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Politik

Calais bereitet sich auf den Winter vor

Doris Pundy
16. Oktober 2017

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron möchte bis zum Jahresende alle obdachlosen Migranten von der Straße holen. Doch in Calais stößt sein Plan auf Widerstand. Doris Pundy berichtet.

Migranten in Calais beim gemeinsamen Mittagessen
Bild: DW/D.Pundy

Zwei Lieferwagen rollen auf die Brachfläche zwischen Lagerhallen, Schutthalden und Autobahn. Ihre Ladung: Linsensuppe und Brot. Etwa 150 Menschen warten schon auf das warme Mittagessen. Sie haben die Nacht im Freien in den Dünen der nordfranzösischen Hafenstadt Calais verbracht. Einer von ihnen ist Yaqub Wassam Degadem. Der Sudanese ist seit drei Wochen in Calais.

Weiterhin 700 Migranten in Calais

Wassam Degadem möchte nicht in Frankreich bleibenBild: DW/D.Pundy

"Wenn es in der Nacht regnet ist es besonders hart", sagt Wassam Degadem. Auf zwei Hochspannungsmasten hängt Kleidung zum Trocknen. Einige der Migranten waschen sich notdürftig Gesicht und Hände an einem Brunnen. "Mit Gottes Hilfe werde ich es noch vor dem Winter nach England schaffen", sagt der 21-Jährige. Die neuen Unterkünfte, welche die französische Regierung in den letzten Monaten eröffnet hat, sind für ihn keine Alternative. "Wenn ich in eins der Zentren gehe, könnte ich meine Chance verpassen, es nach England zu schaffen."

"Die Situation für die Migranten hier ist echt widerwärtig", sagt Sylvain Marty. Er ist seit über zwei Jahren in Calais als Freiwilliger aktiv. "Die Menschen schlafen alle im Freien. Ein Zelt bleibt keine zwei Tage stehen. Dann wird es von der Polizei samt Schlafsack beschlagnahmt." Die Politik versuche mit allen Mitteln, Migranten davon abzubringen hierher zu kommen, sagt der Aktivist. Etwa 700 Migranten, etliche davon Minderjährige, würden trotzdem hier ausharren.

Sylvain Marty: "Die neuen Lager reichen nicht aus"Bild: DW/D.Pundy

"Die Regierung hat, gelinde gesagt, große Mühe, die Leute dazu zu überreden in die neuen Lager zu gehen und in Frankreich Asyl zu beantragen", so Marty. Viele hätten in Großbritannien Verwandte oder könnten schon die Sprache. "Die Ankündigung von Emmanuel Macron bis Jahresende alle Migranten in staatlichen Einrichtungen unterzubringen, macht mir Angst", sagt der Helfer. Er befürchtet, die Behörden könnten noch härter gegen die Flüchtlinge vorgehen.

Frankreich als letzte Chance

Im ehemaligen Kloster von Belval befindet sich eine dieser neuen Unterkünfte. In den kargen Schlafräumen der Nonnen stehen Stockbetten aus Metall. Zwei Migranten teilen sich ein Zimmer. In der Küche wird das Abendessen vorbereitet. Es gibt tiefgekühlte Quiche. Achtzig Kilometer südlich von Calais ist der Traum von Großbritannien vorbei.

Claude Picarda: "Wir brauchen vor allem Zeit"Bild: DW/D.Pundy

"Die meisten hier kommen aus Calais. Erst letzte Nacht sind wieder zwei Leute dazu gekommen", sagt Claude Picarda. Er leitet die neue Flüchtlingsunterkunft in Belval. Aktuell leben hier etwa sechzig Migranten. Platz gäbe es für einhundert Personen. "Es braucht vor allem Zeit, bis sich die Menschen für Frankreich entscheiden und hier Asyl beantragen", sagt Picarda. Die Migranten bleiben in Belval bis sie ihren Asylentscheid erhalten. Dann werden sie auf Flüchtlingsunterkünfte in ganz Frankreich verteilt. In der Zwischenzeit würden sie im Warmen schlafen können und hätten Zugang zu medizinischer Versorgung, so Picarda.

