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In Zweierreihen Richtung Europa

Richard Fuchs, Gevgelija12. November 2015

Mazedoniens Grenze wurde im Sommer zum Symbolbild der Krise: Tausende Flüchtlinge und überforderte Grenzpolizisten, Schlagstöcke und Tränengas. Ein Transitzentrum soll die Lage verbessern. Von Richard Fuchs, Gevgelija.

Flüchtlinge Syrien Mazedonien Migranten
Bild: picture-alliance/dpa / V. Xhemaj

Bargalai Rezaee steht vor einem weißen UN-Zelt. Der Afghane hat es mit dem Boot, zu Fuß und per Bus bis an die griechisch-mazedonische Grenze geschafft. Jetzt wartet er in Mazedonien im neuen Transitzentrum vor den Toren des Grenzorts Gevgelija auf seine Weiterreise. Das erklärte Ziel des jungen Mannes, wie für so viele der insgesamt 7000 Flüchtlinge an diesem Tag: "Germany" - Deutschland.

Vor seiner Flucht arbeitete Rezaee als Dolmetscher für die Bundeswehr in der afghanischen Provinz Kundus - bis die deutschen Soldaten von dort abgezogen wurden. "Dann kamen die Taliban und machten mir und meiner Familie das Leben zur Hölle", beschreibt Bargalai Rezaee die Situation, die ihn dazu brachte, zu fliehen.

Bargalai Rezaee: Von Taliban bedrohtBild: DW/R. Fuchs

Doch vor einem Neubeginn in Deutschland liegt für ihn noch ein weiter Weg. Nach zwei Monaten voller Angst, Chaos und Entbehrungen auf der Flucht klappt es hier in Mazedonien erstaunlich reibungslos, berichtet er. Erst wurde Rezaee registriert, dann gab es Essen und sogar eine warme Dusche.

Gleich wird er in Zweierreihen von Grenzpolizisten aus dem Transitcenter geleitet. Immer 50 Menschen auf einmal. Das Ziel: ein improvisierter Verkehrsknotenpunkt am Ende einer staubigen Schotterstraße. Dort warten hunderte Taxis, gut 40 Busse und fünf Sonderzüge darauf, sie an die nördliche Grenze des Landes zu bringen: nach Serbien.

Grenzpolizei: "Sie bleiben keine drei Stunden hier"

Gjoko Lazarev ist bei der mazedonischen Grenzpolizei für die Organisation des Transitzentrums verantwortlich. Seit einigen Wochen wird hier Wert auf Ordnung und Disziplin gelegt. Nicht zuletzt, weil im Sommer ganz andere Bilder von Gevgelija um die Welt gingen: Überforderte Grenzpolizisten prügelten damals auf ankommende Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan ein. Eine Hitzewelle sorgte zudem für untragbare Zustände. Oft kamen zehntausende Flüchtende gleichzeitig – ohne, dass es irgendwo Wasser, Toiletten oder Essen für sie gab.

Anfang September wurde eine kleine Zeltstadt auf Feldern unweit der grünen Grenze errichtet. Weiße Zelte, mobile Toiletten, Polizeiwagen und Essenstationen. Ein sogenanntes "temporäres Transitzentrum", in dem 1500 Flüchtlinge registriert, versorgt und von wo aus sie weitergeschickt werden können. Ein striktes Verfahren, was viele Flüchtlinge eher als Gängelung denn als notwendige Maßnahme ansehen würden, sagt Polizist Lazarev. "Sie wollen am Liebsten mit 1000 anderen gleichzeitig ins Transitcenter und nach fünf Minuten schon in den Zügen Richtung Westen sitzen."

Mazedonischer Grenzort Gevgelija: Nadelöhr für Tausende Flüchtlinge auf dem Weg nach Westeuropa

Erst eine Gesetzesänderung machte es möglich, dass Mazedonien jetzt überhaupt Flüchtlinge legal ins Land lässt. 72 Stunden haben sie nun Zeit, das Land organisiert und kontrolliert zu durchqueren oder in Mazedonien um Asyl zu bitten. Letzteres habe bislang aber keine einzige Person getan. "Im Durchschnitt verbringen die Flüchtlinge knapp drei Stunden bei uns", sagt Lazarev, der sichtlich stolz auf die Verbesserung der Lage ist.

