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PolitikEuropa

Polen: Demo gegen Ukraine-Flüchtlinge

14. November 2022

An Polens Nationalfeiertag marschieren jedes Jahr Tausende Nationalisten auf. 2022 richteten sich ihre Parolen vor allem gegen die ukrainischen Flüchtlinge im Land. Übergriffe gegen Ukrainerinnen und Ukrainer nehmen zu.

Polen Warschau Unabhängigkeits-Marsch
"Stopp der Ukrainisierung Polens" steht auf dem Transparent beim "Unabhängigkeitsmarsch" polnischer Nationalisten an Polens Nationalfeiertag, dem 11.11.2022Bild: Aleksander Rajewski /DW

"Hier ist Polen, nicht die Ukraine!", "Der Ukrainer ist nicht mein Bruder", "Stopp der Ukrainisierung Polens", "Das ist nicht unser Krieg" - das sind nur einige der Parolen, die am diesjährigen polnischen Nationalfeiertag, dem 11.11.2022, im Zentrum von Warschau zu sehen und zu hören waren.

Am 11.11.1918 war der moderne unabhängige polnische Staat proklamiert worden - nach 123 Jahren unter preußischer, russischer und österreichischer Besatzung. Der Tag war bis zum deutschen Angriff 1939 Polens Nationalfeiertag - und ist es wieder seit 1989. Seit 2011 marschieren alljährlich an diesem Datum in ganz Polen Nationalisten auf. Das Motto ihres "Unabhängigkeitsmarsches" 2022 in der polnischen Hauptstadt lautete: "Starke Nation - großes Polen".

Polens Justizminister Zbigniew Ziobro (z.v.L.) beim "Unabhängigkeitsmarsch" in Warschau am 11.11.2022Bild: Aleksander Rajewski /DW

Nach Angaben der Organisatoren nahmen dieses Jahr 100.000 Menschen an dem Treffen teil - 50.000 weniger als 2021. Auch prominente Politiker wie Justizminister Zbigniew Ziobro von der Rechtspartei Solidarisches Polen (SP) und Ex-Verteidigungsminister Antoni Macierewicz von der Regierungspartei Recht und Gerechigkeit (PiS) zeigten sich auf der Nationalisten-Demo. Neben Ukrainerinnen und Ukrainern wurden auch LGBT-Menschen in Redebeiträgen vulgär beleidigt. Unter dem Ruf "Der Nationalismus ist unser Weg!" verbrannten die Demonstrierenden EU- und Regenbogen-Fahnen.

Antiukrainische Parolen dominierten Polens Nationalisten-Märsche 2022 nicht nur in Warschau. In Breslau lautete das Motto der Veranstaltung am 11. November ganz offiziell "In Polen ist der Pole der Wirt", inoffiziell wurde für einen "antiukrainischen Marsch" geworben. Einer der Organisatoren war der rechtsextreme, bereits für rassistische Äußerungen verurteilte Ex-Pfarrer Jacek Miedlar. Für den Marsch 2022 soll er Transparente vorbereitet haben, die die Ukraine mit einem tollwütigen Hund vergleichen und für die "Verbannung" aller Ukrainerinnen und Ukrainer aus Polen werben sollen. Letztlich konnte Miedlar allerdings nicht an der Demo teilnehmen, da ihn die Polizei auf dem Weg dorthin festgenommen hatte - wegen potenzieller Gefährdung der öffentlichen Ordnung.

Sündenbock für Frustrationen

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine am 24. Februar hat Polen 1,4 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland aufgenommen (Stand 14.11.2022, Anm. d. Red.). Dass parallel zur großen Solidarität mit der Ukraine auch antiukrainische Stimmen laut werden, wundert Konrad Dulkowski nicht. Der Leiter der NGO "Zentrum für das Monitoring von Rassismus und Xenophobie" (OMZRIK) in Warschau spricht von einer "politischen Instrumentalisierung" der Flüchtlinge aus dem umkämpften Land, die sich derzeit in Polen aufhalten.

Konrad Dulkowski ist Leiter des Zentrums für das Monitoring von Rassismus und Xenophobie (OMZRIK) in WarschauBild: privat

"In schwierigeren Zeiten, wenn die Preise dramatisch steigen und sich viele Menschen unsicher fühlen, wird nach einem Feind oder Sündenbock gesucht, an dem sich Frustrationen entladen", so Dulkowski gegenüber der DW. "Leider wird diese menschliche Schwäche von Leuten ausgenutzt, die daraus politisches Kapital schlagen wollen. Das erinnert an die Ideologie der Nazis, die diesen Mechanismus ebenfalls ausnutzten."

