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Kairo und der Traum von einer besseren Zukunft

Naomi Conrad, Cairo / sp21. Juli 2015

Mehr als vier Millionen Syrier sind vor dem Bürgerkrieg aus ihrer Heimat geflohen. Viele haben in Ägypten Zuflucht gefunden. Doch die Hilfen für sie werden immer knapper. Naomi Conrad berichtet aus Kairo.

Eine Gruppe syrischer Flüchtlinge, die nach Deutschland fliegen (Foto: DW/N. Conrad in Kairo)
Bild: DW/N. Conrad

Hinter den eingezäunten Luxusvillen und den riesigen Einkaufszentren in Kairos wohlhabenden Vororten steht eine Ansammlung grauer Betonblöcke in der flimmernden Hitze. In einem dieser Gebäude ist eine kleine lokale Hilfsorganisation untergebracht. Im Wartezimmer flirren Ventilatoren zwischen den Plastikstühlen, auf denen einige syrische Frauen sitzen. Sie sind hier, weil sie auf die Unterstützung der Helfer hoffen.

Eine von ihnen ist Sahra. Das freundliche Gesicht der 39-Jährigen wird von ihrem schwarzen Kopftuch eingerahmt. Lächelnd wedelt die dreifache Mutter ihrem neugeborenen Baby etwas Luft mit einem Stück Papier zu. Das Mädchen ist klein und kränklich. Es sei frühzeitig geboren, sagt Sahra. Ihre größte Sorge gilt allerdings nicht der Tochter, sondern ihrem Mann. Vor drei Monaten hat er die Familie verlassen. Nach dem Anruf des Schleppers. Es sei an der Zeit zu gehen, habe dieser ihrem Mann gesagt. Alle Ersparnisse habe er dem Schlepper dafür gegeben, ihn in ein westliches Land zu schmuggeln. Möglicherweise nach Neuseeland, sagt Sarah. Genau weiß sie es aber nicht. Seitdem hat sie nichts mehr von ihm gehört. "Ich mache mir solche Sorgen. Aber ich muss aufhören, darüber nachzudenken. Ich muss mich schließlich um meine Familie kümmern". Von der Geburt ihrer Tochter, die sie Hamza genannt hat, wisse ihr Mann nicht, flüstert sie.

Der tägliche Kampf ums Überleben

Sahra weiß, dass ihr Mann es möglicherweise nicht bis nach Neuseeland schafft und dass täglich unzählige Menschen auf ihrer Flucht aus dem Nahen Osten sterben. Er habe keine andere Wahl gehabt, sagt sie. Ihr Mann arbeitete als Tagelöhner. Sarah, die in Aleppo den Haushalt geführt hatte, war als Aushilfe in einem örtlichen Bad tätig - bis sie kurz vor der Geburt ihrer Tochter aufhören musste. Bereits damals kam die Familie kaum über die Runden.

Bild: DW/N. Conrad

Anderen Flüchtlingen geht es ebenso. Viele halten sich durch Gelegenheitsjobs, Zuwendungen von Hilfsorganisationen oder gelegentliche Almosen lokaler Moscheen über Wasser. Doch die Zeiten sind schwer. Die Wirtschaft Ägyptens erlebt einen Abschwung und die hohe Inflation macht das Leben hierzulande immer teurer. Hinzu kommt, dass internationale Hilfsorganisationen - wie das Welternährungsprogramm, das Lebensmittelgutscheine an rund 87.000 Flüchtlinge verteilt hat - ihre Unterstützungsleistungen kürzen.

Weil immer weniger Unterstützung kam, habe sie sämtliche Möbel in ihrem Besitz verkaufen müssen, um Medizin für ihren kranken Mann kaufen zu können, sagt die 44-jährige Fa'ida. Auch sie ist aus Syrien geflüchtet. Theoretisch haben Flüchtlinge wie Fai'da und ihr Mann zwar Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. Doch in einem Land, in dem öffentliche Krankenhäuser ebenso wie Schulen häufig unterfinanziert und gleichzeitig überfüllt sind, klagen viele Flüchtlinge darüber, dass sie häufig erst als letzte medizinisch behandelt werden oder Zugang zu Bildungseinrichtungen erhalten.

"Noch nicht einmal die grundlegendsten Rechte"

Das Leben für die Flüchtlinge wird immer schwieriger, erklärt Mohlam Muaz Alkhen. Der Medizinstudent steht in seinem geräumigen Büro in der Mitte Kairos. An den Wänden hängen düstere Ölgemälde. Das iPad in seiner Hand leuchtet regelmäßig auf. Immer dann, wenn eine Nachricht eintrifft. Der junge Syrer ist Direktor von Gad, einer 2012 gegründeten Organisation, die den Hundertausenden Flüchtlingen helfen soll, die in das Land strömen.

