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Besser integriert durch Benimmregeln?

Vera Kern4. Januar 2016

In Deutschland tobt erneut die Wertedebatte: Muss man Flüchtlingen Regeln vermitteln? Verpflichtende Benimmregeln sogar, wie es konservative Politiker fordern? Mit Integration hat das nichts zu tun, fürchten Kritiker.

Flüchtlinge auf dem Bonner Markt - Foto: Mark Hallam (DW)
Bild: DW/M. Hallam

Wer in Deutschland aufwächst, lernt idealerweise automatisch, welche Werte und Normen hier in der Gesellschaft gelten: Etwa dass Männer und Frauen gleichberechtigt und Homosexuelle akzeptiert sind, Pünktlichkeit sowie Mülltrennung geschätzt werden und der Rechtsstaat für alle gilt. Was aber ist mit den Menschen, die neu in Deutschland ankommen? Müssen Flüchtlinge formal dazu verpflichtet werden, nach dem Grundgesetz zu leben?

CDU-Vizechefin Julia Klöckner warnte jüngst vor "kulturellen Konflikten in der Flüchtlingskrise". Neuankömmlinge müssten "unsere grundlegenden Werte und unsere aufgeklärte Kultur" lernen. Ihr Vorschlag: Flüchtlinge sollten gleich nach ihrer Ankunft eine "Hausordnung" überreicht bekommen. Eine Art Flüchtlings-Knigge, der die Gepflogenheiten in Deutschland erklärt.

"Es muss von Anfang an klar sein, dass wir bestimmte Dinge nicht durchgehen lassen", sagte Klöckner der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und brachte auch gleich ein Beispiel: "Wenn ein Vater nicht mit einer Lehrerin spricht, weil sie eine Frau ist, sollten wir nicht den Weg des geringsten Widerstands gehen und einen männlichen Lehrerkollegen schicken."

Integration per Unterschrift

Mehr noch: Wenn ein Flüchtling in eine Wohnung umzieht, sollte er eine verpflichtende Integrationsvereinbarung schließen, so Klöckner. Wer dann einen Deutschkurs nicht besucht, dem könnten Leistungen gekürzt werden. Damit ist Klöckner ganz auf der Linie vieler konservativer Politiker, die schon länger eine Integrationspflicht fordern. Auch CSU-Chef Horst Seehofer verlangte dieser Tage von den Flüchtlingen, christlich-europäische Werte einzuhalten.

CDU-Vize Klöckner: Hausordnung für alle FlüchtlingeBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Es ist nicht das erste Mal, dass Julia Klöckner ein formales Werte-Bekenntnis von Flüchtlingen verlangt. Die Vize-Vorsitzende von Angela Merkels CDU ist derzeit im Wahlkampf und möchte Ministerpräsidentin im Bundesland Rheinland-Pfalz werden. Bereits im vergangenen Herbst, nachdem ein Imam ihr beim Besuch einer Asylbewerberunterkunft den Handschlag verweigert hatte, echauffierte sich Klöckner, dass das Grundgesetz "kein Bauchladen sei, aus dem man sich die Rosinen picken könne." Auch forderte Klöckner mehrfach schon ein Burka-Verbot.

Die Frage ist: Sorgen solche Vorstöße wirklich für eine bessere Integration von Flüchtlingen?

Flüchtlinge als Top-Wahlkampfthema

Malu Dreyer, SPD, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz und Klöckners Hauptgegnerin bei der anstehenden Landtagswahl, weist die wieder aufgekochte Wertedebatte als "sinnlosen Aktionismus" zurück. Es sei völlig klar, dass sich jeder Mensch in Deutschland an Recht und Gesetz zu halten hat, sagte sie "Spiegel online": "Das gilt natürlich für jeden Flüchtling genauso wie für jeden Deutschen", so Dreyer.

Auch den Grünen missfallen Benimmregel-Appelle, wie sie derzeit die Unionsparteien CSU und CDU verbreiten. "Das Grundgesetz gilt für alle, egal ob jemand aus Damaskus oder aus Dresden kommt", sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, zu Klöckners Hausordnungs-Vorschlag. Wer mit Blick auf Flüchtlinge jetzt plötzlich auch die Gleichstellung von Frauen und Homosexuellen betone, so Göring-Eckardt in einem Interview mit "Spiegel online", sollte das auch konsequent selbst leben.