Verbalattacken, demolierte Autos, Hassparolen an Wohnungstüren

Dulkowski führt seit Kriegsbeginn eine Liste antiukrainischer Vorfälle. "Hunderte Male wurden in den letzten Monaten physische und verbale Attacken gemeldet", erklärt der Leiter des Warschauer Zentrums für das Monitoring von Rassismus und Xenophobie, "und jeden Tag werden es mehr". Meist gehe es um Konflikte zwischen Nachbarn, demolierte Autos mit ukrainischen Kennzeichen, mit Hassparolen beschmierte Wohnungstüren und Hauswände.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim nationalistischen "Unabhängigkeitsmarsch" in Warschau am 11. NovemberBild: Aleksander Rajewski /DW

Der Leiter des OMZRIK berichtet von einer Ukrainerin, die von einem Autofahrer beschimpft und geschlagen worden sei, "weil Kinder, die sie betreute, einen Ball unter sein Auto gekickt hatten". Ein Kunde habe Milch über eine Verkäuferin aus der Ukraine gegossen und geschrien, dass er Ukrainer hasse. In Warschau sei eine Ukrainerin von ihrer Vermieterin geschlagen, in Krakau seien drei Frauen, die auf einer Parkbank saßen, als "schmutzige ukrainische Schlampen" beschimpft worden, die Polen verlassen sollten.

Ausländer bisher nicht alltäglich

Auch polnische Medien berichten über antiukrainische Stimmungen. Etwa über einen Zettel am Eingang eines Ladens in der westpommerschen Kleinstadt Barlinek, der verkündet: "Jeder ukrainische Bürger wird nach der Kasse kontrolliert". In einem anderen Geschäft stünde auf Ukrainisch: "Wir wissen, dass alle Diebstähle auf euer Konto gehen."

Ein Notlager für Flüchtlinge aus der Ukraine im Bahnhof der polnischen Stadt Przemysl im März 2022Bild: Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance

Die "Fremdenfeindlichkeit in bestimmten Teilen der polnischen Gesellschaft" erklärt Dulkowski auch mit der Homogenität der polnischen Gesellschaft nach 1945. "Die meisten Menschen wurden in dem Glauben erzogen, dass Polen nur von Polen bewohnt wird, nur von Katholiken, nur von Heterosexuellen. Minderheiten wurden versteckt." Die jetzige Migration aus der Ukraine sei für Polen die erste Herausforderung dieser Art.

"Geh zurück in die Ukraine"

Die antiukrainischen Parolen, die nicht nur bei Nationalistendemos, sondern auch im Alltag zu hören sind, haben Folgen. Anastassija Vysochyna etwa fragt sich, ob sie Polen verlassen soll. Anfang März 2022 floh die 31-jährige Englischlehrerin mit ihrem neun Jahre alten Sohn aus der ukrainischen Stadt Dnipro ins polnische Lodz. Im September feierte sie dort in einer renommierten Pizzeria mit einer Freundin deren Geburtstag. Auch die Kinder der beiden Frauen waren dabei. Beim Verlassen des Restaurants hatte sie den Geburtstagsstrauß vergessen.

Als Anastassija dies bemerkte, kehrte sie in die Pizzeria zurück. Dort stand der halbe Strauß in einer Vase, die anderen Blumen lagen im Mülleimer. "Ich fragte, warum so mit unserem Besitz umgegangen würde", berichtet die junge Mutter der DW. "Daraufhin griff mich eine Kellnerin an, sie zog mich an den Haaren. Mein Kind wurde gestoßen und fiel hin. Die Kellnerin forderte mich auf, in die Ukraine zurückzukehren, wenn es mir hier nicht gefalle." Seit dieser Zeit fühle sie sich nicht mehr wohl in Polen, so Anastassija weiter. "Wenn mich meine Mutter, die hier lebt, nicht stoppen würde, würde ich das Land verlassen."

Mehr Solidarität als Hass

Wie viele andere Ukrainerinnen und Ukrainer hat auch die Lehrerin aus Dnipro seit ihrer Ankunft in Polen immer wieder versucht, Arbeit zu finden. Jetzt unterrichtet sie Englisch online für Schülerinnen und Schüler in den Teilen der Ukraine, wo kein Krieg herrscht, um in Polen über die Runden zu kommen. Die meisten ukrainischen Flüchtlinge in dem EU-Land arbeiten, da sie vom polnischen Staat nur eine sehr geringe Unterstützung bekommen. Auch deshalb werden sie laut Umfragen von der überwiegenden Mehrheit der Polinnen und Polen nicht als Last, sondern als Gewinn für das Land gesehen.

Seit Juli 2022 hat das Zentrum für Monitoring von Rassismus und Xenophobie 170 antiukrainische Vorfälle bei der Polizei angezeigt. Leiter Konrad Dulkowski berichtet von mehreren laufenden Ermittlungen. Im September sei ein Mann, der Ukrainer im Internet beschimpft hatte, zu einer Geldbuße von 8500 Euro verurteilt worden - die bislang höchste Strafe für antiukrainische Aktionen in Polen. Auf dem Twitter-Account seiner NGO kommentierte Dulkowski: "Das ist eine Warnung an diejenigen, die glauben, dass rassistische und fremdenfeindliche Hassreden ungestraft bleiben."