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Politik

Flüchtlinge: gestrandet in Bosnien

Amir Purić
3. Juli 2018

Die "alte Balkanroute" ist geschlossen, doch immer mehr Flüchtlinge kommen nun über Bosnien. Dort sitzen sie fest. Aus Velika Kladusa berichtet Amir Puric.

Bosnien und Herzegowina Balkanroute 2.0
Warten und hoffen und träumen - Flüchtlingscamp nahe Velika KladusaBild: DW/A. Puric

Es sind auch Frauen und Kinder dabei. Vor allem aber junge Männer. Sie leben in improvisierten Zelten - bestenfalls. Oft ist das Dach über dem Kopf nur eine dünne Plastikfolie auf Stelzen. Und täglich wächst das Lager auf einer Wiese bei Velika Kladusa in Bosnien und Herzegowina. Es sind die neuen Flüchtlinge der Balkanroute. Bis vor die Tore der EU haben sie es schon geschafft. Kroatien ist nur noch einen Fußmarsch entfernt. Dort wollen sie hin, möglichst schnell und dann weiter Richtung Norden.  

Wenn es regnet, ist es besonders schlimm: nasse Zelte und überall nur Matsch. "Das hier ist kein Flüchtlings-Camp. In Serbien war es gut, da hatten wir zu essen und bekamen Kleidung und gute Zelte. Hier haben wir nichts", klagt Kasim aus Pakistan.

Vor sechs Monaten ist er nach Europa aufgebrochen, durchquerte Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Serbien. Jetzt lauert er in Bosnien und Herzegowina auf die Gelegenheit, weiter zu kommen. In seiner Heimat war er LKW-Fahrer, das Land habe er verlassen, weil er um sein Leben fürchtete. In gutem Englisch berichtet er, dass in der Grenzregion, aus der er stammt, die Taliban sehr aktiv sind. Gewalt ist da an der Tagesordnung.

Die Polizei, die klaut und schlägt…

Zurzeit kommen die meisten Flüchtlinge, die in Bosnien und Herzegowina ankommen aus Pakistan, erklärt der Sicherheitsminister Dragan Mektic. Seiner Meinung nach flüchten sie aber überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen, nicht so sehr weil sie bedroht werden. "Und Wirtschaftsmigranten können wir nicht aufnehmen", sagt er klipp und klar bei einer Pressekonferenz. Die Männer im Camp bei Velika Kladusa widersprechen. In ihren Erzählungen ist immer wieder die Rede von den Taliban, von der Armee und von der großen Unsicherheit. Das seien, beteuern sie, die Gründe, weswegen sie die Heimat verließen.

Nur improvisierte Zelte - "Das ist kein Flüchtlingscamp. Hier haben wir nichts"Bild: DW/A. Puric

Aus Pakistan kommen überwiegend Männer, die sich einzeln durchschlagen. Familien kommen hingegen überwiegend aus Afghanistan, Syrien oder Irak. Haji ist hier mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern. Schon seit zwei Monaten sind sie unterwegs. Er kommt aus Mosul im Irak. Dort werde man noch in 20 Jahren nicht leben können, glaubt er. Sein Ziel ist die Europäische Union, obwohl er nicht mehr weiß, wie seine Familie dahin kommen soll. Kroatische Polizisten und bosnische Diebe hätten ihnen in Bosnien ihr ganzes Geld gestohlen haben, berichtet er.

Über die kroatische Polizei ist er besonders empört. Bei einem Versuch die Grenze zu überqueren, haben sie ihm neben 1000 Euro auch noch das Handy abgenommen. Für ihn sind sie schlimmer als die Kämpfer des Islamischen Staates. Er setzt seinen Finger auf die Schläfe und sagt: "IS tötet dich. Das ist besser, als ohne alles dazustehen". Dann hat ihn auch noch ein bosnischer Schlepper betrogen: er hat das Geld genommen, ihn und seine Familie aber nicht über die Grenze gebracht.

Eine Gruppe Syrer aus dem Nachbar-Zelt erzählt Ähnliches. Auch Sie wurden bei einem misslungenen Versuch die Grenze zu überqueren, von der kroatischen Polizei geschlagen, beraubt und zurück nach Bosnien geschickt.

Die neue Balkanroute

Man hat den Eindruck, dass in diesem Camp außerhalb von Velika Kladusa überwiegend die ärmsten Flüchtlinge gelandet sind, oft Familien mit Kindern, Migranten die sowohl physisch als auch finanziell erschöpft sind von dem langen Weg, den sie zurückgelegt haben.

Gleichzeitig gibt es etwa tausend Migranten aus Algerien, Marokko, Syrien, Palästina, Afghanistan, Pakistan und anderen Ländern die verteilt überall in der Stadt leben. Viele sind in leere Häuser eingezogen - was den Unmut der Bevölkerung weckt.

Die sogenannte "alte Balkanroute" führte früher von Griechenland, über Mazedonien und Serbien weiter nach Kroatien oder Ungarn. Seit Anfang des Jahres gibt es eine neue Route. Da die serbische Grenze zu den EU-Ländern inzwischen so gut wie dicht ist, versucht man jetzt über Bosnien und Herzegowina nach Kroatien zu gelangen. Migranten konzentrieren sich dabei überwiegend auf zwei Hotspots im Westen des Landes: in Velika Kladusa und in Bihac.

