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Politik

Bosnische Warteschleife für Flüchtlinge

18. Juni 2019

In Westbosnien, nahe der kroatischen Grenze, fühlt man sich sowohl von der Zentralregierung, als auch von der internationalen Gemeinschaft alleingelassen. Nun wird hart durchgegriffen. Leidtragende sind Flüchtlinge.

	
Bosnien und Herzegowina | Flüchtlinge auf der Balkanroute
Bild: DW/A. Kamber

Tahir ist ganz aufgebracht an diesem Vormittag: "Wir dürfen nicht zum Supermarkt gehen, wir können uns nichts zu essen kaufen! Wir dürfen das Camp nicht verlassen, als ob wir hier im Gefängnis sind! Wir wollen aber keine Gefangene sein! Es ist unmöglich!" Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die Lokalbehörde der westbosnischen Stadt Bihac eine Ausgangssperre zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr für Migranten verhängt hat. Man nennt das hier "die Hausordnung". Alle Flüchtlinge, die in diesem Zeitraum noch unterwegs in der Stadt sind, werden von der Polizei aufgegriffen und zurück in das nahe gelegene Flüchtlingscamp Bira gebracht.

Zu dieser Maßnahme sahen sich die Behörden von Bihac gezwungen, nachdem sie zuvor erfolglos monatelang um Hilfe und Unterstützung von der bosnisch-herzegowinischen Zentralregierung in Sarajevo gebeten hatten. Denn das Flüchtlingscamp Bira, eine verlassene Fabrikhalle, ist  komplett überfüllt. Alle 700 Plätze sind besetzt, mindestens noch einmal so viele Menschen hausen in improvisierten Zelten vor den Toren des mit Zaun abgetrennten Areals. Die hygienischen Bedingungen sind verheerend, dünne Planen bieten kaum Schutz vor Regen oder Sonne.

Unmut bei der Lokalbevölkerung

Das Flüchtlingszentrum Bira ist keine Ausnahme: auch die anderen Flüchtlingscamps im Una-Sana Kanton um die Stadt Bihac herum platzen aus allen Nähten. Insgesamt gibt es in der Region Unterbringungsmöglichkeiten für etwa 3.200 Flüchtlinge, zurzeit warten aber mehr als 5.000 Migranten. Die meisten der Flüchtlingszentren werden von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verwaltet. Über sie hat Tahir allerdings wenig Gutes zu berichten: "Sie kommen und wollen sich fotografieren lassen mit uns, wie sie uns einmal am Tag etwas zu essen geben. Sie wollen zeigen, wie gut sie sind. Aber das stimmt alles nicht."

Tahir aus Pakistan ist wütend und verzweifelt

Während die Flüchtlinge auf die Gelegenheit warten, die nahe Grenze zu Kroatien, und damit zur EU, zu überqueren, schlagen sie die Zeit auf den Straßen und Plätzen des rund 45.000 Einwohner zählenden Städtchens tot. Das Aggressionspotential ist groß, die Bewohner von Bihac fühlen sich unsicher, die Gerüchte über erhöhte Kriminalität machen die Runde. "Das ist eine Katastrophe, wir wissen nicht mehr, was wir tun sollen", beklagt sich Bajro Grozdanic. "Vielleicht ist die Abschiebung die einzige Lösung. Es ist nicht human, aber wir können nicht mehr. Verstehen Sie uns. Man kann die Menschen nicht aus dem eigenen Garten vertreiben. Ich kann nicht sagen, dass es schlimmer ist als im Krieg, aber so kann man nicht weiter leben", sagt er aufgebracht. "Sie haben ihre eigenen Kriege, man hört immer wieder, dass es zu Messerstechereien gekommen ist. Es ist hässlich zu sagen, aber das ist unerträglich. Ich sehe keinen Ausweg."

"Alles unter Kontrolle"

Während des Bosnienkrieges haben die Menschen von Bihac und der ganzen Region selbst gelitten, auch deswegen wurden die ersten Flüchtlinge vor anderthalb Jahren wohlwollend aufgenommen. Oft war die Lokalbevölkerung zuerst zur Stelle, als die Menschen in Not gerieten. Inzwischen hat sich die Stimmung aber umgedreht. "Ich war selbst Flüchtling, ich weiß, dass sie es nicht einfach haben. Aber die Lage ist für uns unerträglich", beklagt sich eine Bewohnerin, "es ist zu viel". Seit neuestem werden Rufe laut, die Grenzen des Kantons für Flüchtlinge zu schließen, auch wenn keiner weiß, wie das zu machen wäre und auf welcher gesetzlichen Grundlage.

