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Politik

Flüchtlinge in Bosnien: Warten auf den Winter

20. September 2018

Diesen Sommer haben bis zu 4000 Flüchtlinge versucht, über Bosnien-Herzegowina in die EU zu gelangen. Die meisten sind gestrandet und müssen in Zeltlagern den Winter fürchten, berichtet Frank Hofmann aus Velika Kladuša.

Gefährliches Schlupfloch in Bosnien

05:23

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Gefährliches Schlupfloch in Bosnien

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Der Schotterweg geht irgendwo rechts ab am Ende der Durchgangsstraße im nordwestbosnischen Velika Kladuša. Er sieht aus als ende er irgendwo im Wald, eine Zufahrt für Holzfäller vielleicht - links Bäume, rechts Gebüsch. Dann taucht plötzlich eine Holzbrücke auf, die zwischen Büschen über einen kleinen Bach führt. Versteckt dahinter liegt das Flüchtlingscamp von Velika Kladuša. Menschen aus Afghanistan, Pakistan und dem Nahen Osten haben hier seit Beginn des Sommers Zuflucht gesucht. Der Grund ist die nahe Grenze zur Europäischen Union. Kroatien, das jüngste EU-Land, ist nur knapp zwei Kilometer entfernt.

Auf kürzestem Weg durch Kroatien

Jeden Tag brechen von hier aus Migranten auf und versuchen, in die EU zu gelangen. Ihr Ziel: Westeuropa, Slowenien und vor allem Italien. Kroatien ist zwar Mitglied der EU, aber bislang nicht Teil des Schengen-Raumes für freies Reisen. Der kürzeste Weg durch Kroatien zur slowenischen Grenze beginnt hier, hinter Velika Kladuša. Ein seltsamer Ort mit Camping-Zelten, die sich unter dunkelgrauen Plastikfolien zu verstecken scheinen. Die Planen sollen vor Regen schützen. Aus heiterem Himmel ziehen in dieser hügeligen nordwestbosnischen Landschaft oft Regenwolken auf. Mindestens einmal am Tag kommen Azra Moralić und ihr Team von der Hilfsorganisation "Emmaus" vorbei. Die ursprünglich in Frankreich gegründete Hilfsorganisation versorgt die Migranten gemeinsam mit der bosnischen Vertretung von "Ärzte ohne Grenzen" mit Essen - vor allem aber auch medizinisch. "Wenn sie hier bleiben müssen, wird das schlimm: Sie können hier nicht einfach auf den Winter warten", sagt die Helferin. "Dafür sind die Zelte nicht ausgestattet."

Azra Moralić von der Hilfsorganisation "Emmaus"Bild: DW/D. Mardesic

Furcht vor einem extremen Winter

Und der Winter kann extrem werden in diesem Teil Südosteuropas: Über der Grenze Richtung Westen in Kroatien liegen die Plitvicer Seen. Der Nationalpark ist bekannt für meterhohen Schnee in der kalten Jahreszeit. Derzeit lebten noch immer rund 150 Menschen - darunter zehn Familien mit Kindern - in dem Camp von Velika Kladuša, sagt Azra Moralić, während sie an der offenen Dusche vorbei geht. "We are humans" - "wir sind Menschen" - steht außen auf einem Sichtschutz. Dahinter stehen in einer Reihe Baustellen-Toiletten. Schon bald müssten die Familien "in eine feste Unterkunft gebracht werden, wo sie geschützt sind im Winter", sagt Moralić. Anfang September konnte die "Internationale Organisation für Migration" (IOM) immerhin alle Flüchtlingsfamilien aus dem noch viel größeren Flüchtlingscamp in der Regionalhauptstadt Bihac herausholen. Die Teilorganisation der Vereinten Nationen mietete kurzerhand ein pleite gegangenes Hotel an. In dem sozialistischen Bau aus der Zeit des früheren Jugoslawien warten die Menschen jetzt auf den Winter. Manche haben die Hoffnung aufgegeben, noch dieses Jahr in die EU zu gelangen. Azra Moralić sagt, dass andere sich dort "wie im Gefängnis fühlen". Trotz der Not ist für sie das Camp von Velika Kladuša die beste Lösung, "weil sie hier frei rein und rausgehen können". Und dennoch sei es sicher: Die Polizei schickt regelmäßig eine Streife vorbei. Am Eingang sitzt ein Wachmann.

