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Belarus-Route fordert Deutschland heraus

Kay-Alexander Scholz
20. Oktober 2021

Im Bundestagswahlkampf war das Thema Migration kaum Thema. Währenddessen entwickelte sich an der Grenze zu Polen im Osten des Landes eine neue Herausforderung. Was nun?

Deutschland | Flüchtlings-Erstaufnahme in Eisenhüttenstadt
Ein Erstaufnahmelager in EisenhüttenstadtBild: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Es war bislang eine wenig genutzte Strecke für Flüchtende aus dem Nahen Osten. Doch in den vergangenen Monaten bekam die Route über Belarus und Polen in den Osten Deutschlands viel Zulauf - vor allem ins Bundesland Brandenburg. Waren es dort an der Grenze im August 209 Geflüchtete, die aufgegriffen wurden, erhöhte sich die Zahl im September auf 1164. Im Oktober sind es bislang rund 2000.

Es liegen zwei weitere Bundesländer an der Grenze zu Polen: Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Insgesamt ist die Grenze rund 460 Kilometer lang. Zusammen gab es nach Angaben der Bundespolizei im laufenden Jahr rund 5700 illegale Grenzübertritte, besonders von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak. Kann diese Situation humanitär und verwaltungstechnisch gemeistert werden? Und: Droht die Lage zu eskalieren? Fragen, die in der deutschen Öffentlichkeit immer drängender gestellt werden.

Versteckte Migranten? Polizeikontrolle an deutsch-polnischer GrenzeBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Noch immer ist vielen Deutschen die Situation von 2015/16 in Erinnerung, als hunderttausende Geflüchtete das Land zeitweilig überforderten. Für das laufende Jahr 2021 melden deutsche Behörden insgesamt rund 80.000 neue Anträge auf Asyl - viel weniger als damals. Allerdings warnen Politiker wie Ralph Brinkhaus vor einer Zunahme der Zahlen. Er befürchte, "dass sich da etwas entwickeln könnte", sagte der Chef der Bundestagsfraktion von CDU/CSU. 2015 seien "Frühindikatoren" nicht genug beachtet worden. Das solle sich nicht wiederholen, betonte Brinkhaus.

Dies sei "eine große Herausforderung", stehe jedoch "in keinem Verhältnis zu dem, was wir 2015 gesehen haben", sagte Sachsen Ministerpräsident Michael Kretschmer. Trotzdem müssten jetzt Kapazitäten aufgebaut und die Menschen "anständig untergebracht" werden.

Schwierige Steuerung wegen Corona

Für die Unterbringung der Flüchtlinge gibt es Erstaufnahme-Einrichtungen - in Brandenburg sind es vier. Noch scheint man sich in dem Bundesland von den zunehmenden Flüchtlingszahlen nicht beunruhigen zu lassen. Im Moment bekäme er von der Landesregierung beziehungsweise von Bundesbehörden jede nötige Hilfe, sagt beispielsweise Olaf Jansen, Leiter der Erstaufnahme-Einrichtung in Eisenhüttenstadt der DW. Unterstützung gebe es für Anhörungen, Registrierungen oder dem Stellen von Asylanträgen.

Von einem drohenden Kollaps, wie manche Medien berichteten, könne überhaupt keine Rede sein, erklärt Jansen. "Wir haben aus 2015 gelernt und sind auf solche Situationen vorbereitet. Unser Anspruch ist genau zu wissen, wer hier in welchem Zustand ankommt."

Gefangen zwischen Polen und Belarus

03:26

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Anspruchsvoll sei momentan vor allem "die Steuerung in Pandemie-Zeiten", erzählt Jansen. Belarus ist ein Hochrisikogebiet. Flüchtlinge, die über das Land eingereist seien, müssten nach ihrer Ankunft gestaffelt in Quarantäne. Doch die Kapazitäten sind begrenzt. "Hier sind jetzt rund 1600 Menschen - die Kapazität liegt bei ungefähr 2100." Um die Situation grundlegend zu lösen, sei es wohl nötig, diplomatisch mehr zu tun, so Jansen.