Große Hitze und unwürdige hygienische Bedingungen für Migranten

Offizielle Zahlen bestätigen die Ängste vor erhöhter Kriminalität allerdings nicht. In den ersten fünf Monaten hat die Polizei im Una-Sana Kanton 130 Straftaten der Migranten registriert, 78 Fälle davon entfielen auf die Kategorie "Störung der öffentlichen Ordnung" und 400 weitere kleinere Vergehen. Das sind rund 20 Prozent aller Straftaten in der Region. Auch der Sprecher der Polizei Ale Siljdedic betont, dass die verhängte Ausgangssperre eher eine Präventivmaßnahme ist: "Es gibt Vorfälle, aber die Lage ist nicht alarmierend. Einige Straftaten der Migranten sind gemeldet, das ist aber kein Massenphänomen bisher. Wir können aber nicht garantieren, dass es auch künftig so bleiben wird." Denn es kommen tagtäglich 100 bis 150 neue Migranten, und die Aufnahmekapazitäten sind erschöpft. "Bisher haben wir die Lage unter Kontrolle, wir wissen aber nicht wie lange noch", sagt Siljdedic.

Flüchtlingscamp auf der Mülldeponie

Auch das ist einer der Gründe, weswegen die kantonalen Behörden entschieden haben, ein neues Flüchtlingszentrum in Vucjak, zehn Kilometer außerhalb der Stadt zu errichten. Vucjak ist allerdings kein Dorf, es ist eine ehemalige Mülldeponie. Es gibt dort weder eine Infrastruktur, noch fließendes Wasser und auch keinen Strom. Auch die Gefahr einer Vergiftung ist groß. Zunächst sollen dort 400 Migranten untergebracht werden, später auch mehr.

Für die internationale Gemeinschaft ist vor allem die Nähe der kroatischen Grenze ein Problem. "Das wird Flüchtlinge dazu bringen hierher zu kommen, um dann so bald wie möglich die Grenze zu überqueren", warnt Lars-Gunnar Wiegemark, EU-Botschafter in Bosnien-Herzegowina. Die EU wäre bereit, 13 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, wenn bosnische Behörden die Flüchtlinge auf ihrem gesamten Territorium beherbergen würden.

Dünne Planen bieten kaum SchutzBild: DW/Dragan Maksimovic

Für Migranten ist das aber keine Option. Sie wollen unbedingt weiter. Ihr Ziel: über Kroatien und Slowenien gen Westen zu kommen. "Schon 14 Mal habe ich die kroatische Grenze überquert, und immer wieder wurde ich zurückgebracht", erzählt Tahir aus Pakistan. Inzwischen hat er sein ganzes Geld aufgebracht, denn jedes mal muss er die lokalen Menschenhändler und Reiseführer bezahlen. Man braucht sie, um den Zaun zu umgehen, den die kroatische Polizei an Teilen der Grenze aufgestellt hat. Man braucht sie auch, um die aus dem Bosnienkrieg verbliebene Minenfelder zu umgehen. 

Angst vor der kroatischen Polizei

"Schon anderthalb Jahre sind wir unterwegs", erzählen drei junge Menschen, die sich vorbereiten gemeinsam die Grenze zu überqueren. Sie wollen nach Italien. Einige haben dort Verwandte, andere haben gehört, dass man dort leichter unterkommen kann als etwa in Österreich oder Deutschland. "Wir kommen aus Pakistan, und sind über Iran, der Türkei, Griechenland, Nordmazedonien und Serbien nach Bosnien-Herzegowina gekommen. Überall bekamen wir Wasser und etwas zu essen, ein Dach über den Kopf. Hier ist es aber am schlimmsten", sagen sie. "Hier müssen wir unter freiem Himmel schlafen, und das Wasser bringen sie uns in Zisternen - wie für das Vieh".

Sie haben keine andere Option, als immer wieder zu versuchen, die Grenze zu überqueren

Für die meisten ist das der schwierigste Teil ihrer Reise. Die kroatische Polizei, die sich als vorbildlicher Wächter der EU-Außengrenze präsentieren will, patrouilliert mit verstärkten Kräften, teilweise auch mit Hubschraubern, entlang der Grenze zu Bosnien-Herzegowina. Alle aufgegriffenen Flüchtlinge werden, laut übereinstimmenden Berichten verschiedener Menschenrechtsorganisationen, ohne Asylverfahren zurück geschickt - ein klarer Fall von Missachtung der bestehenden EU-Regeln.

Auch junge Pakistani bestätigen das. "Mehrmals haben wir versucht über die Grenze zu kommen, und jedes mal hat uns die  kroatische Polizei aufgegriffen. Sie haben unsere Handys genommen und haben uns zurückgeschickt", erzählen sie. Dennoch, einen Plan B gibt es für sie nicht. "Wir werden es wieder versuchen. Wir werden nicht aufgeben." So bald es dunkel wird, werden sie sich auf den Weg machen, auf das "game", wie sie die Route durch die Wälder nennen. Manche Flüchtlinge in Bira haben es schon über 30 Mal versucht.

Gefährliches Schlupfloch in Bosnien

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