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Flüchtlings-Deal mit der Türkei umstritten

Bernd Riegert13. April 2016

Macht sich die EU vom Wohlwollen der Türkei abhängig? Das Flüchtlings-Abkommen erntete heftige Kritik im Europäischen Parlament in Straßburg, ebenso die Anzeige gegen Jan Böhmermann. Bernd Riegert berichtet.

Straßburg EU Parlament Sitzung (Foto: picture-alliance/AA/M. Yalcin)
Bild: picture-alliance/AA/M. Yalcin

Der EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos räumte in der Debatte des Europäischen Parlaments über das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ein, dass es "eine Festung Europa nicht geben kann und eine Festung Flüchtlinge auf Dauer nicht abhalten wird". Zwar versucht die EU gerade mit Hilfe der Türkei ihre südöstliche Grenze komplett zu schließen, doch die Bilanz drei Wochen nach Inkrafttreten des Abschiebe- und Umsiedlungsprogramms fällt eher bescheiden aus.

Dimitris Avramopoulos berichtete den kritischen Abgeordneten, dass bislang von den griechischen Inseln nur rund 300 Menschen in die Türkei zurückgebracht wurden, die keinen Asylantrag in Griechenland gestellt hatten. Im Gegenzug sind 74 syrische Flüchtlinge aus der Türkei in die EU umgesiedelt worden. "Wir stehen noch ganz am Anfang", meinte der EU-Kommissar.

EU-Kommissar Avramopoulos: Wir stehen ganz am AnfangBild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Inzwischen haben Tausende Flüchtlinge auf den griechischen Inseln einen Asylantrag gestellt. Die Verfahren kommen noch nicht recht in Gange, weil es an Personal fehle, bemängelte der FDP-Abgeordnete Otto Graf Lambsdorff. "Deutschland lässt die EU hängen", kritisierte Lambsdorff, weil von den angekündigten hunderten von Beamten zur Unterstützung der griechischen Behörden erst drei Dutzend angekommen seien. Andere Mitgliedsstaaten hätten ihre vollmundigen Zusagen vom Flüchtlingsgipfel Mitte März ebenfalls nicht erfüllt und noch keine Beamten nach Griechenland entsandt. Nur rund ein Fünftel des benötigten Personals wurde nach Angaben der EU-Komission bislang benannt. "Da muss noch mehr passieren", mahnte auch der EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos.

Tusk will auch Route über Libyen schließen

Der Vertreter der kritisierten EU-Mitgliedsstaaten, EU-Ratspräsident Donald Tusk, ließ sich im Parlament nicht beeindrucken und sagte, die solidarische Umverteilung von Flüchtlingen in der EU sei zwar notwendig, aber darauf alleine dürfe man sich nicht verlassen. "Das wäre gefährlich, denn eine Umverteilung ist geradezu ein Anreiz für noch mehr irreguläre Migranten nach Europa zu kommen", so Tusk.

Er plädierte stattdessen dafür, nach der Balkanroute auch die Fluchtroute über das Mittelmeer von Libyen nach Italien zu blockieren. Die EU-Staaten wollten eine gemeinsame Küstenwache aufbauen und einsetzen, sagte Tusk, doch man müsse sich fragen, was die eigentlich im Mittelmeer tun solle. "Ich bin dafür, dass sie alle stoppt und kontrolliert", sagte Tusk. Die Flüchtlinge könnten nicht einfach wie bisher durchgelassen werden. Das werde noch zu einer kontroversen Diskussion führen.

EU-Ratspräsident Tusk: Stoppen und kontrollieren auf dem MittelmeerBild: Reuters/V. Kessler

Donald Tusk warnte davor, dass Hunderttausende darauf warteten von Libyen nach Europa überzusetzen. Dabei handele es sich vor allem um Menschen aus Afrika und nicht um syrische Flüchtlinge, die jetzt wegen der geschlossenen Balkanroute nach anderen Möglichkeiten suchten. Nach Informationen der arabischen Redaktion der Deutschen Welle sind Schlepper inzwischen dabei, genau diese alternativen Routen zu organisieren. Für eine Überfahrt aus Griechenland direkt nach Italien werden pro Flüchtling rund 5000 Euro für den Schlepper fällig.

