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Politik

Auf der Suche nach Lebenden und Toten

27. Oktober 2018

NGOs suchen per Flugzeug auf dem Mittelmeer nach Menschen in Seenot. Die Arbeit wird immer schwieriger, denn es fehlen Rettungsschiffe. Außerdem behindern Behörden die Arbeit der "Moonbird". Ylenia Gostoli berichtet.

Deutsches NGO-Flugzeug hilft Flüchtlingen im Mittelmeer
Bild: DW/Y. Gostoli

Das Such- und Rettungsflugzeug "Moonbird" hält direkt auf ein Frachtschiff in internationalen Gewässern zu. Es treibt südlich der italienischen Insel Lampedusa im Mittelmeer. Neeske Beckmann, die 29 Jahre alte Flugkoordinatorin, macht Fotos aus der Luft und sucht das Meer ab, während das Flugzeug über dem Schiff kreist. Es scheint, als sei niemand an Deck. Hinter dem Schiff ist kein Kielwasser, ein Hinweis darauf, dass es sich nicht fährt.

"Das muss die 'Just Fitz' sein", meint Beckmann, als sie zum Fernglas greift. Die Vergrößerung zeigt: Auf dem Schiff steht tatsächlich der Name "Just Fitz III". Am Vorabend hatte das Schiff auf einen Notruf reagiert und etwa 40 Flüchtlinge in internationalen Gewässern gerettet. Nun hat das Schiff im Mittelmeer den Anker ausgeworfen und die Besatzung wartet darauf, dass ihr ein Hafen zugewiesen wird. Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini hat mitgeteilt, dass die "Just Fitz III" in seinem Land nicht anlegen darf. Eine Entscheidung, die zu einem weiteren diplomatischen Streit zwischen Italien und Malta führen kann.

Die "Just Fitz III" musste warten, bis ihr ein Hafen zugewiesen wirdBild: DW/Y. Gostoli

Schiffe dürfen nicht mehr anlegen

Im Juni hatte die neue rechte Regierung in Italien dem Rettungsschiff "Aquarius" mit 630 Menschen an Bord das Anlegen verwehrt. Malta zog nach, deshalb musste die Aquarius nach Spanien fahren und eine Woche auf See bleiben.

Es war der erste von einer Reihe ähnlicher Vorfälle, bei denen Schiffe von NGOs, Frachtschiffe und in einem Fall sogar ein Boot der italienischen Küstenwache tagelang im Ungewissen gelassen wurden. Sie mussten auf hoher See abwarten, bis die Spitzenpolitiker in Europa über ihr Schicksal entschieden hatten. Die Konsequenzen dieses Vorgehens sind von der "Moonbird" aus zu sehen: Auf dem Meer ist es gespenstisch leer.

Die Schiffe meiden inzwischen das Mittelmeer südlich von Malta und Lampedusa und nehmen lieber einen Umweg in Kauf, damit sie nicht tagelang aufgehalten werden. Das einzige verbliebene Boot der Hilfsorganisation Sea-Watch, "Mare Ionio", kehrte in den Hafen zurück. Die "Aquarius" ankert in Marseille, seit ihr die Zulassung entzogen wurde, und drei weitere Boote von NGOs liegen vor Malta. Weil sie keine Schiffe mehr für eine Rettung herbeirufen können, sucht die Crew der "Moonbird" inzwischen sowohl lebende als auch tote Bootsflüchtlinge.

Wo sind Menschen in Seenot? Die "Moonbird" sucht nach BootsflüchtlingenBild: DW/Y. Gostoli

Die letzten Augen auf dem Mittelmeer

Die "Moonbird" ist ein Projekt der deutschen NGO Sea-Watch und der Swiss Humanitarian Pilots Initiative aus der Schweiz. Die Evangelische Kirche in Deutschland unterstützt die zivilen Retter. Die "Moonbird" hat die restriktive Flüchtlingspolitik der Mittelmeer-Anrainerstaaten zu spüren bekommen: Drei Monate lang hatte die Regierung von Malta Aufklärungsflüge untersagt. Seit Mitte Oktober darf die "Moonbird" wieder starten. Die Crew teilt sich die Arbeit mit der "Colibri", die von französischen Piloten geflogen wird. Diese kritisieren, dass Handelsschiffe inzwischen seltener auf Notrufe reagieren.