Grenze soll nicht geschlossen werden

Vor Ort gilt es die Situation nicht nur in den Einrichtungen zu meistern, sondern auch an der Grenze. Aktuell sind bereits acht Hundertschaften der Bundespolizei im Einsatz. Allerdings räumte die Bundespolizeigewerkschaft ein, dass hinter der Grenze nur punktuell kontrolliert werde. "Mit diesem Fahndungskorridor ist das Risiko sehr hoch, dass es doch zu unkontrollierter Einwanderung kommt", sagte Heiko Teggatz, Vorsitzender der Gewerkschaft. Auch in Polen sei die Lage angespannt. "Deshalb brauchen wir eine zweite Kontroll-Linie an der deutsch-polnischen Grenze".

Nun hat die Regierung in Berlin beraten, wie eine solche "Kontroll-Linie" aussehen könnte. So soll es gemeinsame Patrouillen vor allem auf polnischem Gebiet geben. "Um mögliche Grenzgänger zu identifizieren, aber auch Schleuser dingfest zu machen", so Seehofer. Die polnische Seite muss dem allerdings noch zustimmen.

Die Bundesregierung ist sich einig: Noch-Bundesinnenminister Horst SeehoferBild: CHRISTIAN MANG/AFP

Eine Schließung der Grenze werde es nicht geben, sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer in Berlin. Darin sei man sich einig. Grenzschließungen haben weitreichende Folgen auch für die Wirtschaft beider Länder. Kilometerlange LKW-Staus könnten den Warenverkehr erheblich behindern. Entsprechende Bilder aus der besonders kritischen Phase der Corona-Krise sind noch allgegenwärtig.

Die aktuelle Situation an der deutsch-polnischen Grenze berührt zudem grundsätzliche migrationspolitische Fragen in Europa. Nach EU-Recht müssen Schutzsuchende ihren Asylantrag in dem EU-Land stellen, das sie als erstes betreten. Doch die sogenannte Dublin-Verordnung funktioniere an vielen Stellen nicht mehr, sagte Seehofer in Berlin. Viele Flüchtlinge bleiben nicht im Erstaufnahmeland Polen, sondern reisen nach Deutschland weiter. Im DW-Interview erinnert der FDP-Politiker und Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff an die EU-Regeln. "Wir schicken jetzt einige der Menschen zurück nach Polen, damit die polnischen Behörden sich um sie kümmern können."

"Migranten als politische Waffe"

Die Ursachen der angespannten Situation sieht die Bundesregierung vor allem in Belarus. Das sei "eine staatlich organisierte, zumindest unterstützte Schleusertätigkeit" der belarussischen Regierung, so Seehofer. "Migranten werden als politische Waffe eingesetzt - das ist eine Form der hybriden Bedrohung".

Präsident Alexander Lukaschenko hatte als Reaktion auf EU-Sanktionen erklärt, er werde Migranten mit dem Ziel EU nicht mehr aufhalten. Aber auch Russland spiele eine Rolle, so Seehofer. Er könne sich nur schwer vorstellen, dass das alles ohne Billigung aus Moskau geschehe.

Im Bundestag wird diese Einschätzung in Bezug auf Lukaschenko geteilt. "Wir müssen das Problem an der Wurzel packen, nämlich den Menschenhandel durch einen autoritären Führer in Weißrussland", sagt der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Nils Schmid der DW. "Wenn wir das stoppen wollen, müssen wir verhindern, dass Fluggesellschaften aus Drittländern Flüchtlinge nach Weißrussland bringen und sie dann über Weißrussland an die EU-Grenze schicken", fordert Schmid.

Bei einer Airline aus dem Irak ist das nach Angaben Seehofers bereits gelungen. Deutschland hofft nun auf weitere Hilfe durch die EU - auch durch eventuelle neue Sanktionen gegen Belarus und problematische Fluggesellschaften.

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