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Politik

Flüchtlinge auf Samos keine "Gefahr" für Touristen

Florian Schmitz z.Z. Samos
21. Juni 2019

Viele Touristen meiden die Insel Samos aufgrund der Flüchtlingssituation. Dabei beschränkt sich das Problem auf einen einzigen Ort. Dort fühlen sich die Menschen allein gelassen.

"Der Dschungel" – etwa 1500 Menschen leben außerhalb des öffentlichen Hotspots
Flüchtlinge im "Dschungel" von Samos - etwa 1.500 Menschen leben außerhalb des offiziellen HotspotsBild: DW/F. Schmitz

"Das ist unsere Schande," sagt eine Lehrerin und zeigt auf einen Hügel hinter Vathy, der Hauptstadt der Insel Samos in der griechischen Nordägäis. Sie meint den sogenannten Hotspot, einen jener Sammellager, in denen Geflüchtete auf ihr Asylverfahren warten. Eingerichtet wurden sie 2016, nach dem viel umstrittenen Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Diese liegt nur einen Steinwurf von Samos entfernt, an einigen Stellen nur wenige hundert Meter. Immer noch kommen hier regelmäßig Boote mit flüchtenden Menschen an. Immer noch ertrinken einige von ihnen im Mittelmeer.

Dass man in Samos den Hotspot als "Schande" bezeichnet, verwundert nicht. Für 650 Menschen ist das Lager konzipiert. Maximal drei Monate sollen sie auf ihr Interview in Athen warten, bei dem sie die Gründe für ihren Asylantrag darlegen sollen. Die Realität sieht anders aus. Insgesamt sind es um die 4.000 Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika, die hier auf ihre Weiterreise warten. Etwa 1.500 von ihnen haben sich um das Camp herum in einem improvisierten Lager angesiedelt. Man nennt es "den Dschungel" - auch in Anlehnung an die Tatsache, dass europäische Menschenrechte hier täglich gebrochen werden.

Unmenschliche Zustände

"Wir kämpfen hier mit Ratten und Schlangen. Wir haben keine Toiletten oder Duschen, keine Elektrizität und kein Zugang zu Wasser," erklärt eine 30-jährige Frau aus dem Kongo. Viele Menschen in Griechenland glauben, dass sie nur aufgrund des Geldes nach Europa wolle. Dabei herrscht Krieg in ihrem Land. Der Termin für ihr Asylinterview ist für März 2021 geplant. "Soll ich hier mein Kind zur Welt bringen?" , fragt sie verzweifelt. Anderthalb Liter Wasser und ein wenig zu essen bekommen die Menschen pro Tag.

Flüchtlinge auf Samos

02:37

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Auch im offiziellen Camp herrschen unerträgliche Zustände. Frauen berichten von Vergewaltigungen. "Wenn Du Essen haben willst, musst Du drei Stunden Schlange stehen. Auch auf die wenigen Toiletten muss man mindestens eine Stunde warten." sagt ein 24-jähriger Iraker. Sein erster Asylantrag ist abgelehnt worden. Alle Iraker hätten einen negativen Bescheid bekommen, erklärt er. Warum wisse er nicht. "Wenn ich zurück in den Irak gehe, dann bringen sie mich um."

Ebenfalls verzweifelt ist ein 32-jähriger Kongolese. Seit Oktober letzten Jahres sind seine Frau und er im ‚Dschungel.‘ Ihr Ziel: Belgien. "Dort müssen sie uns anerkennen. Sie haben uns kolonialisiert. Wenn ich also nach Belgien gehe, dann ist das wie zu Hause." Die Kinder habe er zu Hause gelassen, bis sich ihre Lage stabilisiert habe. Doch das ist nicht einfach. Immer noch habe er keinen Termin für ein Interview. Und der derzeitige Zustand sei eine Qual "Wir bekommen 90 Euro im Monat. Davon müssen wir 2,50 Euro an die Bank zahlen. Wie sollen wir davon überleben?"