Alexandra Krause vom UNHCR gibt ihm Recht. Die gebürtige Deutsche ist in der Grenzregion "Senior Emergency Coordinator" des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen. Vieles habe sich inzwischen im Umgang mit den Flüchtlingen zum Besseren gewendet. "Ich sehe das auch bei den Polizisten, wie sie die Flüchtlinge behandeln und wie sie sich sogar einige Worte Arabisch beigebracht haben, um ihren Job besser machen zu können", lobt Krause.

Transitzentrum in Gevgelija: Registrieren, essen, duschen und weiter nach SerbienBild: DW/R. Fuchs

Probleme gebe es vor allem im direkten Kontakt mit afghanischen Flüchtlingen, weil sich von den zehn Dolmetschern im Transitzentrum nur einer mit ihnen verständigen könne. "Viele hier sagen, dass die Afghanen viel aggressiver auftreten als alle anderen Flüchtlingsgruppen. Mein Eindruck ist, dass das ganz einfach ein Ausdruck der Frustration ist, nicht genau zu wissen, wo man ist und warum man jetzt schon wieder warten soll."

An Grenzstein Nummer 59 wird gewartet – rund um die Uhr

Geduld brauchen die ankommenden Flüchtlinge viel - vor allem an Grenzstein Nummer 59. Er markiert, rund 600 Meter vom neuen Transitzentrum entfernt, die grüne Grenze zwischen dem EU-Mitgliedsland Griechenland und Mazedonien. An diesem Tag bilden rund 50 Grenzpolizisten hier vor einem stillgelegten Bahndamm eine menschliche Mauer. Zwischen ihnen und den Flüchtlingen, die auf griechischer Seite auf dem Boden sitzen und sich zusammenkauern, liegt Stacheldraht. Ein UN-Helfer mit blauer Weste bittet die Flüchtlinge weiter um Geduld, bis die nächste Gruppe von 50 Leuten ins Transitzentrum vorgelassen werden kann. Ein kleiner Junge mit regenbogenbuntem Parka und vor Freude strahlenden Augen fällt ihm dabei ins Wort. Sein "Okay, okay, okay, " sorgt für einen Funken Hoffnung und einen Moment der Entspannung.

Mazedonische Polizisten sichern die Grenze zu Griechenland: Bis zu 10.000 Flüchtlinge kommen täglich hier anBild: DW/R. Fuchs

Rund 2000 Menschen seien heute hier versammelt, sagt der UN-Helfer. An vielen Tagen zuvor seien es über 8000 und mehr Menschen gewesen, fügt er dann noch hinzu. Gjoko Lazarev von der mazedonischen Grenzpolizei erwartet auch in dieser Nacht noch weitere Neuankömmlinge. Je nachdem, wie die griechische Grenzpolizei sich heute entscheide. "Von Polizist zu Polizist gibt es hier Absprachen. Aber offizielle Kontakte oder eine echte Koordination der Lage gibt es nicht." Würde die EU ihre Grenzen sichern, gäbe es den Zustrom an Flüchtlingen in Mazedonien nicht, ist sich Lazarev sicher. "Und die EU-Grenze, die gesichert werden muss, liegt nicht hier, sondern zwischen der Türkei und Griechenland."

Immer weniger Syrer, immer mehr Afghanen

Noch ist der Zustrom an Flüchtlingen aber ungebrochen. Nur woher sie stammen, habe sich in den vergangenen Wochen stark verändert, sagt UNHCR-Koordinatorin Alexandra Krause. Anfang Juni seien laut ihren Zahlen 80 Prozent aller Flüchtlinge in Gevgelija Syrer gewesen - nur rund sieben Prozent waren demnach Afghanen. Jetzt habe sich das gedreht. "Vor allem afghanische Familien sind unter den Flüchtlingen", sagt Krause. Das sorgt für Spannungen zwischen den einzelnen Flüchtlingsgruppen.

Der 25-jährige Faisel ist mit seinen Eltern aus Daraa im Südwesten Syriens geflohen. Seine Wut auf all jene, die Syriens Bürgerkrieg für ihre Flucht aus wirtschaftlichen Gründen missbrauchen, ist spürbar. Auch er ist überzeugt, dass um ihn herum vor allem Flüchtlinge aus dem Iran, Afghanistan, Algerien oder Marokko stehen. "Jeder hat das Recht zu gehen, wenn im eigenen Land Krieg herrscht", sagt Faisel dazu. "Aber wo bitte ist der Krieg in Algerien oder in Marokko?"

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