Im vergangenen Juni wurde eine große libysche Such- und Rettungszone gebildet. Damit übertrug die Italienische Seenotrettungsleitstelle MRCC die Verantwortung für ein großes Gebiet im südlichen Mittelmeer an das afrikanische Land. Manos Radisoglou ist Fluglotse und Hobbypilot. Der 30-Jährige fliegt die "Moonbird" seit Mai 2017 ehrenamtlich. Er zeigt auf den Monitor, der die Umgebung anzeigt. Offiziell gehört das Gebiet zur libyschen Rettungszone. Diese erstreckt sich etwa 80 Seemeilen (148 Kilometer) weit vor der libyschen Küste. Das eigentliche Hoheitsgebiet umfasst etwa zwölf Seemeilen, ungefähr die Hälfte der Strecke nach Lampedusa.

Keine Zusammenarbeit mit libyscher Küstenwache

Bis zum vergangenen Jahr habe das MRCC auch Rettungsaktionen aus dem libyschen Gebiet organisiert, berichtet Radisoglou. Als Teil einer von der Europäischen Union unterstützen Vereinbarung mit der libyschen Regierung Anfang 2017 hat Italien dann aber die Küstenwache des Landes trainiert und ausgerüstet. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 10.000 Menschen von der Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht.

Gibt es keine Retter in der Nähe, stehen die Chancen für Flüchtlinge schlecht, die Überfahrt zu überlebenBild: DW/Y. Gostoli

Davor war die Seenotrettung einfacher: "Auf einer meiner letzten Missionen im vergangenen Jahr haben wir ein Boot entdeckt, das weit von  war", berichtet Radisoglou. "Wir haben das MRCC in Rom darüber informiert. Das nächstgelegene Schiff war drei Stunden entfernt, es wurde zur Rettung herbeigerufen. Wir sind weitergeflogen und kamen später zurück, um die genaue Richtung zu weisen. Das hat alles sehr gut geklappt."

Mit der nun zuständigen libyschen Küstenwache arbeitet die "Moonbird" dagegen nicht zusammen. Die NGOs werfen ihr Verstöße gegen das Menschenrecht vor. Das ist ein großes Problem, betont Radisoglou: "Wir sind auf die Hilfe von Schiffen angewiesen. Wenn keins verfügbar ist, stellt sich die Frage, wer die Menschen rettet, die wir finden - und auch die Frage, wo wir sie finden werden."

Zahlen nicht mehr verlässlich

Bis September 2018 wurden sieben von zehn Menschen, die weiter nach Europa wollten, abgefangen und zurückgebracht. Einer von fünf starb oder verschwand, während immer weniger Flüchtlinge Libyen verlassen.

Die Zahlen stammen vom Italienischen Institut für Internationale politische Studien, das Daten des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration ausgewertet hat. Mitarbeiter Matteo Villa gibt offen zu, dass die Zahlen immer ungenauer werden, weil es immer weniger Beobachter auf Schiffen gibt: "Von den zwei großen Schiffsunglücke im September, von denen wir wissen, haben wir erst zehn Tage später erfahren, durch Angaben von Überlebenden", sagt Villa. "Wir wissen, dass Todesfälle nicht ausreichend gemeldet werden, und wir wissen immer weniger, was genau passiert. Es gibt niemanden mehr dort draußen."

Das Rettungsschiff "Aquarius" kann im Moment nicht mehr auslaufenBild: Reuters/D. Zammit Lupi

Während NGOs durch politische Streitigkeiten von der Seenotrettung abgehalten werden, spielen für Handelsschiffe, die durch das internationale Seerecht zur Rettung von Menschen in Not in ihrer Umgebung verpflichtet sind, auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. "Wenn die Rettungsschiffe nicht mehr helfen können, dann müssen die Handelsschiffe übernehmen, wie es 2013/14 der Fall war. Und das wird ein Problem in dem Moment, in dem die Häfen geschlossen werden", betont Villa. Für jeden Tag, den ein Handelsschiff mit Flüchtlingen an Bord zusätzlich auf See verbringen muss, lägen die Kosten bei 100.000 bis 300.000 Euro.

Während die "Moonbird" ihre Arbeit wegen Wartungsarbeiten für einige Tage unterbricht, kommt die Nachricht, dass die Menschen an Bord der "Just Fitz III" nach Malta gebracht wurden. Ein paar Tage zuvor hatte es eine Gruppe von 60 Menschen, darunter viele aus Eritrea, von Libyen nach Lampedusa geschafft. Die meisten wurden schon vom Registrierungszentrum auf das italienische Festland gebracht. Sie wissen, dass sie viel Glück hatten.

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