Eine Mahlzeit am Tag: Brot und eine Flasche Wasser - Tagesration am Hotspot von SamosBild: DW/F. Schmitz

Überforderung für beide Seiten

Unten in Vathy prallen zwei Welten aufeinander. Der Hotspot hat die Einwohnerzahl der idyllischen Inselhauptstadt nahezu verdoppelt. Dadurch hat sich auch das Stadtbild verändert. Dort, wo früher Einheimische auf vornehmlich weiße Touristen aus dem Westen trafen, trifft man seit 2016 viele Geflüchtete aus dem Nahen Osten und Afrika. Für die Menschen in Vathy ist das nicht immer leicht. Zu Beginn hoffte man durch den Hotspot noch auf Geld aus Europa, erzählt ein Samiote. Doch inzwischen fühlen sich nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die Menschen von Samos allein gelassen.

Aus Angst, Touristen würden fernbleiben, ist für die Flüchtenden in vielen Läden, Cafés und Restaurants der Inselhauptstadt der Zutritt verboten. "Ich lasse meine Kinder nicht mehr allein auf die Straße. Ich habe Angst" , sagt eine Angestellte eines Ladens, in denen die Menschen aus dem naheliegenden Camp einkaufen dürfen. "Wir sind keine Rassisten" , sagt ihre Kollegin. "Aber es sind einfach zu viele."

Werdende Mütter leiden besonders unter den BedingungenBild: DW/F. Schmitz

Für die Ladenbesitzerin Maria haben die Vorbehalte vor allem mit Gefühlen zu tun. Seit einem Jahr betreibt sie ein Schmuckgeschäft auf der Haupteinkaufsstraße von Vathy. Sicher gebe es auch Probleme, doch viel spiele sich vor allem in den Köpfen ihrer Landsleute ab: "Die Menschen hier haben Angst. Angst vor Dingen, die sie nicht kennen. Sie fragen sich: Wie lange sollen die alle hier bleiben und werden sie uns zahlmässig überrollen." Hinzu käme, dass sich das Leben in Vathy verändert habe. Man würde inzwischen einfach die Geduld verlieren.

Tourismus leidet grundlos

Für viele Menschen in Samos steht zudem fest: Die Flüchtlingssituation in Vathy zerstört den Tourismus. "Sicherlich wirkt sich das ganze nicht positiv aus auf die Besucherzahlen" , sagt Evangelos Kalogeris. Seit 2017 betreibt er ein Falafel-Restaurant auf dem Hauptplatz von Vathy und beschäftigt dort auch Geflüchtete. "Der Ruf der Insel hat sich durch die Flüchtlinge zu Unrecht verschlechtert. Sie verursachen keine Probleme."

Außerdem weist Kalogeris darauf hin, dass der Tourismus sich auf Samos seit vielen Jahren nicht richtig entwickelt. Ein dringendes Problem sei z.B. eine angemessene und auf den Tourismussektor angepasste Raumplanung auf Samos. Auch hätten sich andere Inseln, auf denen der Tourismus boomt, bewusst auf eine entsprechende Entwicklung eingelassen. In Samos sei dies nicht der Fall: "Wir müssen uns entscheiden: Wollen wir Tourismus oder nicht? Die Branche bringt viele Vorteile. Dafür aber müssen auch viele legale Probleme gelöst werden. Die Situation mit den Flüchtlingen ist nur ein Teil von allem."

Momente der Gelassenheit sind für Geflüchtete in Samos eine SeltenheitBild: DW/F. Schmitz

Der Ruf als Flüchtlingsinsel wird nicht zuletzt durch Medienberichte verstärkt, die den Eindruck vermitteln, die Insel sei voll von Flüchtenden. Dabei ist Samos eine große Insel. Das Problem aber beschränke sich auf Vathy, sagt die Betreiberin eines Reisebüros im zehn Kilometer entfernten Touristenort Kokkari. "Bis hier ins Dorf oder in den weiter entfernten Süden sieht man gar keine Flüchtlinge." Dabei helfe nicht, dass Kreuzfahrtschiffe Vathy vermeiden, um den Touristen den Anblick zu ersparen, bestätigt eine Kollegin, die in einem Büro am Hafen der Inselhauptstadt arbeitet.

Evangelos Kalogeris wünscht sich eine bessere Politik und eine realistische Aufteilung. "Wenn überhaupt können wir 1.000 Menschen auf der Insel behalten." In der Tat bringen viele Flüchtende Kompetenzen in Form von Sprachen, die gerade im Tourismussektor gebraucht werden. Sein Falafelladen zeigt, dass sich in der schwierigen Lage auch Möglichkeiten finden lassen. Eine Lösung für alle 4.000 Menschen aber gibt es auf Samos nicht. Hier liegt es an Europa zu handeln.