Über den Zelten: Plastik-Planen als Schutz gegen den Regen. Bild: DW/F. Hofmann

Neue Balkanroute über die Berge

Manche der Flüchtlinge sind schon seit vier Jahren unterwegs. Viele haben zuvor mehrere Male versucht, vom Nachbarland Serbien aus in die EU zu gelangen - nach Rumänien, Ungarn oder über die dortige Grenze nach Kroatien. Doch seit dem Frühjahr haben europäische Sicherheitsbehörden beobachtet, wie sich eine neue West-Route über den Balkan etablieren konnte. Schleuser in der Türkei und in Griechenland sollen dieses Jahr Bosnien und Herzegowina entdeckt haben. Zunächst, so formulierte es im April ein deutscher Sicherheitsbeamter, habe man beobachten können wie sich eine "Moschee-Route" entwickelt habe. Schleuser hätten hilflose Migranten zu Gemeinden in Bosnien geschickt. Aus Nächstenliebe hätten Imame Migranten muslimischen Glaubens mit Essen versorgt. Die neue "West-Balkanroute" des Sommers 2018 verläuft über das nördliche Albanien nach Montenegro und von dort über unwirtliche Berge nach Bosnien und Herzegowina. Ein Flüchtling aus Afghanistan berichtet, er sei von der serbischen Hauptstadt Belgrad über eine Brücke über den Fluss Drina zunächst nach Ost-Bosnien gelangt. "Nach Angaben der zuständigen Behörden waren es in den Monaten Juni und Juli 3500 bis 4000" Migranten, die ins Land gekommen sind, erklärt die Vertretung der EU in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo auf Anfrage der Deutschen Welle.  

Die Helfer von "Emmaus" kommen mindestens einmal am Tag ins CampBild: DW/D. Mardesic

Finanziert wird die Hilfe von der EU

Nach und nach haben Nichtregierungsorganisationen begonnen, die Migranten mit dem Nötigsten zu versorgen. Finanziert wird die Hilfe von der Europäischen Union: Zunächst hatte Brüssel über seine Hilfsagentur "ECHO" 1,2 Millionen Euro den Helfern gegeben. Dann wurde aufgestockt: 7,2 Millionen Euro fließen seit Juni an den UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR), das UN-Kinderhilfswerk Unicef und IOM für die Versorgung der Flüchtlinge in Bosnien und Herzegowina. Die UN-Organisationen haben weitere Partner wie "Emmaus" und "Ärzte ohne Grenzen" beauftragt zu helfen. Europa greift auf ein Netzwerk zurück, das sich in Bosnien und Herzegowina seit dem Krieg der 1990er Jahre gebildet hat und bis heute arbeitet - und Aufgaben übernimmt, die anderswo Sache des Staates ist. Doch das Land ist auch 23 Jahre nach dem Krieg politisch entlang ethnischer Herkunft tief gespalten. Die Politiker blockieren sich selbst: Die "Spannungen zwischen den nationalistischen Vertretern der Serben, Muslime und Kroaten im Land haben zuletzt weiter zugenommen", schreibt der Berliner Think Tank "Stiftung Wissenschaft und Politik" in einer aktuellen Analyse.

Unter bosnischer Flagge: Viele der Flüchtlinge haben schon mehrfach versucht, in die EU zu gelangen. Bild: DW/F. Hofmann

Ein Schritt zu langfristigen Unterkünften außerhalb der EU

Hilfsorganisationen ersetzen in Bosnien und Herzegowina den Sozialstaat und helfen nun eben auch den Flüchtlingen. Die EU-Mittel dafür stammen aus dem Subventionstopf, der eigentlich helfen soll, dass der EU-Bewerberstaat fit für die Mitgliedschaft wird. Bereits 2016 hat das Land vor den Toren der EU offiziell darum gebeten, Mitglied der EU zu werden. Mit den Notlagern wie im nordwestbosnischen Velika Kladuša muss es plötzlich Brüssel die Arbeit abnehmen. Seit Monaten diskutieren die EU-Mitgliedsstaaten über Flüchtlingszentren außerhalb der EU, in Albanien zum Beispiel, wo künftig über Asyl- und Flüchtlingsanträge entschieden werden könnte. Der Schritt zu mehreren winterfesten Unterkünften in Bosnien ist nicht mehr weit. "Hier können sie jedenfalls nicht mehr lange bleiben", sagt die Nothelferin Azra Moralić, während sie zwischen den grauen Kunststoffplanen am Ortsrand von Velika Kladuša steht.

 

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