"Frankreich ist meine letzte Chance. Wenn das auch nicht klappt, dann weiß ich nicht, was aus mir wird", sagt Michael Mihirka. Der 28-Jährige Eritreer hatte bereits in Dänemark Asyl beantragt und wurde abgelehnt. In Frankreich lebte er zuerst zwei Monate in Paris auf der Straße, dann kam er nach Calais. "Die Bedingungen dort waren so schlecht, dass ich nach einer Woche hierher gekommen bin", sagt Mihirka. Freiwillige in Calais hätten ihm von Belval erzählt. Jetzt wartet er auf die Asylentscheidung der französischen Behörden. "Ich hoffe so sehr, dass das klappt. Ich bete dafür. Dann kann ich endlich wieder anfangen zu leben."

Michael Mihirka hofft in Frankreich Asyl zu bekommenBild: DW/D.Pundy

Für manche hier in Belval ist Frankreich aber kein Neuanfang sondern Endstation. "Ich gebe auf, ich gehe heim", sagt ein junger Mann aus Afghanistan. Zusammen mit zwei weiteren Männern trinkt er Tee im Speisesaal. Letzte Nacht hätte ihn die Polizei von Calais hierher gebracht. Außer seiner Kleidung besäße er nichts mehr. Sechs Monate und zwei Wochen hatte er in Calais verbracht, in der Hoffnung es nach Großbritannien zu schaffen. "Er fliegt auch zurück nach Afghanistan", sagt er und deutet auf einen anderen Mann in der Runde. "Er hat sogar schon sein Flugticket bekommen."

Vorbereitungen für den Winter

In Calais bereiten sich die freiwilligen Helfer auf den nächsten Winter vor. In der Lagerhalle der Hilfsorganisation "L‘Auberge des Migrants" sortieren Helfer gespendete Winterkleidung, Decken und Schlafsäcke. Frankreich bräuchte eine Politik der Willkommenskultur, so Marty. Stattdessen würde die Politik die Situation hier verleugnen.

Hilfsorganisationen in Calais bereiten sich auf den Winter vorBild: DW/D.Pundy

Fabien Sudry, der Präfekt der Region Calais, wiegelt ab. Die von der Regierung geschaffenen Unterkünfte seien eine gute Lösung. Die Migranten könnten dort unter menschenwürdigen Bedingungen leben. Sollten die bislang geschaffenen Zentren nicht ausreichen, gäbe es sogar schon Pläne für weitere Unterkünfte, so Sudry.

Präfekt Sudry: "Kein neues Flüchtlingslager in Calais"Bild: DW/D.Pundy

Eine Flüchtlingsunterkunft direkt in Calais komme aber nicht in Frage. "Die Geschichte hat uns gezeigt, sobald es ein Flüchtlingszentrum in Calais gibt, kommen sofort einige hundert oder gar tausend Personen dahin", so der Vertreter des Innenministeriums. Deshalb seien die neuen Unterkünfte weiter weg von der Küste. Es werde auch schon ein Notfallplan erarbeitet für jene, die sich nicht überreden lassen, in Frankreich Asyl zu beantragen und die im Winter noch im Freien schlafen würden. Details wollte Sudry keine nennen.

"Das stimmt doch nicht, dass nur noch mehr Menschen kämen, wenn es in Calais vernünftige Unterkünfte gäbe", sagt Sylvain Marty. "Die Zustände sind fürchterlich und trotzdem sind hier hunderte Menschen. Und die werden nicht einfach wieder verschwinden." Vielmehr rechne Marty damit, noch länger hier zu bleiben. "Wir gehen davon aus, dass wir den kommenden Winter hier verbringen werden und wahrscheinlich auch noch den Sommer und den Winter danach."

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