitsstrafe bei drei oder mehr Jahren, so ist die Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen. Die Ausweisung bedeutet jedoch nicht, dass der Ausländer tatsächlich auch abgeschoben wird. Häufig - wie auch in dem Fall des verdächtigen Amri - weigern sich die Heimatländer, die Straftäter aufzunehmen.

Innenminister de Maizière plant seit Oktober 2016 ein Gesetz, um Gefährder leichter abschieben zu können. "Ausreisepflichtige Ausländer, die straffällig geworden sind und von denen eine erhebliche Gefahr ausgeht", sollen leichter in Abschiebungshaft überführt werden können, heißt es in dem Entwurf.

6. Was kann getan werden, wenn Länder wie Tunesien die Leute nicht zurücknehmen?

Rechtlich gesehen kann Deutschland die Aufnahme nicht erzwingen, aber es könne auf politischer Ebene Druck ausgeübt werden, sagt Politikwissenschaftler Kahl. "Entweder indem man sagt: Ihr bekommt keine Unterstützung von uns und das schadet unseren Beziehungen. Oder dass ökonomische Erleichterungen, die schon in Aussicht gestellt wurden, wieder zurück genommen werden."

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