Die Flucht von der Türkei aus nach Libyen und weiter per Schiff nach Italien sei wesentlich günstiger zu haben, so die Erkenntnisse der DW. Deshalb ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch syrische Flüchtlinge vermehrt ihr Glück in Libyen versuchen würden. Einen ähnlichen Flüchtlingsdeal wie mit der Türkei könne man mit dem völlig instabilen Libyen nicht aushandeln, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Man müsse aber Italien und Malta zur Seite stehen, wenn diese dies wünschten.

"Flüchtlinge als politische Waffen"

Das Abkommen, mit der Türkei zur Rücknahme von Migranten aus Griechenland, kritisierten viele Abgeordnete scharf. "Damit begeben wir uns in die Hände des türkischen Präsidenten Erdogan", wettere der liberale Fraktionsvorsitzende Guy Verhofstadt. "Die armen Flüchtlinge sind politische Waffen" für Recep Tayyip Erdogan, erklärte Verhofstadt, denn der Präsident selbst habe damit gedroht, sie wieder in Marsch zu setzen, falls die EU in zwei Monaten den Türken nicht Visa-freie Einreise nach Europa gestatte. Die Türkei habe, anders als zugesagt, ihre Gesetze nicht internationalen Standards für Flüchtlinge angepasst.

Verhofstadt: In der Hand eines AutokratenBild: FREDERICK FLORIN/AFP/Getty Images

Die grüne Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms meinte mit Blick auf die Behandlung von Migranten und Asylbewerbern in Griechenland, dort gebe es "keine Rechtsstaatlichkeit" mehr. Auch der EU-Kommissar für Flüchtlinge, Dimitris Avaramopoulos, räumte ein, dass es für rund 50. 000 Menschen, die in Griechenland gestrandet seien, zurzeit keine Perspektive gebe.

Die EU-Mitgliedstaaten machten weiter keine Anstalten, ihre Zusagen einzulösen und "mindestens 70 Prozent dieser Menschen, die Aussicht auf einen Flüchtlingsstatus" haben, auch wirklich aus Griechenland umzusiedeln. Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Gaby Zimmer, nahm Griechenland in Schutz. Man könne nicht jahrelang kritisieren, dass die Asylverfahren in Griechenland nicht funktionierten, und jetzt nach dem Flüchtlingsgipfel erwarten, dass das innerhalb weniger Tage klappen könne.

Plädoyer für Böhmermann

Auch der Fall Böhmermann schaffte es ins Europäische Parlament: Die grüne Abgeordnete Rebecca Harms sagte, der türkische Präsident Erdogan werde nicht über die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst in Europa bestimmen können. "Mein Land Deutschland ist stark genug, sich dagegen zu wehren". Erdogan hatte gegen den Comedian Jan Böhmermann Strafanzeige erstattet, weil er sich durch ein Gedicht Böhmermanns Schmähkritik ausgesetzt fühlt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte in Straßburg, Erdogans Vorgehen gegen unliebsame Meinungsäußerungen in Deutschland bringe "die Türkei nicht näher an uns heran, sondern entfernt uns voneinander".

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Mit dem Flüchtlingsdeal habe die EU der Türkei die Schlüssel für die Tore nach Europa in die Hand gedrückt, sagte der belgische liberale Abgeordnete Guy Verhofstadt. Jetzt wolle Erdogan auch noch die Kontrolle über die Medien in Europa erlangen. "Ich bin nicht überrascht, dass dies passiert", so Verhofstadt. "Das passiert eben, wenn man sich von der Gnade Erdogans abhängig macht und die eigene Verantwortung für Flüchtlinge in ein drittes Land, die Türkei, auslagern will."

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