Damals, unter dem früheren ägyptischen Präsidenten und Muslimbruder Mohammed Mursi, sei es für die Syrer leicht gewesen, Visa und Arbeitserlaubnis zu bekommen, sagt Alkhen. Doch nach Mursis Sturz durch das Militär und den folgenden Protesten im Jahr 2013 sei es nahezu unmöglich geworden, mit legalen Mitteln an ein Visum oder eine Arbeitserlaubnis zu gelangen. Heute sei Bestechung der einzige Weg, eines der beiden zu erhalten, sagt Alkhen. Umgerechnet bis zu 2770 Euro müsse man dafür auf den Tisch legen.

"In Europa helfen die Regierungen den syrischen Flüchtlingen bei der Suche nach einer Unterkunft und Arbeit. Aber hier haben die Flüchtlinge noch nicht einmal die grundlegendsten Rechte", sagt Alkhen mit schwerer Stimme.

Daher verlassen viele das Land. Zu Spitzenzeiten lebten rund 700.000 syrische Flüchtlinge in Ägypten, schätzt Alkhen. Ihre Zahl sei inzwischen auf rund 300.000 gesunken. Allein im letzten Jähr hätten 25.000 syrische Flüchtlinge das Land verlassen, um illegal in einem anderen Staat Zuflucht zu suchen. "Wenn die internationale Gemeinschaft ihnen nicht hilft, das Land legal zu verlassen, verlassen sie es eben illegal", sagt er mit einem Kopfschütteln.

"Einige wenige Glückliche"

In einem Besprechungsraum der deutschen Botschaft stehen ein paar der wenigen Glücklichen, die auf legalem Weg aus Ägypten weiterreisen. Eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien sitzt um einen Tisch, auf dem Getränke und Kekse stehen. Sie gehört zu einer Gruppe von 154 syrischen Flüchtlingen, die noch in dieser Woche nach Deutschland geflogen werden. 20.000 Flüchtlingen aus dem Bürgerkriegsland will die Bundesregierung aus humanitären Gründen Asyl gewähren. Eine Zahl, die Mitarbeiter angesichts des hohen Flüchtlingsaufkommens hinter vorgehaltender Hand als beklagenswert gering bezeichnen.

Zu den Flüchtlingen, die legal nach Deutschland einreisen dürfen, gehört auch Hana Abdul Haleem Al-Sufi. Glücklich und erleichtert sei sie gewesen, als man ihr am Telefon mitteilte, dass sie nach Deutschland reisen dürfe. "Unsere Kinder werden nun eine viel bessere Bildung erhalten und meine Schwager werden deutlich besser behandelt werden", sagt die 32-Jährige. Die dreifache Mutter aus Homs zeigt auf ihre drei Schwager am Tisch. Sie seien geistig behindert und es sei unmöglich gewesen, in Ägypten die entsprechende Pflege für sie zu bekommen.

Die meisten der Flüchtlinge, die nach Deutschland umgesiedelt werden, haben bereits familiäre Bindungen dort. Aber einige, wie Hanas Familie, werden vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) aus humanitären oder gesundheitlichen Gründen ausgewählt.

Bild: DW/N. Conrad

"Ich will lernen"

Hanas Sohn, der fünfjährige Mohammed, schleicht um die Mutter herum. Ob er aufgeregt sei, nach Deutschland zu kommen? Er nickt schüchtern. Seine Mutter lächelt. "Er fragt mich jeden Tag: Werden sie mir ein Fahrrad und Spielzeug geben? Werden sie mich in den Kindergarten gehen und dort lernen lassen? Der elfjährige Abdullah ist Mohammeds älterer Bruder. Er vermisse seine Freunde in Syrien, aber er sei glücklich, nach Deutschland zu kommen. "Ich will lernen", sagt er.

Zurück in dem Betonbau der lokalen Hilfsorganisation wiegt Sahra immer noch ihr kleines Kind auf ihrem Schoss. Das winzige Gesicht des Babys ist verknittert, die Fäuste geballt. Ob sie glaubt, dass ihre Tochter ihre Heimatstadt Aleppo jemals wiedersehe? Sarah starrt auf Hamza und flüstert fast unhörbar: "Egal was passiert, all die Grausamkeiten und Gewalt - wir alle träumen davon, eines Tages wieder nach Hause zu kommen". Und obwohl es das Land ist, in dem Sicherheitskräfte ihren Mann gefoltert haben - trotz alledem, Syrien ist weiterhin ihre Heimat.

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