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PolitikAsien

Flüchtlinge in Istanbul: Kippt die Stimmung?

18. August 2021

In der Türkei sind die rund vier Millionen Flüchtlinge zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt. Im Istanbuler Migrantenviertel Yusufpasa schauen nun viele von ihnen voller Sorge in die Zukunft.

Straßenszene im Istanbuler Viertel Yusufpasa
Im Istanbuler Viertel Yusufpasa leben viele syrische FlüchtlingeBild: Rena Effendi

Das Istanbuler Stadtviertel Yusufpasa ist seit vielen Jahren eine der beliebtesten Anlaufstellen für Einwanderer, die vor Krieg geflohen sind. Dort haben sich Migranten aus vielen Ländern der Welt angesiedelt - überwiegend sind es jedoch Syrer, die hier den Alltag prägen. Besonders an der sehr belebten Millet-Straße sind die vielen von Syrern betriebenen Geschäfte nicht zu übersehen - Restaurants, Friseure und Reisebüros sind überwiegend auf syrische Kunden ausgerichtet. Die Werbung an den Schaufenstern ist zweisprachig, türkisch und arabisch.

In der Hauptstadt Ankara waren solche Geschäfte zuletzt Ziel rassistischer Angriffe. Bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe syrischer Migranten und Einheimischen starb ein 18-jähriger Türke. Daraufhin versammelten sich im Stadtteil Altindag Hunderte Menschen und zerstörten Geschäfte, Wohnungen und Autos syrischer Einwanderer oder setzten sie in Brand. 

Ankara ist zu spüren

Die Ereignisse haben auch im mehr als 400 Kilometer entfernten Istanbuler Viertel Yusufpasa Ängste ausgelöst: Viele syrischstämmige Menschen wollen sich nicht zu den Tumulten in Ankara äußern; nicht einmal anonym. Sie sorgten sich um ihre Sicherheit, geben die Meisten als Begründung an. 

Ein syrisches Restaurant im Yusufpasa-ViertelBild: Burcu Karakaş/DW

Der 45-jährige Abdulmalik - seinen richtigen Namen möchte er nicht veröffentlicht wissen -  kam vor acht Jahren aus Aleppo in die Türkei. Er arbeitet in einem der syrischen Cafés und Restaurants, die vor allem von arabischen Gästen besucht werden. "Wir haben bei unserer Arbeit nur wenig Berührungspunkte mit den Türken. Es kommen nicht viele. Aber man kann nicht behaupten, dass unsere Beziehungen bisher besonders schlecht gewesen sind", erzählt er.

Die Stimmung gegenüber den ungefähr vier Millionen Flüchtlingen scheint jedoch immer mehr zu kippen. Während sie von der türkischen Regierung und der Bevölkerung lange Zeit toleriert wurden, nahmen zuletzt die Anfeindungen gegenüber Migranten zu. Ein wichtiger Grund dafür ist die seit Herbst 2018 anhaltende Währungs- und Wirtschaftskrise im Land. Durch die schlechte Lage haben Existenzängste und Verteilungskämpfe in der türkischen Gesellschaft zugenommen. 

"Den Krieg nicht hinter uns gelassen"

Abdulmalik befürchtet, dass nun alle Syrer für das Handeln eines einzigen seiner Landsleute in Sippenhaft genommen werden. "Eine Person hat etwas Schlechtes getan und dafür werden dann alle Syrer gleichermaßen verurteilt. Es ist sehr schwer, damit umzugehen. Viele erinnern die Angriffe in Ankara an die Anschläge damals in ihrer Heimat. Es ist so, als hätten wir den Krieg nicht hinter uns gelassen."

Abdulmaliks Cousin schaltete sich in das Gespräch ein und erzählt, dass er in den sozialen Medien mitverfolgt habe, was in Ankara geschehen ist. "Ich habe zahlreiche Kommentare (von Syrern) gelesen. Viele hatten Angst, andere waren wütend." Er sei jedoch dennoch optimistisch, weil die Polizei unschuldige Menschen während der Tumulte in der Nacht beschützt habe. "Ich bin mir sicher, dass die türkische Regierung das Aufkeimen weiterer Spannungen unter Kontrolle bringen wird."

Viele Syrer haben die Hoffnung nicht verloren

Weitere Syrer äußern sich ähnlich optimistisch. Viele hoffen, dass der gemeinsame Glaube die Wogen glätten werde. Nizam, der auch aus Aleppo stammt, lebt bereits seit fünf Jahren in der Türkei. Er sei in die Türkei gekommen, um ein besseres Leben zu beginnen. "Wir sitzen hier nicht einfach herum. Wir zahlen ganz normal unsere Miete und arbeiten", berichtet er. "Ich war traurig, als ich sah, was in Ankara passiert ist." Die Hoffnung hat er dennoch nicht verloren: Er habe viele türkische Freunde, sagt er, fühle sich sicher in seiner Nachbarschaft und habe keine Angst.

Der Syrer Hidir hat keine Angst vor einer EskalationBild: Burcu Karakaş/DW

Hidir ist 29 Jahre alt und arbeitet bei einem Friseur in Yusufpasa. Seine Mutter ist Syrerin, sein Vater Libanese. In der Türkei lebt er seit zwei Jahren. Er sei nach Istanbul gekommen, um zu arbeiten und sich eine Zukunft aufzubauen, erzählt er. Wie Nizam hat auch er keine Angst vor Spannungen oder gar einer Eskalation zwischen Türken und syrischen Flüchtlingen. "Die Leute kommen hierher, um zu leben, nicht um Unruhe zu stiften. Die Türkei ist wie meine Heimat und ich liebe Istanbul. Daher mache ich mir auch keine Sorgen. Ich mache hier nichts Schlimmes, warum sollte ich mir Sorgen machen?"

Abdulmalik wünscht sich eine Zukunft ohne Vorurteile. Es sei wichtig, dass nicht alle in der Türkei lebenden Flüchtlinge wegen eines einzelnen Vorfalls verurteilt werden. Er spricht der Familie von Emirhan Yalcin, dem Jugendlichen, der durch einen Messerstich in Ankara starb, sein Beileid aus: "Es tut uns wirklich leid. Wir kennen die Einzelheiten des Vorfalls noch nicht genau. Aber wir haben alle den Wunsch, dass wir (Syrer) nicht aufgrund eines Kriminalfalls in eine Schublade gesteckt werden."

Aus dem Türkischen adaptiert von Daniel Derya Bellut

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