Mangel an Deutschkursen

Längst ist in Deutschland eine Debatte darüber entbrannt, ob und inwiefern die Neuankömmlinge das Land verändern werden. Spracherwerb, da sind sich alle parteiübergreifend einig, ist ein wesentlicher Schlüssel für die Integration. Aber genau hier hapert es, denn es gibt nach wie vor nicht genügend Deutschkurse. Hinzu kommt: Flüchtlinge, deren Asylverfahren noch laufen, hatten bis Oktober überhaupt keine Möglichkeit, an einem Integrationskurs teilzunehmen.

Flüchtlingsfrauen beim Deutschkurs in Halle/Saale: Bald Integrationspflicht für sie?Bild: picture-alliance/dpa/H.Schmidt

Daher sehen Kritiker wie Siegfried Pick, Sprecher des rheinland-pfälzischen Arbeitskreis Asyl, die größten Integrationsverweigerer auch nicht unter den Flüchtlingen selbst, sondern in der Politik. Klöckners Idee einer "Hausordnung" hält Pick für absurd: "Integration funktioniert nicht über Paragrafen, die man unterschreiben muss." Aus der täglichen Arbeit mit Geflüchteten wisse er sehr wohl, dass es nötig ist, Werte und Alltagswissen zu vermitteln. Aber das geschehe etwa in einem Deutschkurs, und eben nicht per formaler Verordnung. Zudem schere man mit einer "Hausordnung" alle Flüchtlinge über einen Kamm und stelle insbesondere Muslime unter Generalverdacht. Pick fürchtet daher im Gespräch mit der Deutschen Welle, derlei Forderungen könnten Ressentiments und Vorbehalte gegen Flüchtlinge schüren.

Orientierungshilfe ja, Ressentiments nein

Es ist unumstritten: Grundwerte müssen für alle gelten. Doch wie lassen sie sich in konkrete Alltagssituationen übersetzen? Wo verläuft die Grenze zwischen kultureller Andersartigkeit und der klaren Ansage: Dieses Verhalten wird nicht toleriert?

Auf welch glattem Eis man sich mit Forderungen nach einem Flüchtlings-Knigge bewegt, hat ein Bürgermeister aus Baden-Württemberg erlebt. In der Gemeinde Hardheim, in der 4600 Einwohner und 1000 Flüchtlinge leben, sorgte Bürgermeister Volker Rohm mit einem Appell für Aufsehen. Darin unterrichtete er Flüchtlinge über Dinge wie: "Deutschland ist ein sauberes Land und das soll es auch bleiben!" Oder: "Man erntet kein Obst und Gemüse, das einem nicht gehört." Nach wenigen Stunden waren die Benimmregeln wieder von der Internetseite des Ortes verschwunden. Der Eklat war zu groß.

Internetseite "Refugee Guide": Keine Hausordnung sondern Orientierungshilfe für FlüchtlingeBild: refugeeguide.de

Dass Orientierungshilfe auch sensibler vermittelt werden kann, zeigen verschiedene Online-Portale. So informiert beispielsweise die Deutsche Welle über erste Schritte in Deutschland. Auch Michael Strautmann vom GIGA-Institut hat eine Infoseite für Neuankömmlinge ins Netz gestellt. Sein "Refugee Guide" ist gemeinsam mit Flüchtlingen entstanden. In 15 Sprachen sollen Alltagstipps den Flüchtlingen helfen, sich besser in Deutschland zurechtzufinden. Strautmann sagt, er habe selbst im Gespräch mit Flüchtlingen oft den Wunsch nach mehr Alltagswissen gehört.

Hauptanliegen sei es, nützliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Und kein Regelwerk oder gar eine "Hausordnung" aufzustellen. Strautmann stellt im Vorwort des Refugee Guides klar: Nicht jeder Deutsche hält sich an die Regeln.

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