Dort sind bisher etwa 3.500 Flüchtlinge von insgesamt rund 7.000 registriert, die nach Bosnien kamen. Die Geschichten von den Bewohnern dieser zwei Städte, wie sie in den kalten Wintermonaten zahlreiche Migranten in ihre Hauser aufgenommen haben oder für sie gekocht haben, gingen um die Welt.

Die Stimmung ändert sich

Inzwischen aber ändert sich die Stimmung angesichts vieler gestrandeter Flüchtlinge, die hier jetzt festsitzen. In beiden Städten hat man Flüchtlingszentren bereitgestellt, der Staat wollte da aber finanziell nicht mitziehen. Migranten bekommen in diesen Zentren nur eine Mahlzeit täglich - und auch das nur dank der Spenden der Bürger und der Hilfe des Roten Kreuzes und der Nichtregierungsorganisationen.

Inzwischen sind Flüchtlinge überall sichtbar - wie hier am Hauptbahnhof in SarajevoBild: DW/Z. Ljubas

"Wir brauchen täglich zwei bis drei Tausend Euro, um unsere Arbeit so wie bisher machen zu können. Wir sind am Rande des Machbaren. Und wenn wir uns zurückziehen, wird hier ein großer Chaos ausbrechen", ist sich Husein Klicic vom lokalen Roten Kreuz sicher. Die Abgeordneten haben schon einen Protest in der Hauptstadt Sarajevo angekündigt, falls nicht schnellstens Hilfe vom Staat kommt.

Gleichzeitig warnen lokale Behörden nicht nur vor der kritischen humanitären, sondern auch vor der immer schwieriger werdenden Sicherheitslage. Das spiegelt sich auch in den sozialen Netzwerken wieder, in denen überwiegend ablehnend auf die Flüchtlinge reagiert wird. Angst und Fremdenfeindlichkeit machen sich breit. Eine Facebook-Seite, auf der zur Vertreibung der Flüchtlinge aus Velika Kladusa aufgerufen hatte, wurde mehrere hunderte Mal geteilt, bevor sie geschlossen wurde.

Eine falsche Nachricht, wonach eine junge Frau von Migranten in Bihac vergewaltigt worden sein sollte, verbreitete sich innerhalb kürzester Zeit wie ein Lauffeuer. Und in Velika Kladusa gab es eine Sondersitzung des Stadtrates, nachdem ein marokkanischer Flüchtling in einem Streit unter den Migranten erstochen wurde.

EU: Keine Flüchtlingscamps an der Grenze

Den Politikern macht besonders Sorge, dass man kaum in der Lage ist, die Identität der Flüchtlinge festzustellen, da sie oft keine Dokumente mehr haben und bei der Registrierung falsche Angaben machen. Aus der Hauptstadt Sarajevo versucht man die Gemüter zu beruhigen. Es gebe keine Anzeichen dafür, dass die Kriminalität gestiegen sei, sagt Dragan Lukac von der föderalen Polizei. Die Sicherheitslage sei unter Kontrolle. In diesem Jahr haben Migranten in Velika Kladusa und in Bihac insgesamt 18 Straftaten begangen, überwiegend handelt es sich dabei um Diebstahl.

Flüchtlinge aus Pakistan: Sie wurden beklaut und geschlagen - geben ihre Träume aber nicht aufBild: DW/A. Puric

Inzwischen hat die bosnisch-herzegowinische Bundesregierung angekündigt, in einem verlassenen Fabrikgelände in Velika Kladusa ein Flüchtlingscamp einzurichten - inklusive beheizbaren Zelten und regelmäßiger Lebensmittelversorgung. 

Allerdings gibt es Widerstand seitens der Lokalbehörden - sie befürchten, dass daraus ein dauerhaftes Lager wird. Auch die EU hat signalisiert, kein Flüchtlingszentrum direkt an der bosnisch-kroatischen Grenze zu finanzieren. Sicherheitsminister Mektic empört sich: "Wo ist das Problem? So etwas gibt es schon an der serbisch-kroatischen Grenze in Sid, warum nicht hier?"

Warten und träumen - von Deutschland

Für die Flüchtlinge, die zurzeit in dem wilden Camp auf der Wiese ausharren, wäre das jedenfalls eine Verbesserung, vor allem wenn sie bis in den Herbst hier bleiben müssen. Aber kaum jemand hat das eigentlich vor. "Keine Grenze kann man vollständig dicht machen. Auch nach Ungarn kommt man hinein. "Es ist möglich", sagt Kasim aus Pakistan. "Hätte ich 2500 Euro, wäre ich in zwei Tagen in Italien oder in Frankreich." Schleuser seien sehr gut vernetzt, so bald eine Route geschlossen wird, findet sich eine andere.

Warten und hoffen, dass es nicht regnet Bild: DW/A. Puric

So bleiben die Flüchtlinge in der Nähe der Grenze und hoffen doch bald weiter kommen zu können. Fürs erste aber werden Lagerfeuer gemacht, die Nächte können hier kalt werden. Und besorgt beobachten die meisten die dunklen Wolken am Himmel. "Wenn es regnet, ist hier die Hölle los, es ist unerträglich", sagt Michael aus Nigeria und flüchtet unter die Zeltplane. Da träumt er dann von einem normalen Leben in Deutschland - eines Tages.

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